Speyer/Koblenz/Rhein-Neckar, 20. Oktober 2017. (red/pro) Der Leiter der Außenstelle Speyer des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) hat sich das Leben genommen, wie heute bekannt geworden ist. Zuvor war in der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ über eine Durchsuchung des Standorts durch die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern berichtet worden. Im Bericht wurden der Name des Behördenleiters identifizierend genannt sowie massive Vorwürfe gegen dessen Person geschildert. Drei Tage später war der Mann tot.
Von Hardy Prothmann
Wer sich das Leben nimmt, befindet sich zuvor in einer Ausnahmesituation. Verursacht durch was auch immer. Im Fall des Kurt E. ist der Zusammenhang mehr als deutlich.
Skandalisierter „Anfangsverdacht“
Am Dienstag durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei die Diensträume des LBM Speyer, dessen Leiter Kurt E. seit über zehn Jahren war. Laut Zeitungsbericht gab es einen „Anfangsverdacht“ wegen Abrechnungsbetrugs und Korruption:
Im Zusammenhang mit weitergehenden Unterstellungen hingegen ist der LBM-Chef hingegen der einzige Beschuldigte innerhalb der Speyerer Behörde: Die Ermittler erheben gegen E. (Abk. durch RNB) derzeit auch den Vorwurf der Korruption.
Das ist starker Tobak – vor allem vor dem Hintergrund der geschilderten Ermittlungen. Es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen einem „Verdacht“ und einem „Vorwurf“. Durchschnittsleser, die behördliche Abläufe und Begriffe nicht genau kennen, müssen den Eindruck einer Vorverurteilung haben. Genauso ist der Bericht auch geschrieben. Das Wort „mutmaßlich“ kommt gar nicht erst vor. Ein Hinweis, dass eine „Vorermittlung“ noch gar nichts bedeutet, fehlt vollständig. Man könnte das auch: „Schuldig durch Verdacht“ nennen.
Hendrik Beuke, Pressesprecher des LBM in Koblenz, sagte uns auf Anfrage:
Ich habe Herrn E. noch am Donnerstag hier in Koblenz noch die Hand gegeben. In einem Gespräch war einvernehmlich vereinbart worden, die Amtsleitung ruhen zu lassen, solange unklar ist, wegen was vorermittelt wird und ob es eine tatsächlich Ermittlung mit Anklage geben würde. Herr E. sollte in einem anderen Bereich des LBM weiterbeschäftigt werden.
Die Außenstelle Speyer (insgesamt gibt acht regionale Dienststellen) beschäftigt rund 300 Mitarbeiter und ist für 2.100 Straßenkilometer, Landes- und Bundesstraßen, zuständig. Zu Ungereimtheiten oder Verfehlungen des Herrn E. in Bezug auf dessen Arbeit war Herrn Beuke am späten Freitagnachmittag nichts bekannt: „Die Nachricht macht uns sehr betroffen. Aktuell kann ich keine weiteren Auskünfte erteilen, weil mir solche Dinge nicht bekannt sind und ich wegen des Wochenendes auch niemanden mehr fragen kann. Stand jetzt habe ich keine Kenntnis, dass die Amtsleitung in der Kritik stand oder aufgefallen wäre.“ Herr E., den Herr Beuke sonst als „robust“ bezeichnet, habe auf ihn beim Gespräch am Donnerstag einen den Umständen entsprechend „in sich gekehrten Eindruck“ gemacht.
Am Freitagmorgen wurden die Belegschaft informiert, dass Herr E. die Amtsleitung ruhen lassen werde – da war noch nicht klar, dass Herr E. nie mehr zurückkehren würde.
Von Seiten der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gab es weder eine Meldung zu der Durchsuchung noch zum aktuellen Suizid. Angeblich soll der Leichnam am Freitagmorgen gefunden worden sein.
Überall identifizierende Berichterstattung
Herr E. war kommunalpolitisch aktiv und hatte sich am Mittwoch für das Amt des Kreisbeigeordneten für den Kreis Bad Dürkheim zur Wahl gestellt, diese Kandidatur nach dem Bericht aber kurzfristig zurückgezogen. In seiner Heimatgemeinde E. war Herr E. auch Fraktionsvorsitzender einer Wählerliste und ebenso Mitglied im Kreistag. Der Artikel in der Rheinpfalz thematisierte auch die Kandidatur für das hauptamtliche Amt des Kreisbeigeordneten.
Im Anschluss an die Berichterstattung in der Rheinpfalz berichteten auch andere Medien zur Durchsuchung. Überall wurde identifizierend zur Person Kurt E. berichtet, auch im SWR. Auf eine Anonymisierung derart „gegen einen Mitarbeiter“ (hoher Schutz), „gegen eine Leitungsperson“, „gegen eine Führungsperson“, „gegen einen leitenden Angestellten“ (mittlerer Schutz) oder andere Ausdrücke wurde verzichtet. Damit wurde eine Prangerwirkung nicht nur hingenommen, sondern bewusst erzeugt – auf Basis äußerst vager Informationen.
Perfider Hinweis auf den Pressekodex
Reichlich perfide erscheint dazu die Meldung zum Tod des Mannes in der Online-Ausgabe der Rheinpfalz am Freitag um 16:55 Uhr:
Gemäß Pressekodex verhält sich unsere Redaktion bei Suizidfällen zurückhaltend. Wir berichten in der Regel nicht über sie, um eine erhöhte Nachahmerquote zu vermeiden.
