Mannheim, 09. Oktober 2016. (red/pro) Auf youtube ist am 08. Oktober ein Video eingestellt worden, das einen vorgetäuschten Verkehrsunfall auf dem Friedrichsring, Höhe Nationaltheater Mannheim, zeigen soll. Auf der Straße liegt ein Fahrrad, von links kommt ein Mann, der sich unvermittelt auf die Motorhaube eines Autos wirft und dort als vermeintliches Unfallopfer zunächst liegen bleibt, um dann herunterzuklettern und den Fahrer aufzufordern, die Polizei zu rufen. Gepostet wurde das Video unter anderem von Sven Liebich aus Halle, einem früheren Neonazi, der aktuell zur „Querfront“-Szene gezählt wird.
Von Hardy Prothmann
Darf man glauben, was man sieht? Unsere erste Redaktionsregel heißt: „Traue keinem“.
Das Video, das einen vorgetäuschten Verkehrsunfall mitten in Mannheim dokumentieren soll, mutet vollständig absurd an. Die Bildqualität ist schlecht, was noch nichts zu heißen hat. Nachts aus einem Auto heraus zu filmen, kann durchaus eine schlechte Qualität erzeugen, wenn die Smartphone-Kamera nicht sehr gut ist oder es sich um eine so genannte „Dashcam“ handelt, also eine an der Windschutzscheibe oder dem Armaturenbrett fest installierte Kamera. Das könnte auch erklären, warum die Kamera sich kaum bewegt.
Mann wirft sich unvermittelt auf Motorhaube
Man sieht eine Szene an der Kreuzung Friedrichsring, Höhe Nationaltheater, in Fahrtrichtung Hauptbahnhof. Auf der Straße liegt etwas, später wird klar, dass es ein Fahrrad ist. Zwei Männer unterhalten sind, plötzlich kommt von links ein Mann ins Bild, etwa Mitte Zwanzig, wirft sich auf die Motorhaube und bleibt dort liegen wie jemand, den es nach einem Unfall auf das Fahrzeug geschleudert hätte.

Szene aus einem Video, das einen vorgetäuschten Verkehrsunfall durch einen Flüchtling in Mannheim zeigen soll. Im Film ist zu sehen, wie sich ein Mann auf eine Motorhaube wirft und so tut, als sei er ein Unfallopfer. Quelle: youtube
Zuvor hört meinen einen Männer im Auto aus dem Off sagen: „Fahr, fahr, fahr, das ist ein Flüchtling, fahr doch“, eine Aufforderung, aus der Situation herauszukommen. Und als die Person auf das Auto springt und auf der Motorhaube liegt: „Hey, was macht der?“. „Der macht das mit Absicht.“ „Ruf die Bullen.“ „Nene, der macht das mit Absicht.“ „Flüchtling, oder was?“ „Keine Ahnung, wer das ist.“ „Denkt der, dass er damit durchkommt?“
Die Person bleibt eine zeitlang liegen. Dann schaut sie sich um. „Beweg dich mal weiter Mann. Hallo. Geh weg. Gehn Sie mal bitte“, hört man einen Mann im Auto sagen. Dann dreht sich die Person zum Wageninnern. Fordert: „Police“, steigt von der Motorhaube herunter und tritt wohl an die Seite der Fahrertür. Die Männer sagen: „Polizei kommen.“
Dann geht der Mann in Richtung Kreuzung, legt einen Beutel, den er trägt, ab und trägt das Fahrrad von der Straße. Die Männer, die die Szene filmen, fahren schnell an ihm vorbei:
Nur weg hier. Du Mistkerl. Arschloch. So was hab ich noch nie gesehen. Gott sei Dank hat er nichts kaputt gemacht,
sagt einer.
Wer hat das gefilmt? Ist das Video echt oder inszeniert?
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Vollkommen unklar ist, wer dieses Video wann aufgenommen hat. So viel steht fest. Die Szene spielt nachts. Doch wieso hat der eine Auto-Insasse eine Kamera an? Könnte sein, dass er das Smartphone in der Hand hatte und wegen des Fahrrads instinktiv eingeschaltet hat. Mehr spricht für eine Dashcam. Doch ist der Ablauf glaubwürdig? Das ist schwer zu beurteilen.
Ist das Video möglicherweise inszeniert? Hier stellen sich weitere Fragen: Wer ist so dreist, im Straßenverkehr auf einer Kreuzung eine solche Szene zu inszenieren? Es herrscht Verkehr, das ist nicht ungefährlich und die Möglichkeit, entdeckt zu werden, ist äußerst hoch. Und, wer ist die Person arabischen Aussehens? Der Mann hat ein sehr markantes Profil und wäre eindeutig zu identifizieren, wenn man wüsste, wer es ist. Also doch nicht inszeniert?
Oder hat sich hier jemand für den „Stunt“ bezahlen lassen? Auch das ist mehr als fragwürdig – ausgeschlossen ist es nicht. Aber alle Beteiligten müssten mit Strafanzeigen rechnen, wenn es eine Inszenierung wäre, mindestens wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
Möglicherweise gab es auch tatsächlich einen Unfall – immerhin trägt der Mann das Fahrrad von der Straße, statt es zu schieben. Man kann es nur schwer erkennen, aber es wirkt „demoliert“. War es also eine hilflose „Übersprungshandlung“ durch die Person? Ein vollkommen „verunglückter“ Hilferuf?
