Rhein-Neckar/Stuttgart/Berlin/Taipeh, 21. August 2020. (red/kb) Keine zweite Welle, keine Testpflicht, kein Lockdown – und so gut wie keine Infektionen. Wie hat Taiwan das geschafft? Und was könnte Deutschland von Taiwan lernen? Der deutsche Reporter Klaus Bardenhagen lebt und arbeitet seit Jahren in Taiwan. Die Corona-Krise erlebt er nur aus der Ferne und hat für ihn nur einen Nachteil – sein traditioneller Heimaturlaub fällt aus, weil er danach 14 Tage in Quarantäne müsste. Deutschland ist aus Sicht von Taiwan ein Risikogebiet – wie fast alle Länder dieser Welt. Im asiatischen Inselstaat Taiwan lebt es ich gut, es gibt keine Panik, fast alles geht seinen gewohnten Gang. Der Grund ist ein einfacher: Taiwan war im Gegensatz zu Deutschland und den meisten anderen Staaten dieser Welt auf das Virus vorbereitet und hat ihm keine Chance gegeben.
Von Klaus Bardenhagen
Wenn sich in ein paar Jahren alle an ihre Corona-Erlebnisse Zeit erinnern, werde ich daneben sitzen und schweigen – denn ich habe wenig zu erzählen.
Noch immer läuft das Leben für uns hier in Taiwan fast völlig normal weiter, von einer zweiten Welle ist nichts zu sehen. Seit ich vor vier Monaten das erste Mal im Rheinneckarblog berichtete (…was Deutschland von Taiwan lernen könnte) bis heute, als ich diesen Text hier schreibe, ist die Zahl der Infektionsfälle von 427 auf 486 gestiegen.
Taiwaner fühlen sich bei ihrer Regierung in guten Händen
Die Zahl der mit dem Coronavirus Gestorbenen stieg von sechs auf sieben. Und das bei mehr als 23 Millionen Menschen auf dieser extrem dicht besiedelten Insel.
In Deutschland mit seiner nicht mal viermal größeren Bevölkerung stiegen die Covid-19-Fallzahlen in diesem Zeitraum von 148.000 auf 230.000, die Zahl der Toten von 5.100 auf mehr als 9.200. Ich lebe also – zumindest in Sachen Corona – auf einer Insel der Seligen. Wie ist das möglich?
Dass Deutschland die Pandemie besser in den Griff bekommen hat als viele andere ist unstrittig – dass es aus Sicht von Ländern wie Taiwan (oder auch Neuseeland, das neulich einige Wochen nach uns 100 Tage ohne lokale Infektion melden konnte) trotzdem ein Notstandsgebiet ist, aber auch.

Foto: Bardenhagen
Als neulich eine junge Taiwanerin in Bayern positiv getestet wurde, berichteten Medien hier groß über sie und machten deutlich, dass um die 1.000 Neuinfektionen pro Tag in Deutschland derzeit normal sind. Übrigens machte sich ein Beamter aus dem Münchner Taiwan-Konsulat extra auf den Weg nach Regensburg, um der Erkrankten ein Paket mit Instantnudeln, Masken und Desinfektionsmittel vor die Tür zu legen. Was Corona angeht, fühlen die Taiwaner sich bei ihrer Regierung derzeit in guten Händen.
Gute Vorbereitung, konsequente Quarantäne, Masken für alle – an Taiwans Erfolgsrezept hat sich seit meinem letzten Artikel nichts geändert. Dazu kommt eine kooperative Bevölkerung, denn ein Blick in den Rest der Welt macht den Leuten hier klar, was ihnen erspart geblieben ist.
Kein Kompetenzgerangel
Vom ersten Tag an hatte Taiwan einen Plan gegen die Pandemie und befolgt ihn seitdem konsequent. Am 31.12 begannen Kontrollen von Einreisenden aus der chinesischen Stadt Wuhan, am 20.1. aktivierte die Seuchenbekämpfungsbehörde CDC (https://www.cdc.gov.tw/En) – Taiwans Gegenstück zum RKI – ihr Krisenzentrum, geleitet vom Gesundheitsminister. Der gibt sich seitdem Mühe, jeden Fall und jede Maßnahme transparent und verständlich zu erklären.
Taiwan ist eine Demokratie, und ohne Vertrauen der Bevölkerung gibt es keine Legitimation. Aber was der Krisenstab beschließt, gilt dann auch, und zwar für alle und überall. Einen Flickenteppich unterschiedlicher Zuständigkeiten in Bundesländern und Landkreisen gibt es hier nicht.
Weil das Land so früh reagierte, konnte Taiwan im Januar und Februar die ersten Infektionsketten schnell unterbrechen. Seitdem lautet die oberste Priorität: Das Virus draußen halten und ihm jede Chance nehmen, sich zu verbreiten. Das funktioniert vor allem dank absolut strikter Quarantäneregeln. Wer aus dem Ausland einreist, darf 14 Tage seine Wohnung oder sein Hotelzimmer nicht verlassen. Egal ob Ausländer oder Einheimischer. Egal ob symptomatisch oder scheinbar kerngesund, getestet oder nicht.
