Rhein-Neckar, 27. Juni 2016. (red/pro) Muss man jemandem die Hand geben? Ist es grob unhöflich, dies nicht zu tun? Ist der Handschlag ein „deutscher Brauch“? Welcher Brauch hat Vorrang, wenn die Bräuche unterschiedlich sind? Der verweigerte Begrüßung gegenüber einer Lehrerin durch Handschlag von zwei muslimischen Schülern in der Schweiz hat ebenso wie der verweigerte Handschlag eines Imams in Berlin für Aufregung gesorgt. Warum eigentlich?

Von Rufino – hermandad – friendship, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7783936
Von Hardy Prothmann
Der Druck ist fest, aber nicht zu fest, die Haut weder rau noch feucht. Der Griff der Hände dauert wenige Sekunden. Es wird kurz geschüttelt. Die Hände lassen sich gleichzeitig los. Der ideale Handschlag ist vollzogen. Ein gebräuchliches Begrüßungsritual in Deutschland.
In Amerika treffen sich zwei Fäuste wie bei einem Schlag, aber verlangsamt. Oder Fingerspitzen klopfen sich ab. Oder Handflächen – Ausführungsvarianten gibt es zahlreiche. Junge Leute, insbesondere Männer greifen die Hände so, dass die Daumen sich verschränken und die Handgelenke wie beim Armdrücken umschlossen werden.
Die Kommunisten pflegten den Bruderkuss. Die Italiener bringen die Köpfe zusammen, deuten einen Bacio an, küssen aber nicht wirklich. In vielen Ländern wird die rechte Hand zum Herz geführt. Mal mit, mal ohne leichte oder tiefe Verbeugung.
Im chinesischen Kaiserreich machte man den Kotau – in knieender Haltung brachte man den Kopf zu Boden. Sogar drei Mal. Und unter den Nazis ersetzte der Hitlergruß den Handschlag.
Im früheren Deutschland waren der „Diener“ (Männer) und der „Knicks“ (Frauen) Standard. Der feine Handkuss des Herrn gegenüber der Dame ist, nun ja, antiquiert.
Soldaten führen die flache rechte Hand zur rechten Stirn bei rechtwinklig abgestelltem Ellbogen. Karnevalisten führen die rechte Hand abgewinkelt zur linken Stirn, um diesen militärische Gruß zu karikieren.
Es gibt kein Recht auf Handschlag
Es gibt nirgendwo in demokratischen und offenen Gesellschaften ein Gesetz, das vorschreibt, wie man sich zu begrüßen hat. Was also soll die Aufregung, wenn sich jemand weigert, die Hand zu geben? Mal abgesehen davon, dass das Hände-Geben mit die größte Übertragungskapazität an Bakterien und Viren mit sich bringt und man sich nach jedem Händedruck eigentlich gründlich die Hände waschen sollte.
Und trotzdem – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber mir gefällt der Handschlag als Begrüßung. Man berührt einen Menschen. Man fasst ihn an und „begreift“ ein wenig von ihm. Man signalisiert, dass man keine Scheu hat. Man tritt in Kontakt und wahrt trotzdem Distanz. Und natürlich „begreift“ auch das Gegenüber etwas einen selbst.
Die Verweigerung des Handschlags durch Schüler in der Schweiz und einen Iman in Berlin gegenüber Lehrerinnen – was soll man davon halten? Ist es Ausdrucks des Respekts von Männern vor Frauen, wie diese behaupten oder genau das Gegenteil? Welcher Brauch hat „mehr Recht“? Der islamische oder der deutsche? Kann man ein Verhalten aus religiösen Gründen mit einem aus kulturellen Gründen vergleichen?
Ist es wirklich ein Skandal, wenn der Handschlag verweigert wird? Ich meine ganz klar nein. Aber es ist ein Bekenntnis. Wer sich so verhält, will den Abstand und manifestiert ihn. Der Denkfehler, wenn „Respekt“ als Grund genannt wird, ist, dass derjenige, der angeblich „respektiert“, gerade nicht respektiert. In dem Schweizer und Berliner Fall wollten die Frauen den Handschlag als „Respektsbezeugung“ – und die wurde ihnen verweigert. Respekt wird also fremd definiert – in diesem Fall durch islamische Männer.

Mit demonstrativ verschränkten Armen verweigert der SPD-Abgeordnete Wolfgang Drexler der AfD-Abgeodneten Christina Baum den Handschlag. Quelle: SWR
Zu Beginn der neuen Legislatur verweigerte der SPD-Politiker Wolfgang Drexler der AfD-Politikerin Christina Baum die Hand – wieder zeigt ein Mann einer Frau, wo es langgeht. Dieses Mal nicht religions motiviert, sondern politisch. Ist das korrekt? Warum war diese Verweigerung kein Skandal? Weil es guter deutscher Brauch ist, jemandem von der AfD nicht die Hand zu geben? Weil man durch dieses Verhalten Ablehnung zum Ausdruck bringen will? Ist das schon deutsche Unkultur? Handelt man so „souverän“ oder einfach nur blöd?
Ganz erstaunlich an all den Aufregungen über „Gesten“ und „Bräuche“ ist, dass es um rudimentärste Verhaltensweisen geht. Die Aufregung um solche Verhaltensweisen ist archaisch. Es geht nicht um die Sache, nicht um Inhalte – es geht um „Abweichung“ von einer vermeintlichen Norm.
Und tatsächlich haben Gesten oft einen viel größeren Einfluss, eine viel intensivere Sprache, als die längsten, seriösesten und treffendsten wissenschaftlichen Analysen. Sie möchten ein Beispiel? Im Dezember 1970 kniete Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Der Kniefall von Willy Brandt vor dem Kriegerdenkmal in Polen war weder ein Kotau, noch eine sonstige Unterwerfung. Der Altkanzler ging auf die Knie angesichts einer historischen Schuld. Und er hat damit eine Größe bewiesen, die tatsächlich Geschichte geschrieben hat. Und wie reagierte Deutschland damals? Es diskutierte die Frage, ob Brandt „knien durfte“.
Merke: Gesten können große Folgen haben und werden immer wieder diskutiert.
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Ihr
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