Kreis Bergstraße/Rhein-Neckar, 21. Januar 2014. (red/ld) Die FAS-Redakteurin Antonia Baum bescherte mit ihrem Schmähartikel über die von ihr bezeichneten „Odenwaldhölle“ dem Landkreis Bergstraße eine heiße Debatte und – indirekt – eine neue Imagekampagne: „Ich bin ein Odenwälder“ erklärt Landrat Matthias Wilkes seit Freitag auf seinem Auto. Für 50 Cent pro Stück werden die Aufkleber in den Rathäusern der Odenwald-Gemeinden sowie in den Touristeninformationen verkauft. Der Erlös soll einem neunjährigen Mädchen zu Gute kommen, das seit ihrer Geburt körperlich behindert ist. Von Lydia Dartsch
In der Neujahrsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) beschrieb Antonia Baum mit „Dieses Stück Germany“ ihre Jugend in der „Enge“ und „Einöde“ des Odenwalds. Hätte sie ihren Heimatort nicht verlassen, wäre sie Drogendealerin geworden oder gestorben, schreibt sie in dem Artikel.
Gezielt, gefeuert, getroffen: Der Artikel schlug ein wie eine Bombe. Landrat Matthias Wilkes verlangte in einem offenen Brief eine Richtigstellung, bezeichnete den Text als „bodenlose Frechheit“. Bei uns erhielt die Veröffentlichung der Stellungnahme 1.500 Facebook-Likes.
Der Text tauge als Schullektüre, antwortete FAZ-Feuilletonchef Claudius Seidl. Er reihe sich ein in das literarische Genre der Gebietsbeschimpfungen. Dies bestätige die Qualität des Odenwalds als literarische Landschaft.
Als „nicht sonderlich originell“ bewertete hingegen der Germanist und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Jochen Hörisch von der Universität Mannheim den Text im Interview mit uns. Als geradezu paradiesisch, also als genaues Gegenteil der Hölle, beschreibt Landrat Wilkes den Odenwald auf das FAZ-Schreiben in seiner Stellungnahme:
Wir können unserem Herrgott vielmehr dankbar sein, dass er gerade für Familien und Kinder weiterhin einen Platz bereithält, an dem in engem sozialen Zusammenhalt Werteorientierung und Wertmaßstäbe noch vermittelt und gelebt werden und damit gerade für junge Menschen eine ideale Basis und Grundlage darstellen, stabile Persönlichkeiten zu entwickeln.
Die Region biete viele kulturelle und Freizeitangebote. Zudem gebe es viel Natur. Im Vergleich zu Berlin, sei es ein Privileg im Odenwald zu leben, schreibt der Landrat und führt als Argument an, dass sogar ein Medizinnobelpreisträger und der Formel1-Weltmeister Sebastian Vettel sich die Region als Lebensmittelpunkt ausgesucht haben. Das sage viel über die Qualität aus, heißt es in der Antwort von Landrat Wilkes.
Egal, ob man mit einem solchen Text eine ganze Region und die Menschen, die gerne darin leben derart verunglimpfen darf oder ob der Text gar als Schullektüre taugt. Als Lehrstück könnte der Fall durchaus dienen: Nicht nur, weil er Frau Baum für kurze Zeit ein bisschen mediale Aufmerksamkeit beschert und sie in ihrer alten Heimat weniger berühmt als berüchtigt gemacht hat.
Indirekt bescherte die Feuilletonistin dem Odenwald einen Imagekampagne – zumindest einen Anfang hierfür. Denn die Region bekam dadurch nicht nur selbst viel Aufmerksamkeit. Man stellte fest, dass man an der Außenwirkung arbeiten muss.
1.000 Aufkleber in 45 Minuten vergriffen
„Ich bin ein Odenwälder“ soll deshalb künftig auf den Autos von Einheimischen und Besuchern des Odenwalds zu lesen sein. Seit Freitag gibt es den Aufkleber mit Herz-Apfel-Motiv in den Rathäusern der Odenwald-Gemeinden und Touristeninformationen für 50 Cent zu kaufen. Landrat Matthias Wilkes war der Erste, der am Freitag seinen Wagen mit dem Aufkleber versah. Die restlichen 999 Aufkleber der ersten Auflage waren bereits nach 45 Minuten vergriffen. Das Landratsamt ließ 2.000 Aufkleber nachdrucken. In einer Pressemitteilung schrieb Landrat Wilkes gestern, wie sehr ihn dieser Zuspruch freue:
Es ist sensationell, wie viele Odenwälder sich mit Ihrer Region identifizieren und den wunderbaren Aufkleber den Mitarbeitern in den Rathäusern geradezu aus den Händen reißen.
Der Erlös des Aufklebers kommt der neunjährigen Joline Kolb zu Gute, die von Geburt an körperlich behindert ist. Sie ist die Tochter der ersten Apfelprinzessin Jeanette Kolb aus Grasellenbach. Das Geld soll für Therapiezwecke verwendet werden, heißt es dazu in der Ankündigung des Landratsamts. Die heute neunjährige Joline sei als Frühchen zur Welt gekommen. Kurz nach der Geburt war eine zelebrale Bewegungsstörung – eine nicht heilbare Lähmung – diagnostiziert. Seit ihrem sechsten Lebensjahr sitzt Joline im Rollstuhl, so die Pressemitteilung.
Nach heutigem medizinischen Stand werde sie niemals laufen können. Ihre Familie habe dies vor Herausforderungen gestellt. Eine davon sei gewesen, das Haus barrierefrei umzubauen. Bereits dabei halfen der Familie verschiedene Spendenaktionen dabei, die dafür notwendigen Ausgaben zu bezahlen.
Ob Frau Baum sich auch einen Aufkleber „Ich bin ein Odenwälder“ besorgt hat, ist nicht bekannt.