Mannheim/Weinheim, 08. März 2016. (red/pro) Andrea Reister, Birgit Sandner-Schmitt und Florian Kußmann haben wir im Café Kußmann zum Gespräch getroffen – die drei Landtagskandidat/innen sind in gutem Kontakt miteinander, obwohl sie Konkurrenten sind. Keiner hat die Chance auf ein Direktmandat. Ab acht Prozent würde es spannend für Frau Reister und Herrn Kußmann werden, ob sie ein Zweitmandat erlangen können. Frau Sandner-Schmitt ist mit allem über 1,9 Prozent zufrieden. Die gemeinsame Botschaft ist: Wir meinen es ernst. Und die FDP ist nach den Umfragen im Aufwind.
Interview: Hardy Prothmann
Frau Reister, wie schätzen Sie die Chance ein, dass die FDP an der Bergstraße das 2011 verlorene Mandat zurück holt?
Andrea Reister: Ich sehe die Chancen natürlich gut. Ich denke acht Prozent plus müssten drin sein.
Wären Sie ab acht Prozent plus drin?
Reister: Die Chancen stehen gut Wenn ich vergleiche, was in 2011 die anderen Kandidaten in den Wahlkreisen im Gebiet des Regierungspräsidiums Karlsruhe hatten, wird es ab dieser Zahl spannend.
Bahnlärm, Windkraft, Bildung, Flüchtlinge, Breitband
Was sind für Sie die Top-Themen in ihrem Wahlkreis?
Reister: Die Windkraft natürlich und Bildung. Landestechnisch kommt natürlich auch Bahnlärm dazu, weil das zur Infrastruktur gehört. Dann Bürokratieabbau, weil wir immer mehr kleinere Unternehmen haben, die unter der Bürokratie ächzen. Da geht immer mehr von der Kernarbeitszeit verloren, um immer mehr Dokumentationspflichten auszuführen oder um Anträge zu stellen, gerade auch bei den Bauern. Die Betriebsprämien wurden neuerdings auf eine grafische Antragstellung umgestellt. Begründet als Vereinfachung. Diese Vorgabe der EU ist darauf zurückzuführen, dass es in anderen EU-Länder kein Kataster gibt. Fakt ist aber, für die Bauern ist es Mehrarbeit, da sie parallel zum in Deutschland vorhandenen exakten Katasterwesen nun eigen Flächenpläne erarbeiten müssen. Das kostet Zeit und bringt nichts. Das schaffen sie gar nicht. Dann läuft vieles nur noch per Internet und manche haben noch nicht einmal einen schnellen Internetanschluss. Mir wurde erzählt, dass sie extra in die Stadt fahren müssen zu Bekannten, um ihre Dokumentationspflicht auszuführen. Deswegen gehören natürlich Breitbandversorgung und schnelles Internet zu den Top-Themen, gerade in den Odenwald-Gebieten.
Wenn Sie sagen Windkraft, wo steht da denn die FDP?
Reister: Unsere Ansage ist klar: Keine Windkraftanlagen in windschwachen Gebieten, und da gehört die Bergstraße dazu. Das bringt nichts. Schon gar nicht für die Energiewende, die im Endeffekt international angegangen werden muss. Wir sagen, wir sollten da investieren, wo unsere Stärken sind. Das ist im Südwesten eben in der Technik und Entwicklung und da sollten wir mehr Investitionen setzen, vor allem in die Verbesserung der Speichertechnik und des Leitungsnetzes, anstatt in hochsubventionierte wirtschaftlich nicht tragfähige Windkraftanlagen.
Die CDU positioniert sich weiterhin eindeutig gegen die Gemeinschaftsschule. Herr Wacker hat angekündigt, dass diese, falls es einen Regierungswechsel gibt, nicht sofort abgeschafft werden sollen, aber deutlich eingedämmt wird und vor allem die Wahlfreiheit hochgehalten werden soll. Wie ist da Ihre Position? Wir haben zum Beispiel im Wahlkreis die Gemeinschaftsschule Heddesheim, die ein Rettungsversuch der Werkrealschule war, sehen Sie da Zukunft?
Gemeinschaftsschule ist eine Ergänzung – wir brauchen Schulfrieden und Vielfalt
Reister: Wir sehen die Gemeinschaftsschule als Ergänzung, aber nicht als privilegierte und einzige Schulform. Ich denke, dass die Gemeinschaftsschulen an bestimmten Standorten sicher Sinn machen, aber nicht als langfristig verpflichtende Schulform. Wir sind für den Schulfrieden und die Vielfalt.
Konkret: Die Gemeinschaftsschule in Heddesheim macht Sinn oder eher nicht?
