Mannheim, 08. Mai 2015. (red/me) Die Bahn installiert 77 Kameras am Hauptbahnhof und begründet dies mit der Terrorgefahr und als Präventionsmaßnahme. Am 11. Januar diesen Jahres demonstrierten rund 1.200 Menschen in Mannheim und bundesweit noch viel mehr für Frieden und Freiheit. Für den Erhalt der Pressefreiheit. Doch der allgemeinen Handlungsfreiheit lässt man sich tatenlos berauben. Im Kampf gegen den Terrorismus ist alles erlaubt. Eine Demo gibt es diesmal nicht.
Kommentar: Mathias Meder
Als die Terroristen von Paris die Redaktionsräume von ‘Charlie Hebdo’ stürmten und ihren Angriff auf die Pressefreiheit inmitten Europas starteten, da trieb der Widerstand tausende Menschen auf die Straße. Selbst Regierungschefs bekannten sich zur Pressefreiheit als schützenswertes Gut. Sie steht in Artikel 5 unseres Grundgesetzes. In Mannheim versammelten sich vor dem Rosengarten rund 1.200 Bürgerinnen und Bürger und applaudierten den Worten der Redner aller Parteien. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz sprach damals:
Deshalb ist es so wichtig, uns nicht von der Angst leiten zu lassen. „Je suis Charlie“ heißt: Es ist egal, wen ihr trefft. Die Freiheit lassen wir uns nicht nehmen. Wir werden nicht schweigen!
Bis Juli sollen nun am Mannheimer Hauptbahnhof 77 Kameras der Bahn in Betrieb genommen werden. Drei Kameras der Polizei sind bereits seit Jahren vor dem Hauptbahnhof installiert und filmen die Reisenden. Es wird kaum einen Fleck geben, der nicht überwacht sein wird. Begründet wird das mit der aktuellen Gefährdungslage des Terrosrismus. Keine konktrete Gefahr – aber es könnte ja…
Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Oder eben mit Kameras auf Tauben im Hauptbahnhof. Denn dass damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger, abgeleitet aus Artikel 2 des Grundgesetzes, mit Füßen getreten wird, interessiert kaum einen. Im Sicherheitsausschuss der Stadt gibt es Lippenbekenntnisse, aber der große Aufschrei bleibt längst aus. Es wird keine Demo geben wie im Kampf für die Pressefreiheit.
Wann kommt der nächste Schritt?
Der nächste Schritt hin zu George Orwells Überwachungsstaat ist schon vorauszusehen. Denn wenn die Verantwortlichen der Bahn und der Bundespolizei mit 77 Kameras im Hauptbahnhof ein Bollwerk gegen den Terrorismus bilden wollen, liegt es doch auf der Hand, dass bald auch die Stadtverwaltung, die Krankenhäuser, die Schulen, Kindergärten und andere mögliche Anschlagsziele in die Terrorabwehr integriert werden müssen. Ok, da gibt es noch ein paar Landes- und Bundesgesetze, die das aktuell blockieren. Doch der Ruf nach Aufweichung erfolgt regelmäßig.
Die Angst vor Anschlägen lässt ja inzwischen sogar die Datenschutzbeauftragten weich werden. Die Piratenpartei in Mannheim ist auch bereits Geschichte. Und die bislang einzige Klage gegen die Einführung von öffentlicher Kameraüberwachung in Mannheim liegt inzwischen 13 Jahre zurück. Dagegen wirbt jede Woche ein anderer Discounter selbst in den Großstädten für den Kauf von Wildtierüberwachungsgeräten, die man überall dort aufhängen kann, wo man es für sinnvoll erachtet.
Videokameras senken keine Kriminalität
Wer für die Pressefreiheit auf die Straße geht, aber nicht verstehen will, dass auch die übrigen Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes zu achten und zu bewahren sind, der springt zu kurz. Und wer wie Bahn und Bundespolizei so tut, als könne man mit Hilfe von Kameras Anschläge, Kriminalität und Vadalismus verhindern, der will uns für dumm verkaufen. Wer ein Verbrechen begehen will, der wird immer einen Ort und ein Mittel finden. Verhindern können so etwas nur aufmerksame Menschen, die auch mal Zivilcourage beweisen.
In Mannheim gibt sogar Polizeipräsident Thomas Köber seit Jahren offen zu, dass Kameras nur dazu beitragen, dass die Delikte eben woanders stattfinden. Für die letztendliche Logik, die Kameras flächendeckend zu installieren, fehlt der Politik noch der Mut. Maßnahmen wie die 77 Kameras im Mannheimer Hauptbahnhof hingegen zeigen den Mut derjenigen, die im Rahmen bestehender Gesetze jeden erdenklichen Spielraum ausnutzen, um die lückenlose Überwachung öffentlicher Räume zu schaffen. Doch auch mit mehr Kameras wächst nur die Unsicherheit, nicht die Sicherheit.
George Orwellt hat bereits 1948 mit seinem Roman “1984” vor dem Überwachungsstaat gewarnt, in dem es keine Privatspähre mehr gibt. Was es langsam mal bräuchte, wäre der Mut der Bürgerinnen und Bürger, sich mit Schildern vor dem Hautbahnhof zu stellen, auf denen steht: “Nous sommes Orwell”.
Anm. d. Red.: Mathias Meder ist hauptberuflich Handelslehrer und war grüner Stadtrat in Mannheim. Seit vergangenem Herbst arbeitet er als Freier Mitarbeiter unserer Redaktion zu.