Keine Ausnahmen von der Quarantäne

Klaus Bardenhagen lebt seit vielen Jahren in Taiwan und arbeitet dort als Journalist. Vor Ort ist seine größte persönliche Einschränkung, dass er auf seinen jährlichen Heimaturlaub in Deutschland verzichtet, weil Deutschland aus Sicht von Taiwan ein Risikogebiet ist und er damit nach der Rückkehr für 14 Tage in strikte Quarantäne müsste. Foto: Klaus Bardenhagen
Dieser Wachsamkeit habe ich meine bisher größte Einschränkung zu verdanken: Meine jährliche Deutschlandreise fiel diesen Sommer aus. Das liegt nicht an den deutschen Regeln, denn dort gilt Taiwan nicht als Risikogebiet – das wäre ja auch noch schöner. Aber ich dürfte nach meiner Rückkehr halt zwei Wochen das Zimmer nicht verlassen. Setzt man in der Quarantäne nur einen Schritt vor die Tür und wird dabei erwischt, gibt es heftige Geldstrafen. Das galt hier schon, als Deutschland noch Karneval feierte. Nur bei ganz wenigen Ländern reichen inzwischen sieben oder sogar fünf Tage Quarantäne. Deutschland gehört nicht dazu.
Fast die ganze Welt ein Risikogebiet, Quarantäne nach der Rückkehr – kein Wunder, dass kaum ein Taiwaner auf die Idee kommt, für den Urlaub in der Weltgeschichte herumzureisen und damit möglicherweise das Virus einzuschleppen.
Keine Testpflicht
Noch ein Unterschied zu Deutschland: Weil sowieso jeder Einreisende in Quarantäne geht, gibt es in Taiwan auch keine Diskussion um eine Testpflicht. Getestet wird in der Regel nur, wer schon Symptome zeigt oder Kontakt zu einem Erkrankten hatte. Der Gesundheitsminister erklärte neulich, warum: Wenn ein Infizierter sich noch in der Inkubationsphase befinde, seien Tests schlicht zu unzuverlässig, es könnten bei der Einreise „false negatives“ durchs Netz rutschen und für Ansteckungen innerhalb Taiwans sorgen.
Solche einheimischen Infektionen hat es seit Mitte April nicht mehr gegeben. Alle neuen Fälle seitdem brachten das Virus aus dem Ausland mit – und weil sie direkt in Quarantäne gingen, gab es keine neuen Infektionsketten. So kann Taiwan auf eine Corona-Warn-App nach deutschem Vorbild gut verzichten.
Natürlich verhindern diese Regeln jede Form von Tourismus aus dem Ausland, und auch Geschäftsreisende müssen sich derzeit gut überlegen, was es ihnen wert ist, zunächst 14 Tage im Hotelzimmer zu bleiben. Taiwans Wirtschaft leidet trotzdem nicht allzu sehr, denn sie exportiert vor allem High-Tech-Komponenten, die durch die Coronakrise weltweit stärker nachgefragt werden – Stichwort: neues Notebook fürs Home Office. Auch Giant, der größte Fahrradbauer der Welt, macht derzeit gute Geschäfte (https://www.nytimes.com/2020/08/17/business/giant-bikes-coronavirus-shortage.html).
Und weil nun alle Taiwaner im eigenen Land urlauben, sind auch die beliebten Reiseziele ausgebucht. Es gibt einzelne Rufe nach weiteren Einreise-Erleichterungen, etwa für internationale Geschäftsleute oder Studenten. Aber das Quarantäne-System an sich stellt niemand grundlegend in Frage.
Kein Lockdown
Denn – das will ich ruhig noch einmal betonen – der Vorteil der harten Quarantäneregeln und allgemeinen Wachsamkeit ist, dass unser alltägliches Leben in Taiwan die ganze Zeit fast völlig normal weiterlaufen konnte.
Restaurants, Geschäfte und Schulen mussten nicht schließen. Natürlich tragen die Menschen nun noch häufiger Masken als vor der Pandemie sowieso schon. Zu sehen, wie der Westen inzwischen aus gutem Grund diese Angewohnheit übernommen hat, war von Asien aus schon ein besonderes Erlebnis.
Taugt Taiwan also als Vorbild für Deutschland? Ganz ehrlich – in der aktuellen Krise aus meiner Sicht eher nicht mehr. Der Zug ist bereits abgefahren. Die Deutschen müssen schon selbst herausfinden, wie sie ihre Infektionszahlen wieder heruntergedrückt bekommen. Dabei stellen sie sich ja im Vergleich zu vielen anderen Ländern tatsächlich noch einigermaßen gut an.
Deutschland kann für die Zukunft von Taiwan lernen
Aber wenn „Corona“ erst überwunden ist und Begriffe wie SARS-CoV-2 und Covid-19 der Vergangenheit angehören, wollen die Deutschen sich hoffentlich besser rüsten und nicht irgendwann planlos in die nächste Pandemie stolpern.
Auch Taiwan schrieb seine Krisenpläne, von denen es heute profitiert, erst nach schlechten Erfahrungen mit dem ersten SARS-Virus 2003. Vorbereitung und Konsequenz zahlen sich aus – und schaffen Vertrauen.
Für die Zukunft könnte Deutschland von Taiwan einiges lernen.