Mannheim, 19. September 2016. (red/cr) Für ausländische Fachkräfte ist es auch bei guter Qualifizierung nicht immer leicht, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Im Bereich Betriebswirtschaftslehre gibt es nun eine Brückenmaßnahme, die Wissen, aber auch kulturelle und sprachliche Kompetenzen vermitteln soll. Die ersten 18 Teilnehmer profitieren bereits von dem Projekt.
Von Christin Rudolph
Der demografische Wandel und seine Konsequenzen werden in der deutschen Wirtschaft immer präsenter.
Seit Jahren wird von verschiedensten Unternehmen und Institutionen immer wieder betont, wie dringend Fachkräfte aus dem Ausland gebraucht werden.
Doch selbst bei hoher fachlicher Qualifizierung ist es für Ausländer oft schwer, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Denn bei einem ausländischen Berufsabschluss wissen viele Unternehmen nicht, was die Person tatsächlich kann und was nicht.
Daher müssen viele ausländische Fachkräfte zunächst als Hilfskräfte arbeiten und können ihre Kenntnisse nicht einbringen. Das bringt Nachteile für den Einzelnen, das Unternehmen und den gesamten Arbeitsmarkt.
Unsicherheit für Betriebe
Für manche Abschlüsse lassen sich Gleichwertigkeitsprüfungen durchführen. Doch nicht für alle. Wirtschaftsbürgermeister Michael Grötsch (CDU) sagte dazu:
Für viele wirtschaftswissenschaftlichen Berufe gibt es keine Gleichwertigkeitsprüfung. Das führt zu Unsicherheit bei den Betrieben.
Auch in Mannheim, der “Hochburg der BWL”, bleibe deshalb viel Potential ungenutzt.
Drei Jahre Brückenmaßnahme
Deswegen haben die Stadt Mannheim und das IQ Netzwerk Baden-Württemberg gemeinsam die Brückenmaßnahme “Anpassungsqualifizierung Betriebswirtschaftslehre für internationale Fachkräfte” entwickelt.
Seit dem 22. September lernen 18 Teilnehmer des dreijährigen Projekts “harte” und “weiche” Fakten: Bei der Graduate School Rhein-Neckar werden BWL-Grundlagen aufgefrischt.
Vor allem Rechtliches ist hier entscheidend, denn die Gesetzeslage unterscheidet sich von Land zu Land.
Kulturelle und fachliche Unterschiede
Hüseyin Ertunc, Projektleiter beim IQ Netzwerk Baden-Württemberg, macht klar, wie sehr die Unterschiede in der Ausbildung den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren:
Auch ein Bachelor aus Harvard hätte Schwierigkeiten, im deutschen Arbeitsmarkt unterzukommen.
Das Welcome Center Rhein-Neckar beziehungsweise die Heidelberger Dienste gGmbH führen Bewerbungstrainings durch, machen auf die Besonderheiten der deutschen Unternehmenskultur aufmerksam und vermitteln sprachliche Kenntnisse.
Erfolgreiche Vermittlung
Es schließen sich Praktika bei regionalen Arbeitgebern an, die im Optimalfall in eine Beschäftigung übergehen. Der erste Praktikumsplatz wurde vom Unternehmen Diringer & Scheidel angeboten und ist bereits besetzt.
Roberta Biasuz Fagherazzi wird das Praktikum am 07. November beginnen. In ihrem Heimatland Brasilien machte sie einen Bachelor in BWL und später ihren Master mit dem Schwerpunkten Management und Personalwesen.
Obwohl sie erst seit einem Jahr in Deutschland lebt spricht sie schon gut deutsch.
Große Chance
Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass die Anerkennung eines ausländischen Abschlusses sehr lange dauern kann. Umso mehr freut sie sich, dass sie am Pilotprojekt teilnehmen kann.
Das Projekt ist eine große Chance.
Vor allem die deutschen Fachtermina und das Kennenlernen der Kultur seien ihr wichtig.
Achim Ihrig, Mitglied der Geschäftsleitung von Diringer & Scheidel und verantwortlich für den Dienstleistungsbereich, sieht in der Kooperation auch Chancen für sein Unternehmen. Denn auf den demografischen Wandel müsse man jetzt schon reagieren.
Wir benötigen dringend internationale Fachkräfte.
Gegenseitiges Lernen
Daher versuche das Unternehmen mit 3.000 Mitarbeitern in der Region jetzt schon, viele Fachkräfte selbst auszubilden und zu übernehmen.
Von der Brückenmaßnahme erhoffe er sich, dass das Unternehmen besser verstehen lernt, wie ausländische Abschlüsse zu bewerten sind und dieses Wissen in Zukunft beim Umgang mit internationalen Fachkräften anwenden kann.
Auch die Stadt Mannheim hofft, mit der Brückenmaßnahme die bisher oft ungenutzten Potentiale ausländischer Fachkräfte einsetzen zu können und damit für beide Seiten einen Gewinn erzielen zu können.
Praktikum bei der Stadt
Der Arbeitsmarkt profitiert von qualifizierten Fachkräften und die Fachkräfte bekommen eine ihrer Qualifizierung entsprechende Stelle, was wiederum ein Beitrag zu ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft sein kann.
Die Stadt bietet selbst zwei Praktikumsplätze für Teilnehmer des Programms an. Über ein Praktikum in der Stadtverwaltung freut sich Katarzyna Wegrzynowicz aus Polen.
Nachdem sie vor zwei Jahren nach Deutschland kam, belegte sie sofort einen Deutschkurs und spricht mittlerweile gut und verständlich.
100 prozentige Förderung
An den Kursen der Brückenmaßnahme findet sie vor allem gut, dass nicht nur Theorie vermittelt wird, sondern sie auch Einblicke in die Strukturen deutscher Unternehmen bekommt.
Finanziert wird das Pilotprojekt zu 100 Prozent aus Mitteln des Förderprogrammes “Integration durch Qualifizierung” des IQ Netzwerks.
Die regionale Maßnahme wird unter anderem unterstützt von der Wirtschaftsförderung der Stadt Heidelberg und des Rhein-Neckar-Kreises, den regionalen Agenturen für Arbeit und dem Jobcenter Mannheim. So entstehen den Teilnehmern der Brückenmaßnahme keine eigenen Kosten.
Hoffentlich mehr Unternehmen
Die Kooperationspartner freuten sich über den bisherigen Erfolg und zeigten sich zuversichtlich über den weiteren Verlauf. Wirtschaftsbürgermeister Grötsch sagte:
Es wird wesentlich mehr Unternehmen geben, die Interesse zeigen.
Einen zweiten Durchgang wolle man bereits im März nächsten Jahres starten. Die Stadt Mannheim drückte schon jetzt den Wunsch aus, das Pilotprojekt in eine ständige Maßnahme zu überführen.