Reister: Das ist jetzt schwer zu beantworten. Da gibt es einfach von den Eltern sehr unterschiedliche Reaktionen. Entscheidend ist das Kindeswohl und wenn die Schule an der Stelle für das Kind geeignet ist, dann sollte man die Schule auch behalten. Aber eben nicht als Schule für alle.
Im Bereich Wohnungen wird es einen Verdrängungswettbewerb geben.
Die Flüchtlinge erreichen die Kommunen. In Weinheim werden jetzt Container angeschafft, um Flüchtlinge unterzubringen. Auch Hirschberg wird bauen. Wie sehen Sie die Situation in Zukunft für die Kommunen? Werden sie im Landtagswahlkreis Weinheim damit zu Recht kommen? Ist man dort gut aufgestellt?
Reister: Das muss man differenziert betrachten: Finanziell sind sie natürlich nicht gut aufgestellt. Bei den Leuten besteht, denke ich, eine relativ hohe Willkommenskultur. Da wird auch von privater Seite viel gemacht, dass man versucht die Leute unterzubringen, so lange noch keine anderen Bauten entstanden sind. Prinzipiell haben wir durch die lang versäumte Wohnungspolitik einfach viel zu wenige Wohnungen – Weinheim sowieso. Da wird es einen Verdrängungswettbewerb geben und es wird sicherlich auch zu Diskussionen kommen, wer wo wie unterkommt. Wir haben in Weinheim verschiedene Standorte beschlossen, wo Flüchtlingsunterkünfte entstehen, damit ist nicht jeder glücklich. Ich persönlich finde, wir haben uns selbst Stress gemacht, weil wir nur Standorte gesucht haben, wo genau diese speziellen Bauten hinpassen. Wir hätten da flexibler suchen müssen: Wo gibt es noch Altbauten? Wo gibt es noch Brachflächen? Da wäre dann wahrscheinlich auch die Akzeptanz höher gewesen. Die Diskussion war ja auch Schulerweiterungsflächen zu bebauen, das hat natürlich viel Ärger gebracht.
Mannheimer Norden – schwieriges FDP-Gebiet
Frau Sandner-Schmitt, wie kalkulieren Sie Ihre Chancen? Ab wie viel Prozent wird es interessant, damit Sie Ihr Mandat gewinnen können und auf welchen Weg sehen Sie sich da?
Birgit Sandner-Schmitt: Also ich muss zugeben, dass der Mannheimer Norden für die FDP seit Jahrzehnten der schwierigste Wahlkreis ist. Das ist sicherlich auch der Grund, warum die Partei gewünscht hat, dass ich dort antrete, weil ich seit meiner Zeit als Stadträtin auch im Norden bekannt bin. Vor allem, was die Bildungseinrichtungen angeht, wo ich mich sehr engagiert habe. Insofern ist es mit Prozenten wirklich ganz schwer zu sagen. Wir hatten das letzte Mal 1, 9 Prozent, von daher kann ich nur gewinnen – so formuliere ich das mal – und mir geht es ganz offen gesagt darum, mit meiner Kandidatur zu signalisieren: Wir meinen es richtig ernst bei dieser Landtagswahl.
Personal fehlt
Woran liegt das denn, dass die FDP im Norden so schwach aufgestellt ist? Es gäbe ja schon einige Großbetriebe, die eine wirtschaftliche Nähe zur FDP haben. Ist da zu wenig Aufbauarbeit in den vergangenen Jahren gemacht worden?
Sandner-Schmitt: Wir waren jahrzehntelang nur mit einer Person im Gemeinderat vertreten. Also wie soll eine Person das kompensieren, was eine große Fraktion mit 16, 17 Leuten wie die CDU oder die SPD machen kann? Uns fehlt schlichtweg das Personal – stadtweit.
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Eigentlich müsste man ja erwarten, dass gerade in Baden-Württemberg, was ja Kernland der FDP ist, ein größerer Zuspruch da wäre.
Sandner-Schmitt: Der wächst. Es kommen Leute auf mich zu in Wahlveranstaltungen: Wir kennen Sie, wir haben Sie schon öfters gesehen. Dafür hat es sich schon gelohnt, angetreten zu sein.
Schule hat immer eine soziale Integrationsfunktion.
Dann kommen wir mal zu Ihrem Kernthema, der Bildung. Wie beurteilen Sie die Lage im Mannheimer Norden? Was läuft gut an den Schulen und was vermissen Sie?
