Mannheim, 15. Juni 2015. (red/ms) Brauchen bedeutende Botschaften große Worte, um vermittelt zu werden? Nicht unbedingt. Manchmal reichen auch ein paar derbe Witze – wenn ihr Inhalt fein ist. Das bewies aktuell die „Heiße Ecke“, ein Musical, das auf der Freilichtbühne Mannheim-Gartenstadt aufgeführt wird. Nach der Premiere am vergangenen Samstag gab es minutenlange Standing Ovations für das Laienensamble.
Von Minh Schredle
Jede Nacht und jeden Morgen
Sind zum Elend viel geboren
Jeden Morgen und jede Nacht
Manchem süße Wonne lacht
Manchem süße Sonne lacht
Ander’n winkt die ewige Nacht.
– William Blake
Ein geiles Stück
Derb und obszön, versaut und pervers. Was für ein geiles Stück.
Das Publikum gröhlt. Ein paar kriegen sich gar nicht mehr ein: Sie lachen Tränen. Später weinen sie wieder – diesmal aus Rührung. Alle fünf Minuten gibt es Szenenapplaus, zum Abschluss Standing Ovations.
Am vergangenen Samstag startete die Freilichtbühne Mannheim-Gartenstadt mit einer Premiere in die Saison 2015: Die „Heiße Ecke“ ist ein Musical, eine Kommödie, ein Drama und vor allem eine Liebeserklärung an St. Pauli und die Reeperbahn. In Hamburg ist das Stück aus gutem Grund ein Dauerbrenner: Seit der Uraufführung 2003 haben es über 1,7 Millionen Menschen gesehen. In Mannheim besuchten knapp 800 Besucher die Premiere unter Leitung von Regisseur und musikalischem Leiter Thomas Nauwartat-Schultze.
Rentner und Studenten, Prostituierte und Polizisten, prüde Snobs und verwahrloste Penner – bei allen hat es sich herumgesprochen: An der „Heißen Ecke“ gibt es die beste Currywurst der Reeperbahn. Hier kommen sie alle zusammen – unabhängig von Herkunft, Alter oder dem sozialen Status. Vor dem Pommesbudenpersonal sind alle gleich. Über niemanden wird grundlos gerichtet – ein paar provokante Sprüche bekommen die Kunden trotzdem zu hören.
Dabei ist der Humor hemmungslos und überschreitet mit Freuden gerne mal die Grenzen des guten Geschmacks. Biederen Spießern könnte es da schnell zu viel werden. Eine Kostprobe: Das Pommesbudenpersonal will ein Kreuzworträtsel lösen und sucht ein Nutztier mit fünf Buchstaben. Also fragt das Personal zwei Prostituierte, die gerade vorbeikommen. Sofort antworten die beiden:
Nutte!
Doch hinter den derben Witzen verbergen sich meistens feine Inhalte. Und wenn Gesellschaftskritik geübt wird, hat man nicht das Gefühl von einem mustergültigen Moralisten mit wedelndem Zeigefinger belehrt zu werden.
Ein Pladoyer für Toleranz
Wenn das Stück eine zentrale Botschaft hat, dann folgende: Betrachtet Menschen als Menschen – nicht als Berufe, Geschlechter oder Minderheiten.
Sie alle haben Träume und Hoffnungen, erleben Enttäuschung und Ernüchterung – oder Erfüllung: Glück und Leid finden bei der „Heißen Ecke“ parallel statt. Und das macht das Stück ergreifend und authentisch. Während Freudentränen über die Vaterschaft vergossen werden, verlieren andere geliebte Menschen.
Am Ende schließt sich der Kreis, ohne abzuschließen: Eine Handlung gibt es nicht – sondern etliche: Jede der gut 50 Figuren hat eine Geschichte zu erzählen. Seine Geschichte. Manchmal verweben sich ihre Schicksale miteinander und durch die unvorhersehbare Aneinanderreihung unzähliger Umstände öffnen sich dort Türen, wo andere geschlossen werden.
Dabei läuft alles auf die Begegnung an der „Heißen Ecke“ hinaus: In den nahezu drei Stunden Spielzeit wird kein einziges Mal der Handlungsort gewechselt – trotzdem kommt zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf.
Die Freilichtbühne und das Zimmertheater sind im Mai mit einem Landespreis für Amateurtheater ausgezeichnet worden – wer sie spielen sieht, weiß warum. Die über 30 Darsteller spielen mit Leidenschaft und Begeisterung – für den enormen Aufwand, den sie für solche Aufführung machen, bekommen sie keine Gage ausgezahlt. Auch Tontechniker, Requisiteure und die Regie arbeiten ehrenamtlich.
Es gehört eine Menge Mut dazu, sich mit einem Laienensemble an ein Musical zu wagen. In der „Heißen Ecke“ wurden insgesamt 22 Lieder gespielt, meistens mit recht simplen und eingängigen Melodien und Texten. Dabei gab es auch mal geringfügigere Abstriche bei den Gesangsleistungen – aber wer sich daran ernsthaft stört, hat das Stück nicht verstanden.
Hinweis zur Transparenz: Unsere Autorin Carolin Beez ist ebenfalls Teil des Ensembles. Wenn Sie sich selbst überzeugen wollen, dass das Stück wirklich gut ist, schauen Sie es sich am besten selbst an. Es lohnt sich. Gelegenheit dazu haben Sei am 20. und am 27. Juni, am 03., 04., 10., 11., 18., 25., 30. und 31. Juli sowie am 01. und 07. August.