Heidelberg, 28. November. (red/sl) Seit den Anschlägen auf Paris stehen Muslime zunehmend im Generalverdacht. Wie eng ist die Verbindung zwischen Islam und Terrorismus? Ethem Ebrem ist Vorsitzender der muslimischen Initiative Teilseiend e.V. – im Interview erläutert er, weswegen er teils Verständnis für Angst und Skepsis gegenüber Muslimen hat. Eine Diskriminierung allein aufgrund des Glaubens dürfe dennoch nicht stattfinden – denn der IS bedrohe auch die Werte des Islam.
Interview: Sandra Ludwig
Herr Ebrem, die Initiative Teilseiend hat sich nach Attentaten von Paris entsetzt gezeigt und in einer Stellungnahme ihr Beleid ausgedrückt. Was war Ihre Motivation dafür?
Ethem Ebrem: Die Initiatoren und ich waren zunächst starr vor Schock angesichts der schrecklichen Ereignisse – man müsste schon der Ideologie des IS anhängen, um das anders zu empfinden. Einige von uns haben sich gleich am darauf folgenden Samstag getroffen, intensiv ausgetauscht und uns dann zu einer Stellungnahme entschlossen. Allerdings möchte ich klar stellen, dass wir zu keiner Zeit das Gefühl hatten, uns von den Attentaten distanzieren zu müssen. Wir als muslimische Initiative fühlen uns eng verbunden mit unseren gesellschaftlichen Werten, die der IS am 13. November angegriffen hat – die Terroranschläge waren also auch ein Angriff auf uns.
Nach islamistischen Terroranschlägen in Europa erwarten einige Teile der Bevölkerung, dass muslimische Institutionen auf Abstand zu den Attentätern gehen. Da dies nicht die Motivation für die Stellungnahme Ihrer Initiative war, was war es dann?
Ethem Ebrem: Teilseiend ist als Initiative eine zivilgesellschaftliches Bemühen. Ich finde, dass die Auseinandersetzung mit religiös motiviertem Fanatismus eine Pflicht der Zivilgesellschaft ist, wie der Umgang mit jeglichen anderen Extremismen – wir müssen Fanatikern die Grenzen aufzeigen. Als Initiative haben wir uns eingehend mit dem Thema religiöser Extremismus beschäftigt, unter anderem durch eine Vortragsreihe in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung. Es gibt neben den Terroristen ja auch Extremisten, die die Ideologie vertreten, aber nicht zur Waffe greifen. Den Gruppierungen darf man nicht einfach ruhig zusehen. Wenn man es als muslimische Initiative schafft, die „stillen“ Sympathisanten für freiheitliche Werte und Demokratie zu gewinnen, gräbt man den gewaltbereiten Extremisten automatisch das Wasser ab.
Austausch muss stattfinden
Angesichts des islamistischen Terrors besteht die Gefahr, dass Muslime in Sippenhaft genommen werden. Haben Initiatorinnen Ihres Vereins nach den Attentaten von negativen Reaktionen berichtet, wenn sie sich öffentlich zum Islam bekannten?
Ethem Ebrem: Ja, zwei Mitinitiatorinnen, die Kopftuch tragen, haben traurige Erfahrungen gemacht. Direkt am Samstag nach den Attentaten sind sie auf der Heidelberger Hauptstraße beschimpft worden: „Immer diese Kopftuchfrauen! Geht nach Hause!“ – solche Sachen. So etwas ist aber schon vor dem 13. November vorgekommen und unabhängig von den Ereignissen. Trotz der Diskussion über eine Feindlichkeit gegenüber Muslimen darf man den eigentlichen rassistischen Gedanken dahinter nicht unterschätzen – ich sehe mich meist wegen meinem Äußeren diskriminiert, nicht wegen meiner Religion. Natürlich habe ich Verständnis für Sorgen und Unsicherheiten gegenüber Muslimen, die durch religiös motivierten Terror entstanden sind – für Diskriminierung hingegen nicht! Oft fehlen Leuten mit Ressentiments die Kontakte zu Muslimen. Es muss deshalb zu mehr Austausch kommen – wir müssen uns zusammensetzen und reden.
Ihrer Initiative ist dieser Austausch zwischen Religionen und Kulturen ein wichtiges Anliegen. Welche konkreten Aktionen planen Sie, um ihn zu unterstützen?
Ethem Ebrem: Mir ist es wichtig, dass wir langfristig ein Miteinander etablieren. Dafür engagiert sich unsere Initiative in Heidelberg. Von Seiten der Öffentlichkeit heißt es oft: „Wann beginnen Muslime, sich endlich gegen Extremisten einzusetzen?“. Dabei setzen sich Muslime jetzt schon ein und geben auch Hinweise ab, wenn sie Gefahren erkennen – sie werden aber von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, vielleicht auch, weil das Vertrauen fehlt. Aber wie sollte es auch zustande kommen? Schauen Sie sich die Lage von Moscheen in Heidelberg an: Sie sind in Randgebiete ausgelagert. So kann es kaum zu gesellschaftlichem Austausch kommen. Einmalige Aktionen mit Symbolkraft bringen auf die Dauer nichts. Wir wollen, dass das muslimische Gemeindeleben Teil des Heidelberger Stadtlebens wird und auch städtebaulich von den Randbezirken ins Zentrum verlagert wird. Diese Räume sollen dann der gesamten Bevölkerung zugänglich sein. Das Resultat wären mehr Berührungspunkte mit der nicht-muslimischen Stadtbevölkerung, die zum Abbau von Ängsten und Vorurteilen auf beiden Seiten führen könnten. Anfang Dezember setzen wir uns mit der Stadt Heidelberg zusammen, um das Projekt zu besprechen.
Religion als gesamtgesellschaftliches Thema
Ihre Initiative läuft auf regionaler Ebene. Wie könnte die Landes- und Bundespolitik diesen Austausch fördern? Sind Tagungen wie die Deutsche Islamkonferenz vielleicht ein Mittel, mehr gegenseitiges Verständnis zu entwickeln?
Ethem Ebrem: Auf lange Sicht müssen muslimische Verbände professionalisiert werden. Dafür müssen sich Politik und Muslime gegenseitig unterstützen, auch wenn das heute noch oft schwerfällt, denn das Thema muss gesamtgesellschaftlich angegangen werden. Eine Initiative wie die Deutsche Islamkonferenz ist sinnvoll. Allerdings wurde dort das Thema Extremismus massiv in den Vordergrund gestellt – ich hatte den Eindruck, dass es sich eher um eine „Sicherheitskonferenz“ als einen Dialog zwischen staatlichen und muslimischen Vertretern handelte. Das verdeutlicht die Situation des Islam in Deutschland ganz gut – wir sind noch nicht bei der Normalität anderer religiöser Gruppen angelangt. Stattdessen besteht viel Bedarf für einen aufrichtigen, gegenseitigen Austausch. Man darf nicht vergessen, dass sich extremistisches Denken oft bei den Menschen festsetzt, die von der Gesellschaft diskriminiert und ausgeschlossen werden.
Info: Erklärtes Ziel der Initiative Teilseiend e.V. ist es, ein neues Miteinander zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu fördern. Die Realität gelebten muslimischen Glaubens soll in Heidelberg auch städtebaulich präsent gemacht werden, so eine Forderung. Dadurch könnten Muslime einerseits eine Heimat in Heidelberg finden, andererseits soll dadurch ein Raum entstehen, in der sich Heidelberger über die Konfessionen hinweg begegnen und Vorurteile abbauen. |