Mannheim/Hamburg, 05. Dezember 2018. (red/pro) Am 03. Dezember 2018 strahlte „Spiegel TV“ auf RTL eine „Reportage“ aus Mannheim aus. Konkret ging es um zwei Stadtteile – Schönau und die Neckarstadt-West. Heimat von Asozialen und Drogendealern – laut Spiegel TV. Der Filmbeitrag zeichnet ein düsteres Bild von Mannheim. Es gibt massive Verletzungen von Persönlichkeitsrechten – die von Anwälten mit absoluten Erfolgsaussichten durchgeklagt werden könnten, wenn sich die Betroffenen wehren würden. Doch das ist nicht das entscheidende Problem. Entscheidend ist, dass das Polizeipräsidium Mannheim solche Rechtsverletzungen befördert hat. Und das ist eine behördliche No-Go-Area, die Konsequenzen haben muss.
Kommentar: Hardy Prothmann
Die Neckarstadt-West in Mannheim – ein sozialer Brennpunkt mit Menschen am Existenzminimum. Die einzigen, die hier noch richtig Karriere machen, sind Drogendealer und Gangsta-Rapper. (…) Guten Abend zu Spiegel TV. Sozialhilfekosten, Drogenkriminalität, Verwahrlosung, Armutszuwanderung, Schwarzarbeit. Mannheim hat von allem zu viel. Nicht erst seit gestern und nicht überall, aber in den Stadtteilen Schönau und Neckarstadt-West haben die Probleme die Zumutbarkeitsgrenze der Bewohner längst überschritten. Politiker sprechen in solchen Zusammenhängen gerne von „sozialer Schieflage“ – eine harmlose Umschreibung. Völlig aus dem Ruder gelaufen, trifft es besser. Unterwegs mit Gangsta-Rappern, Kleinkriminellen und Hartz IV-Empfängern – Yasmin Javuz hat die verlorenen Söhne Mannheims begleitet.
So kündigt Moderatorin Maria Gresz eine „Reportage“ von Yasemin Yavuz an. Spiegel TV ist schon lange kein sehenswertes journalistisches Format mehr, sondern „Reality-TV“. Trash. Aber der verkauft sich gut über den Privatsender RTL.
Der Film bietet alles, was man von Trash-TV erwarten kann. Asoziale, die sich „bereitwillig“ aufnehmen lassen. Auch bei kriminellen Handlungen. Harte Schnitte, kurze O-Töne, dramatisierende Musik und fertig ist die „Unterhaltung“.
Doch der Film zeigt auch Einsatzszenen der Polizei – und hier wird es ganz, ganz streng. Eine Frau ist gestürzt und in einer Notlage. Die Polizei erlaubt dem Spiegel TV-Team den Eintritt in die Privatsphäre der Wohnung. Und als wäre die missliche Lage der Frau nicht schon kritisch genug, entdeckt man im Nebenzimmer eine männliche Leiche und Spiegel TV hält unter den Augen der Polizei drauf.
Wer im Polizeipräsidium Mannheim hat diese „behördliche Begleitung genehmigt“? Das RNB hat dazu eine Anfrage gestellt und wird dranbleiben – denn massive Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit behördlicher Begleitung sind ein Skandal erster Güte und dieser muss Konsequenzen haben.
Wer sich auf Spiegel TV einlässt, geht einen Pakt mit dem Teufel ein. Die TV-Produktionsfirma ist bekannt dafür, „verbrannte Erde“ zu hinterlassen. Man geht rein, hält drauf, verschwindet, sendet und reibt sich die Fäuste – je härter die Bilder, desto besser fließen die Werbeeinnahmen, weil es draußen genug Voyeure gibt, die sich den Trash anschauen. Es geht nicht um gesellschaftliche Zusammenhänge, um Aufklärung, sondern um Hardcore. Möglichst „real“ gedreht.
Jeder Idiot, der sich dafür zur Verfügung stellt, wird gerne vorgeführt – ob Hartz IV-Empfänger oder angeblich coole „Gangsta-Rapper“, die im Keller Joints drehen, um mit der Polizei keinen Stress zu bekommen. Spiegel TV verkauft diese Idioten als „harte Jungs“.
Ein Vermummter wird in Szene gesetzt, darf Waffen und Drogen präsentieren: „Politiker, Polizisten, jeder weiß es, jeder nimmt es“, darf der vermummte „Angeber“ sagen. Ist das so? Sind die Mitglieder des Gemeinderats, der Oberbürgermeister und die Dezernenten, die Mannheimer Polizeibeamten alles Kiffer und Sniffer? Der Vermummte darf das so behaupten – eine journalistisch-recherchierte Einordnung durch Spiegel TV gibt es nicht.
Dafür aber durch das RNB. Das Polizeipräsidium Mannheim hat akut ein massives Problem. Denn die Bevölkerung muss sich die Frage stellen, ob man heute, morgen, irgendwann Opfer der Polizei werden könnte, die es zulässt, dass Journalisten in einen grundgesetzlich geschützten Bereich eindringen und sogar von den Beamten noch „Auskünfte“ erhalten. Oder die Frage stellen lassen, wieso es Spiegel TV gelingt, innerhalb kürzester Zeit Drogendealer vor die Kamera zu bringen, die eigentlich längst im Knast sitzen müssten.
