Mannheim, 05. Dezember 2018. (red/pro) Die Stadt Mannheim hat umgehend auf eine “Reportage” von Spiegel TV reagiert, die am 03. Dezember im Programm von RTL gesendet worden ist. Darin werden die Stadtteile Schönau und Neckarstadt-West als “völlig aus dem Ruder gelaufen” bezeichnet. “Sozialhilfekosten, Drogenkriminalität, Verwahrlosung, Armutszuwanderung, Schwarzarbeit. Mannheim hat von allem zu viel”, heißt es in der Anmoderation. Die Stadt Mannheim wirft Spiegel TV “Recherchelücken” und reißerische Berichterstattung vor. Auch das Innenministerium ist nach RNB-Informationen alarmiert.
Der Spiegel TV-Beitrag ist einseitig und stark überzogen. Leider hat die Redakteurin nicht bei der Stadt Mannheim angefragt und entsprechende Fakten recherchiert. Gerne hätten wir ihr geholfen, Ansprechpartner vor Ort zu vermitteln und auch offensichtliche Recherchelücken zu vermeiden,
teilt Pressesprecherin Monika Enzenbach mit.
Schönau und Neckarstadt-West seien eben keine vergessenen Stadtteile, wie wie in der TV-Reportage dargestellt. Nach RNB-Informationen war das Spiegel TV-Team vor etwa drei Wochen für kurze Zeit für die Dreharbeiten in Mannheim.
Die Stadt verweist auf ein Sanierungsprogramm mit einem Volumen von 135 Millionen Euro für den Stadtteil Schönau. Für die Neckarstadt-West seit seit Oktober 2016 in Abstimmung mit der örtlichen Polizei eine „Sicherheitsinitiative 2017“ initiiert worden und das Handeln von Stadt und Polizei zeige mittlerweile Wirkung. “Mit LOS, der lokalen Stadterneuerung in der Neckarstadt-West haben wir neben der Vielzahl von Netzwerktreffen und Initiativen eine verbindliche Struktur entworfen, die nachhaltig diesen großen Stadtteil voranbringen soll”, sagt Frau Enzenbach und kommt zum Ergebnis:
Reißerische Beiträge wie dieser sind weit davon entfernt, ein ausgewogenes Bild der Realität zu zeigen. Sie setzen nur auf den schnellen Effekt und werden der Stadt und den Menschen, die hier leben in keinster Weise gerecht.
Das RNB teilt diese Sicht vollständig. “Reportagen” wie die von Spiegel TV sind journalistischer Trash. Hier geht es nicht um hintergründige Aufklärung, sondern nur um Skandalisierung. Idioten, die bei so etwas mitmachen, finden sich immer – überall. Entscheidend ist die Frage, wie man verantwortlich journalistisch vorgeht.
Der Beitrag ist ein aktueller Höhepunkt und Beleg, warum RNB immer wieder kritische Beiträge zur Entwicklung der Medienlandschaft veröffentlicht – die Branche ist in großen, selbst verantworteten Schwierigkeiten, weil ethische Grenzen immer heftiger überschritten werden. Mit realistischer und hintergründiger Darstellung haben solche Formate nichts mehr zu tun. Der Film ist im Kopf meist vorher schon fertig, dann werden die Bilder dafür gesucht und eine angebliche Realität dargestellt, die mit tatsächlichen Realitäten nur wenig zu tun hat.
Nach RNB-Informationen ist auch das Innenministerium alarmiert. Hintergrund ist, dass einem Team von Spiegel TV durch die Polizei gestattet wurde, in Privaträumen zu filmen, in denen sich eine hilflose Frau befand und sogar eine Leiche. (Siehe unseren Kommentar.)
Im Pressekodex des Deutschen Presserat heißt es: “Bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen ist besondere Zurückhaltung geboten. Dies betrifft vor allem Menschen, die sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte befinden oder einer seelischen Extremsituation ausgesetzt sind, aber auch Kinder und Jugendliche. Die eingeschränkte Willenskraft oder die besondere Lage solcher Personen darf nicht gezielt zur Informationsbeschaffung ausgenutzt werden.” Und: “Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.”
Fernsehsender sind nicht an den Pressekodex gebunden.
Im Ergebnis führen solche Trash-Formate dazu, dass seriösen Journalisten das Leben schwer gemacht wird – denn das Misstrauen gegenüber Journalisten wächst, in der Bevölkerung wie bei Behörden oder Unternehmen. Formaten wie Spiegel TV ist das egal – sie hinterlassen verbrannte Erde und ziehen weiter.