Einfach davonzufahren ist auch keine gute Idee – sollte die Person tatsächlich verunfallt sein, könnte das als „unterlassene Hilfeleistung“ gewertet werden. Besser ist: Sofort 110 wählen, der Polizei den genauen Ort mitteilen und was man beobachtet hat und vor Ort warten. Aussteigen muss niemand, wenn man sich unsicher oder bedroht fühlt.
Es muss Zeugen geben
Zeugen müssen diesen Vorfall beobachtet haben. Im Video ist zu Beginn ein schwarzer Kleinwagen zu sehen, der vom Nationaltheater kommend in Richtung Bahnhof abbiegt und zunächst auf der Kreuzung stehenbleibt und dann rechts auf dem Friedrichsring hält. Eine Frau, die ein schwarzes Cape oder eine schwarze Jacke trägt, steigt aus und schaut sich die Szenerie an. Als der Mann das Fahrrad von der Straße holt, steigt sie wieder in ihr Auto, bleibt aber mit Warnblinker am Rand noch stehen.
Rechts neben dem Auto, aus dem gefilmt wird, hält ein Auto, möglicherweise orange oder goldbraun ist die Farbe. Es muss also mindestens vier Zeugen für die Szene geben – die beiden Männer im Auto, die Frau und die Person in dem anderen Auto. Möglicherweise noch weitere, die nicht im Film zu sehen sind.
Das Video gibt es mittlerweile auch auf einer englischsprachigen Youtube-Seite, die sich „Face of a dying nation“ nennt. Hier wird vor fingierten Unfällen gewarnt und spekuliert, dass Personen so zum Aussteigen genötigt werden sollen, um dann überfallen werden zu können.
Querfront-Akteur Sven Liebich
Die ursprüngliche Version wurde vermutlich zuerst am 08. Oktober morgens nach 6 Uhr von Sven Liebich hochgeladen – einem früheren Mitglied der Neonazi-Szene aus Halle, der heute zur „Querfront-Szene“ gezählt wird (hier ein Bericht des mdr).
Hier werden linke und rechte Symboliken gemischt, sodass sich die eigentliche „politische Orientierung“ vermischt. Herr Liebich organisiert Demos und betreibt einen T-Shirt-Shop mit entsprechenden Motiven – von links bis rechts gibt es hier alles, was verschiedenste „Protestbewegungen“ benötigen, um ihre Gesinnung zur Schau zu stellen.
Wie kommt ausgerechnet ein Mann aus Halle mit extremem Hintergrund an ein Video aus Mannheim, auf dem Stimmen zu hören sind, die mindestens bei einem der Männer einen „Migrationshintergrund“ vermuten lassen?
Wir haben die Polizei über das Video informiert. Dort will man sich ab Montag um die Angelegenheit kümmern. Unklar war heute auf Anfrage, ob die Männer im Auto oder die anderen Zeugen sich bereits bei der Polizei gemeldet haben. Soviel vorab – Polizeisprecher Markus Winter ist spontan nicht bekannt, dass fingierte Unfälle durch Flüchtlinge auffällig geworden sind:
Ich weiß davon nichts. Wir haben dafür eine spezielle Ermittlungsgruppe, die sich das sehr genau anschauen wird.
So bleibt aktuell offen, ob es sich um einen Fake oder um eine echte Begebenheit handelt. Und selbst wenn das Video, das übrigens an einem Stück aufgenommen worden ist, eine tatsächliche Begebenheit zeigen sollte, ist mehr als fraglich, ob das „System“ hat – also Flüchtlinge durch fingierte Überfälle Geld erpressen oder Raubüberfälle einleiten wollen.
Genau das aber wird bereits in vielen Kommentaren in den sozialen Netzwerken behauptet – der rechte Mob tobt und ergeht sich in Gewaltaufrufen. Das Video hat seit gestern bereits fast 8.000 Abrufe und wird eifrig geteilt. Möglicherweise wurde das Video auch zuerst auf der youtube-Seite „Freigeist“ gepostet, einer ebenfalls rechten Hetzseite – dort ist es bereits fast 23.000 Mal aufgerufen worden.
Die möglichen Zeugen sind aufgerufen, sich bei der Polizei zu melden. Auch Personen, die die Stimmen der Männer auf dem Video erkennen. Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.
Ob die Polizei gekommen ist und diesen „Unfall“ protokolliert hat, werden wir am Montag erfahren. Wir berichten nach.
Anm. d. Red.: Wir sind auf dieses Video über unseren anonymen Briefkasten informiert worden – ein Service, der rege genutzt wird. Sie oben in der Menüleiste „Anonym„. Hier können uns Leser Hinweise zukommen lassen – das Problem, wir haben keine Möglichkeit der Rückfrage, weil wir nicht feststellen können, wer sich anonym an uns gewandt hat.