Die Fragen lassen sich erweitern: Wenn selbst klar definierte persönliche Schutzbereiche durch behördliche Mitwirkung bloß gestellt werden, welche massiven Eingriffe in Grundrechte müssen die Bürger sonst noch fürchten? Siehe die gerade gestartete Videoüberwachung. Fängt man nur gewisse Leute und „Politiker und Polizisten“ nicht?
Andere Fragen liegen ebenso klar auf der Hand: Hat die Polizei gegen alle im Film gezeigten Personen, die mutmaßlich mit Drogen handeln und Waffen besitzen, bereits Ermittlungen eingeleitet? Wenn nicht, warum nicht? Ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen den Vermummten, nachdem dieser öffentlich Gewalttaten gegen das Leben angekündigt und somit mutmaßlich den öffentlichen Frieden gefährdet hat? Wieso schweigt die Stadt Mannheim dazu – wo doch Einsatzkräfte der Feuerwehr ebenso am Einsatz beteiligt waren, wie Polizeibeamte? Wer hat die Drohnenüberflüge, die im Film zu sehen sind, genehmigt? Fühlt sich ein SPD-Stadtrat Thorsten Riehle wohl in seiner Haut, nachdem er auch in diesem Trash-Format zu sehen ist? Was sagt eigentlich die lizenzgebende Landesmedienanstalt zu solchen „Programminhalten“? Toleriert man Grundrechtsverletzungen grundsätzlich oder achtet man auch nur ansatzweise auf die Einhaltung journalistischer Standards?
Das Polizeipräsidium Mannheim ist gut beraten, den Ablauf des Entstehungsprozesses dieser „Reportage“ und der eigenen Mitwirkung schonungslos transparent zu machen. Das wird nicht ohne blaues Auge und möglicherweise personelle Konsequenzen zu erledigen sein.
Wenn es keine transparente Aufarbeitung gibt, dann warnt das RNB ganz offiziell und unmissverständlich vor der Polizei, die der massiven Verletzung von Persönlichkeitsrechten tatverdächtig ist. Mal schauen, ob dass die Staatsanwaltschaft Mannheim auch so sehen kann und will oder ob diese nur gegen unbequeme Journalisten im eigenen Revier vorgeht.
Alle RNB-Leser kennen die Wertschätzung der Redaktion zur Arbeit der Beamten der Polizei, speziell beim Polizeipräsidium Mannheim. Aber alle Leser/innen wissen auch, dass das RNB unabhängig und kritisch berichtet und Stellung bezieht. Falsche Rücksichtnahmen gibt es bei uns nicht, sondern immer eine professionelle Haltung.
Die wünschen wir uns auch von der Polizei und der Stadt Mannheim – nicht von Spiegel TV, da ist Hopfen und Malz verloren.
Aktuell stehen gut 40.000 Bürger dieser Stadt – oder die gesamte Stadt – im Verdacht, Kleinkriminelle oder „Hartzer“ zu sein, die in einer Stadt leben, die „völlig aus dem Ruder“ gelaufen ist und in der Politiker und Polizisten pauschal allesamt Drogenkonsumenten sind.
Wir sind auch mal gespannt, wie andere überregionale Medien diesen „Reality“-Trash aufnehmen – der im Gegensatz zu RNB (alle, die uns kennen, kennen den Fall) keine Fiktion geschildert hat, sondern Realität behauptet.
Das könnte spannend werden.
Ohne jeden Zweifel haben die Beamten des Polizeipräsidiums Mannheim einen schweren Fehler begangen, als sie dem TV-Team von Spiegel TV Zugang zu einer Wohnung mit einer hilflosen Frau und einem Toten gewährt haben – es gibt keinerlei Entschuldigung dafür. Aber ohne jeden Zweifel gibt es ebenfalls keine Entschuldigung für die asoziale und verwahrloste Sensationsdarstellung durch die Reporterin und Spiegel TV.
Prominente können sich Star-Anwälte leisten, die Spiegel TV juristisch belangen würden – hilflose Personen, Harzer und andere können das nicht. Damit stellt sich die Frage, inwieweit längst gewisse Medienangebote ein Ort der absoluten sozialen Verwahrlosung sind und wann die Menschen aufbegehren – weil das alles nur noch eine Zumutung ist, deren Grenzen längst überschritten sind. Es geht auch um eine mediale Schieflage von historischem Ausmaß.
Keine Ahnung, ob Maria Gresz eine Tochter hat und bei der Tafel einkaufen muss – man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass, wenn sie eine hätte und diese in Großaufnahme bei Spiegel TV gezeigt worden wäre, unmittelbar eine Abmahnung durch ihren Anwalt eingegangen wäre. Begründung: Massive Persönlichkeitsrechtsverletzung. Damit kennt sich Spiegel TV aus und vermutlich ist das auch das kalkulierte Geschäftsmodell.
Solche Formate hinterlassen verbrannte Erde und beschädigen seriösen Journalismus massiv. Wirklich erschütternd ist, dass sich die Polizei Mannheim und die Stadt Mannheim daran beteiligen. Zum Schaden aller Bürger, der aufrechten, wie der gescheiterten.