Stuttgart/Südwesten, 22. November 2016. (red/cr) Im Zuge der Haushaltsberatungen gab es im Oktober eine „Schockmeldung“: Ausbau der Ganztagsschulen, Inklusion und Einführung des Faches Informatik ab Klasse 7 – alles gestoppt. Der Grund: Lehrermangel. Die Empörung war groß. Kurz vor dem Beschluss des Haushaltsentwurf konnte dann doch noch ein Kompromiss gefunden werden. Ob der allerdings wirklich ohne Qualitätsverlust auskommt, ist fraglich.
Von Christin Rudolph
Bei den Planungen für den Haushalt Baden-Württembergs sorgte im vergangenen Oktober eine Ministerin für Aufsehen: Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte angekündigt, wegen Lehrermangels den Ausbau von drei zentralen bildungspolitischen Maßnahmen ab dem Schuljahr 2017/2018 auszusetzen.
Es fehlten nämlich Stellen für den Ausbau der Ganztagsschulen und der Inklusion sowie für die Einführung des Faches Informatik ab Klasse 7. Am 18. Oktober hatte Frau Eisenmann der Deutschen Presse Agentur gesagt:
Wir hätten fast 500 Stellen zusätzlich gebraucht, die die Haushaltskommission aber nicht beschlossen hat.
In der Presse, bei Fachleuten und Eltern hatte diese Ankündigung für großen Unmut gesorgt. Auf Ganztagsschulen und Inklusion besteht ein Rechtsanspruch.
Kurzfristiger Kompromiss
Offenbar haben diese Reaktionen etwas bewirkt. Denn am 23. Oktober, kurz bevor der Haushaltsentwurf beschlossen werden sollte, verkündete das Kultusministerium: „Ausbau der Inklusion und der Ganztagsschulen mit zusätzlichen Mitteln gesichert“.
Ich bin mit dem Ergebnis der Gespräche sehr zufrieden. Wir können die von uns vorgesehenen Programme umsetzen, ohne dass es einen Qualitätsverlust gibt,
wird Kultusministerin Eisenmann zitiert. Kurz vor knapp haben sie und die Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) doch noch einen Kompromiss gefunden. Ob der allerdings, wie Frau Eisenmann sagt, wirklich ohne Qualitätsverlust auskommt, ist fragwürdig.
320 statt 500 benötigten Stellen
Denn statt den von Frau Eisenmann geforderten 500 Stellen wird es im Schuljahr 2017/18 nur 320 zusätzliche Stellen geben.
Um zu verstehen, warum sich die Ministerin trotzdem so zufrieden zeigt, muss man die Details der „Rechnung“ betrachten: Von den 320 zusätzlichen Stellen sind 160 für den Ausbau der Inklusion, 100 für den Ganztagsausbau und 60 für den Einstieg in das Fach Informatik vorgesehen.
160 Stellen werden vom Projekt zur Erweiterung der Stundentafel in den Grundschulen in einem Zug in Klasse drei und vier „abgezogen“ und für die Inklusion genutzt.
160 Stellen für die Inklusion
Der neue Bildungsplan im Schuljahr 2017/2018 greift zunächst aufwachsend nur in Klasse 3. Das bedeutet, die Kinder, die im Schuljahr 2017/2018 in der dritten Klasse sind, bekommen eine zusätzliche Wochenstunde.
Erst wenn diese Kinder in die vierte Klasse kommen, also im Schuljahr 2018/2019, werden diese Lehrerstellen auch in der vierten Klasse gebraucht.
Das wurde in früheren Planungen nicht eingerechnet. Daher sind die Hälfte der dafür berechneten Stellen – 160 von 320 – im Schuljahr 2017/2018 noch „frei“ und können für die Inklusion verwendet werden.
100 Stellen für den Ausbau der Ganztagesschulen
Beim Thema Finanzierung der Stellen für Ganztagsschulen spielt dem Kultusministerium das aktuelle Verhalten der Schulen in die Hände: In früheren Schätzungen war man davon ausgegangen, 180 Stellen für den Ausbau der Ganztagsschulen zu benötigen.
Tatsächlich haben aber weniger Schulen Anträge gestellt als vom Kultusministerium erwartet. Die Frist für solche Anträge ist der 01. Dezember.
Wenn sich der Trend des Abwartens unter den Schulen fortsetzt, werden nach Hochrechnungen des Kultusministeriums insgesamt 100 Lehrerstellen für den Ausbau der Ganztagsschule gebraucht – 80 weniger als erwartet.
60 Stellen für Informatikunterricht
Die größten Eingeständnisse musste die Kultusministerin bei der Einführung des Faches Informatik ab der 7. Klasse machen. Mit 60 nun vorhandenen Stellen wolle man anfangen, so ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. Weiter:
Da musste man schon Abstriche machen. Die Ministerin betont aber auch immer wieder, dass sie mit dem Kompromiss zufrieden ist.
Aktuell werde ein neues Konzept ausgearbeitet, wie man diese wenigen Stellen effizient einsetzt. Doch woher kommt das Geld, das Mitte Oktober noch nicht verfügbar war?
Woher kommt das Geld?
Die Finanzierung erfolgt über verwendbare Stellen aus dem Jugendbegleiter-Programm und der frühkindlichen Bildung. In diesen Programmen fehlen die Stellen nicht, da sie „gesperrt“ sind.
Das bedeutet, sie dürfen zunächst nicht verwendet werden und können daher vom Finanzministerium für das Schuljahr 2017/2018 „in Geld umgewandelt werden“.
So ergeben sich für die ersten vier Monate des Schuljahrs 2017/2018 drei Millionen Euro und für den Rest des Schuljahres im Jahr 2018 sechs Millionen Euro. Die Summe von neun Millionen Euro ist der Gegenwert von 160 Lehrerstellen für das gesamte Schuljahr 2017/2018.
Kommunikation verbesserungswürdig
Für das Schuljahr 2017/2018 sind also die bildungspolitischen Projekte Informatik ab Klasse 7 sowie Ausbau der Ganztagsschule und der Inklusion mit Abstrichen gesichert – in letzter Minute.
Bleibt zu hoffen, dass die Landesregierung Lehren aus diesem öffentlichkeitswirksamen Konflikt zieht und die verschiedenen Minister und Ministerinnen in Zukunft besser einbezieht.
Zur Gewohnheit können solche Last-Minute-Kompromisse nicht werden.