Sandner-Schmitt: Ich vermisse ein Stück weit die Möglichkeit Vielfalt zu erhalten. Aber da muss man auch sehen, dass kommunale Politik da mit betroffen ist. Wenn wir über Bildungspolitik reden, ist das ja ein Zusammenspiel aus Kommunalpolitik für die Infrastruktur der Schulen und das andere eben die inhaltliche Seite. Wir haben im Mannheimer Norden die Kerschensteiner Schule als Gemeinschaftsschule, die arbeitet gut und hat auch ihren Zulauf. Ich persönlich bin der Meinung, wie es Frau Reister schon gesagt hat, sie ergänzt das Schulsystem auf eine gute Art und Weise. Das ist für mich völlig unkritisch. Was ich als strategischen Fehler ansehe, ist, dass die Friedrich-Ebert Werkrealschule auf dem Waldhof geschlossen werden soll. Ich halte das für einen Riesendilemma, weil für mich eine Schule, egal welcher Art, auch eine soziale Integrationsfunktion in einem Stadtteil hat. Bei der Geschwister-Scholl-Schule auf der Vogelstang sehe ich ein ähnliches Dilemma. Da ist jahrzehntelang nicht in die Substanz investiert worden, deswegen laufen Schüler zum Teil einfach weg. Und das wird von der Verwaltung wiederum als Argument genommen, den Werkrealschulteil aufgrund weniger Schüler zu schließen. Dort ist es ein unsagbarer Zustand, dass sie Jahrzehnte nur hingehalten werden. Jetzt kommt dazu, dass durch die Neubürger, die auf Benjamin-Franklin zu erwarten sind – Flüchtlinge sowie neue Bewohner der Bebauungen – zusätzliche Kinder dort auf die Schule gehen werden.
Franklin wird der Vogelstang Schüler bringen.
Also Sie sehen Franklin mehr oder weniger als Strukturfaktor für die Schule auf der Vogelstang?
Sandner-Schmitt: Auf jeden Fall. Und deswegen hatte ich mich immer eingesetzt, dass man es nicht nur an der Anmeldezahl festmachen kann, sondern auch am Konzept des Schulzentrums. An was wir als FDP immer arbeiten, ist die Durchlässigkeit im Schulsystem zu erreichen. Das wäre durch eine zweite Fremdsprache in der Realschule sehr leicht gegangen, um den Sprung aufs Gymnasium dann leichter zu machen. Es hat mich sehr geärgert, dass man solche Entwicklungen aus der Schule heraus durch die Ideologie der Gemeinschaftsschulen ausgebremst hat. Auch geärgert hat mich, dass die SPD lange für eine Außenstelle der IGMH Herzogenried im Mannheimer Süden propagiert hat, aber als ich das Konzept vorgelegt habe, hat die SPD das ganze im Sand verlaufen lassen, weil die Idee der Gemeinschaftsschulen als noch schöner galt.
Wir stehen in Konkurrenz zueinander.
Herr Kußmann, der Mannheimer Süden war mal CDU-dominiert und ist nach unserer Einschätzung jetzt grün dominiert. Bei Ihnen die gleiche Einstiegsfrage, wo sehen Sie Ihre Chancen bei dieser Wahl?
Florian Kußmann: Was bei uns allen drei gleich ist: Wir müssen gut sein, wenn wir rein kommen wollen und wir stehen in Konkurrenz zueinander, weil wir im selben Regierungsbezirk antreten. Wir brauchen acht oder neun Prozent, um Chancen zu haben. Ich persönlich habe mir ein anderes Ziel gesetzt: Ich habe 2011 schon mal kandidiert im Mannheimer Süden, habe da mit 5,2 Prozent fast den Landesdurchschnitt geholt und mein persönliches Ziel ist es, besser als der Landesschnitt zu werden. Das haben wir in Mannheim lange nicht gehabt, und wenn ich das erreiche, bin ich zufrieden.
Infrastruktur, Infrastruktur, Infrastruktur
Was sind aus Ihrer Perspektive die Top-Themen für Ihren Wahlkreis?
Kußmann: Für mich persönlich ist das natürlich die Infrastruktur. Das ist für mich das Thema für die Zukunft unseres Landes. Letztendlich ist die Infrastruktur die Grundlage für unseren Wohlstand – neben der Bildung. Das ist einmal die klassische Infrastruktur, was Straßen, Brücken oder auch der Hafen in Mannheim angeht. Ich plädiere hier ganz klar für die dritte Rheinbrücke, ein Thema, das auch über Mannheim hinaus sehr wichtig ist. Das Thema Güterverkehr ist schon angesprochen worden: Wir brauchen ihn, aber eben auch den Lärmschutz. Drittens ist mir aber auch wichtig, den Breitbandausbau schnell hinzubekommen. Denn das ist die Infrastruktur der Zukunft.
Was halten Sie vom Glücksstein Quartier, läuft das so wie Sie es sich vorstellen?
Kußmann: Das läuft ja nicht mal so, wie sich die Stadt das vorgestellt hat, man hat geglaubt, man setzt dort die Hochschule hin und dann ziehen Firmen nach. Das ist nicht passiert.
