Mannheim, 12. Juni 2015. (red/ms) Durch geschicktes Marketing sicherte sich das Nationaltheater am Mittwoch kostenlose Werbung in verschiedensten sozialen Netzwerken: Beim “Instameet-Tweetup-Bloggerwalk” – so wurde die Aktion tatsächlich genannt – erschienen rund 20 Menschen mit einer Affinität fürs Digitale und posteten begeistert Bilder von einem Rundgang auf dem Benjamin Franklin Areal, wo die 18. Internationalen Schillertage stattfinden werden. Nebenbei wurde auch etwas über das bevorstehende Festival erwähnt.
Von Minh Schredle
“TweetUp-Insta-Bloggerwalk #schiller2go” – diesen Titel hat das Nationaltheater Mannheim einem Rundgang über das Benjamin-Franklin-Village (BFV) gegeben. Die ehemaligen Militärflächen sind einer von vielen Austragungsorten für die 18. Internationalen Schillertage, die heute Abend um 18:00 Uhr im Nationaltheater starten. Das diesjährige Motto: “Geschlossene Gesellschaft – offen für alle”.
Auf dem BFV wird das erste Stück morgen um 20:00 Uhr zu sehen sein: “Burn Mukuwerekwere Burn” – ein Stück das nicht von Schiller stammt. Es handelt sich um ein Gastspiel aus Südafrika, das den Rassismus zwischen verschiedenen Stammesvölkern thematisiert. Im Rundgang auf dem Franklin-Areal wurden diese Dinge allerdings nicht thematisiert. Denn im Vordergrund standen Fotomotive für die Bloggerszene.
Im “Aufruf an die Community” zu dem gestrigen Rundgang wurde gefragt: “Lust auf ein Schiller-Mashup aus Instameet-Tweetup-Bloggerwalk in Mannheim?” Auf dem Gelände warte dann sogar ein “persönlicher Schiller-Guide”.
Diese überwältigende Anzahl von Anglizismen in der Ankündigung ließ schon erahnen, in welche Richtung es gehen würde. Und tatsächlich: Rund 20 Blogger, Instagramer, Twitteristi und wie sie sich sonst noch bezeichnen mögen, treffen am Platz der Freundschaft vor dem BFV zusammen. Überwiegend Frauen, aber alle Altersklassen sind vertreten.
Sobald wir das Gelände betreten, werden die Smartphones mit ihren knallig-grellen Designerhüllen gezückt und anschließend nicht mehr eingesteckt. Nach dem ersten Schnappschussgewitter verbreiten sie die ersten Bilder noch im Laufen über mindestens drei verschiedene soziale Netzwerke, während uns unser Schiller-Guide etwas über das bevorstehende Festival erzählt.
Ich fühle mich somehow old-fashioned. Und ich werde verwundert bis verständnislos angestarrt, als ich einen analogen Notizblock hervorkrame und darauf tatsächlich mit einem Stift schreibe.
Eine InstaTweeterin sagt im Vorbeigehen:
Ich schreibe gerade meine Master-Arbeit über Hashtags.
#omg.
Eigenwillig und unkonventionell
Ich fühle mich alt und deplaziert. Wo bin ich hier gelandet? Doch “die Community” ist offenherzig und aufgeschlossen. Nach ein paar ersten Gesprächen werden die zunächst vorhandenen leichten Animositäten auf beiden Seiten schnell abgebaut. Ich finde sie ein bisschen seltsam, sie finden mich ein bisschen seltsam. #whatever.
Die Atmosphäre ist locker und informell, es wird viel gelacht und gescherzt. Beim Rundgang über die ehemaligen Kasernen und zeigt uns der Schiller-Guide verschiedene “verlockende Fotomotive”:
Bitte den Hashtag #schiller2go nicht vergessen beim Posten,
erinnert eine Frau aus der Marketingabteilung des Nationaltheaters nicht nur einmal. Die Strategie ist geschickt: Die Community zeigte sich als sehr begeisterungsfreudig und verbreitete gern und bereitwillig unzählige Bilder, die wohl als kostenlose Werbung für die Schillertage in diversen Netzwerken die Runde machen und so insbesondere ein junges Publikum erreichen werden.
Innovativ und modern – das sollen die Schillertage sein, wie eine Dramaturgin des NTMs erklärt. Daher suche man jedes Mal nach eher unkonventionellen Spielorten – aktuell das Benjamin-Franklin-Village. Der Zutritt zu den ehemaligen Militärkasernen wurde außerdem den Normalbürgern im Regelfall verwehrt. Daher passe die “Location” perfekt zum diesjährigen Motto “geschlossene Gesellschaft”.
Eine große Herausforderung sei allerdings die Logistik: Besucher mit Auto sollten recht leicht zu den verschiedenen Spielstätten, die auf dem Gelände verteilt, aber auffällig ausgeschildert sind, finden. Für Fußgänger würden Shuttelbusse fahren – alleine dürfen sie nicht über das Gelände laufen.
Auch bei der Interpretation der Stücke wolle man neue Wege gehen und so sind verschiedene Improvisationsshows vorgesehen, deren Thematik nur vage vorgegeben ist: Eine davon heißt Anti-Ödipus und soll irgendetwas mit dem biblischen Kain, Don Carlos und Hamlet zu tun haben. In der Ankündigung heißt es:
Ein visueller Midrasch für einen slowenischen Philosophen, einen israelischen Schauspieler, einen palästinensischen Hip-Hop Künstler und einen Trickster, inspiriert von leidenschaftlichen Debatten über Schillers Gedicht Die Freundschaft!
“Das ist ein bisschen intellektueller Trash”, sagt Dramaturgin Lea Gerschwitz selbstironisch.
Klassiker modernisieren?
Ich frage mich: Muss man zeitlose Klassiker zwanghaft modernisieren?
Das muss man nicht. Aber man kann. Und wenn es kompetent umgesetzt wird, ist es durchaus eine Bereicherung. Wer will schon das immer gleiche Stück immer gleich interpretiert sehen?
Im Zweifelsfall entscheidet der Erfolg über Recht und Unrecht: Wenn es gelingt, durch moderne Methoden wieder vermehrt junge Leute für das Theater und Kultur zu begeistern – nur zu. Allerdings sollten sämtliche Modifaktionen am Originalwerk irgendwo noch mit dem ursprünglichen Geist vereinbar sein und irgendwie die angedachten Botschaften transportieren.
Gerade die Werke von Schiller bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten, Stellen, Auszüge oder auch das gesamte Stück auf zeitgenössische Ereignisse zu beziehen. Modernität nur um der Modernität Willen wirkt allerdings meistens erzwungen und oft ein bisschen albern. Lassen wir uns überraschen.