Dritte Rheinbrücke gefordert
Die Rheinau ist einer der vergessenen Stadtteile Mannheims. Es fehlt irgendeine Form einer identitätsstiftenden Mitte. Haben Sie Ideen, wie man in Rheinau Veränderungen herbei führen kann?
Kußmann: Das ist natürlich ein langer und schwieriger Prozess. Wir arbeiten mit dem Zentrenkonzept zum Beispiel gerade daran, aber die Rheinau ist ein schwieriges Thema. Ich glaube, dass eine Rheinbrücke eine Chance sein kann. Wo Verkehr fließt, wird auch wieder Belebung stattfinden.
Die Grünen machen viel Unsinn in Sachen Verkehr.
Aktuell fordern die Grünen flächendeckend Tempo 30 in den Städten, können Sie damit etwas anfangen?
Kußmann: Nein, natürlich nicht. Verkehr wird nicht dadurch besser, dass die Leute alle durch die Stadt schlendern. Wichtiger ist, dass wir bewusst schauen, wo ist welche Tempozone denn richtig? Den gleichen Unsinn machen die Grünen gerade mit den Fahrradwegen: Sie sagen, dass man in der Bismarckstraße einen Fahrradweg braucht, wo praktisch parallel dazu hinter der Universität schon ein Fahrradweg ist, über den man ohne Ampeln sogar viel schneller ans Ziel kommt. Mein Verkehrskonzept ist, dass wir schauen, dass die Hauptverkehrsadern gut fließen und dadurch die Seitenstraßen entlastet werden. Beispiel dafür ist, dass viele Mannheimer im Berufsverkehr von der Reichskanzler-Müller-Straße auf die Seckenheimer Straße ausweichen, die durch ihr Kopfsteinpflaster großen Lärm verursacht und alle Anwohner nervt. Das wäre alles nicht der Fall, wenn die Hauptverkehrsader richtig funktionieren würde. Deswegen sage ich, die Hauptverkehrsadern müssen breit sein, funktionieren und die Seitenstraßen entlasten.
Aktuell hat der Oberbürgermeister den Ministerpräsidenten angeschrieben und eine Residenzpflicht für Flüchtlinge gefordert, weil er n Sorge ist, dass eine Land-Stadt Flucht stattfindet, sobald die Menschen ihr Bleiberecht erhalten. Wie ist da Ihre Einschätzung?
Kußmann: Diese Land-Stadt Flucht wird es geben, das sagen auch alle, die mit Flüchtlingen zu tun haben. Dazu kommt: Mannheim hat eine große Willkommenskultur, die ich gut finde. Natürlich geht ein Flüchtling dann auch dahin, wo er sich wohl fühlt. Etwa 70 Prozent der Flüchtlinge sind im Alter von 16 bis 30 Jahren. Das ist das Alter, wo sich auch ein Deutscher gerne in der Großstadt aufhält, weil da einfach mehr los ist. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass ein Großteil der Flüchtlinge nach Mannheim zurück kommen wird.
Die Zustände sind in Teilen der Innenstadt und der Neckarstadt besorgniserregend.
Der größte Teil der südosteuropäischen Zuwanderer ist in der Neckarstadt West, ein bedeutender Teil ist aber auch im Jungbusch. Wir haben aktuell zwei Großrazzien gehabt. Uns erreicht da von unseren Lesern, dass die T und S Quadrate, die ja absolut zentrumsnah sind, möglicherweise eine Bedrohung für die Innenstadt darstellen. Da würde ich gerne wissen, wie Sie das einschätzen?
Kußmann: Das sind besorgniserregende Zustände. Gerade Diebstähle haben enorm zugenommen. Wir müssen da massiv gegensteuern und brauchen zusätzliche Polizeidienststellen, gerade in Mannheim vor Ort. Die Polizei ist nicht nur wegen Südosteuropäern mehr gefordert, hier wurden Polizisten wegen der Flüchtlingsproblematik in der Nachtschicht abgezogen, um am Hauptbahnhof zu stehen. Wir haben auch bei Cyberkriminalität oder Großveranstaltungen einen anderen Sicherheitsbedarf als vor zehn Jahren, da müssen wir nach justieren. Wir brauchen deutlich mehr Polizei, anders werden wir das nicht in den Griff kriegen. Und die Bevölkerung ist zu Recht verunsichert, weil einfach die Verbrechen zugenommen haben.
Sandner-Schmitt: Mir ist auch wichtiger, die Polizei vor Ort zu haben, anstatt von Videoüberwachungen. Es nützt nämlich nichts, wenn alles aufgezeichnet wird und es sitzt keiner hinter der Kamera, der eingreifen kann.
Reister: Auch die Justiz muss besser ausgerüstet werden. Es dauert viel zu lange, bis die Verfahren beendet sind.