(Auch die Todesmeldung beim SWR enthielt einen ähnlichen Hinweis – der Pressekodex ist ein Instrument der Selbstkontrolle von Print- und Onlinemedien, nicht aber für den SWR.)
Wie gut, dass sich die Redaktion mit dem Pressekodex so gut auskennt. Wie schlecht, dass die Rheinpfalz diesen für die Berichterstattung offensichtlich ausgeblendet hat. Dort heißt es in Ziffer 8:
Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.
Im vorliegenden Fall ist eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchung einer Landesbehörde sicher von öffentlichem Interesse. Auf Basis der vagen Informationen ist ein Überwiegen des öffentlichen Interessen vor schutzwürdigen Interessen des Betroffenen aber nicht erkennbar.
Unter Ziffer 8.1 heißt es:
(1) An der Information über Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit. Es ist Aufgabe der Presse, darüber zu berichten.
Es gab, soweit erkennbar, noch kein förmlich eingeleitetes Ermittlungsverfahren.
(2) Die Presse veröffentlicht dabei Namen, Fotos und andere Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt. Bei der Abwägung sind insbesondere zu berücksichtigen: die Intensität des Tatverdachts, die Schwere des Vorwurfs, der Verfahrensstand, der Bekanntheitsgrad des Verdächtigen oder Täters, das frühere Verhalten des Verdächtigen oder Täters und die Intensität, mit der er die Öffentlichkeit sucht.
Weder zur Intensität des Tatverdachts, noch zur Schwere des Vorwurfs konnte die Zeitung darlegen, dass ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit besteht. Selbst eine 37-seitige Anzeige rechtfertigt das nicht. Der Leiter einer Straßenbaubehörde ist nur sehr bedingt ein „Person der Zeitgeschichte“. Als kommunalpolitisch aktive Person schon eher. Er selbst hat keine besondere Öffentlichkeit gesucht und es gibt auch keine Kenntnis über ein früheres, negatives Verhalten im Zusammenhang mit politischen Ämtern. Als Kommunalpolitiker war die identifizierende Berichterstattung zu einer mutmaßlichen beruflichen Verfehlung natürlich besonders abträglich.
Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spricht in der Regel, wenn
– eine außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat vorliegt,
– ein Zusammenhang bzw. Widerspruch besteht zwischen Amt, Mandat, gesellschaftlicher Rolle oder Funktion einer Person und der ihr zur Last gelegten Tat,
– bei einer prominenten Person ein Zusammenhang besteht zwischen ihrer Stellung und der ihr zur Last gelegten Tat bzw. die ihr zur Last gelegte Tat im Widerspruch steht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hat,
– eine schwere Tat in aller Öffentlichkeit geschehen ist,
– ein Fahndungsersuchen der Ermittlungsbehörden vorliegt.
Weder lag ein Fahndungsersuchen vor, noch eine schwere Tat in der Öffentlichkeit. Auch ist eine „außergewöhnlich schwere Straftat“ nicht zu erkennen – noch ist vollständig unklar, ob es überhaupt eine Straftat gab und wenn, ob diese gerichtsfest bewiesen werden kann. Auch ein Zusammenhang oder Widerspruch zwischen Ämtern, gesellschaftlicher Rolle und Beruf sind nicht erkennbar.
Die Rheinpfalz hat massiv gegen diese Grundsätze des Pressekodex verstoßen und einen Vorgang skandalisiert, von dem noch nicht ansatzweise klar ist, ob sich die Vorwürfe erhärten lassen. Andere Medien, darunter der öffentlich-rechtliche SWR, haben dies ungefiltert übernommen und weitergetragen. Der Hinweis auf den Pressekodex ist wenig tauglich, die offene Frage zu beantworten, inwieweit die berichtenden Medien ihre journalistische Sorgfaltspflicht verletzt haben. Die Verantwortlichen können sich nun eine Kerbe in ihren journalistischen Colt schnitzen.
Herr E. ist letztlich vermutlich durch sich selbst ums Leben gekommen (die Ermittlungen dauern an). Die Frage, wer und was ihn zu diesem Schritt getrieben hat, kann vermutlich nicht sicher beantwortet werden. Vielleicht machen sich aber gewissen Medien Gedanken, was journalistische Verantwortung heißt. Und auch, was solche Berichte für die gesamte Branche und die Wertschätzung von journalistisch hochwertiger Arbeit bedeutet. Förderlich, um einer Medienverdrossenheit entgegenzuwirken, sind solche Berichte sicher nicht.
Der Todesfall behindert vermutlich weitere Ermittlungen, wenn womöglich durch den Tod eines mutmaßlich Tatverdächtigen kein weiterer Bedarf zur Aufklärung gesehen wird. Möglicherweise dauern die Ermittlungen aber an, weil es noch zwei weitere Tatverdächtige geben soll.
Anm. d. Red.: Wir haben den Nachnamen abgekürzt. Mit ein wenig Mühe kann jeder den Klarnamen selbst in Erfahrung bringen. Trotzdem müssen wir diesen nicht nennen, denn die Schutzrechte, auch für die Angehörigen, gelten über dessen Tod hinaus.
Sollten Sie selbst oder jemand in Ihrem Umfeld von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, zögern Sie nicht, sich ärztlichen Rat zu holen. Auch hier erhalten Sie Hilfe: Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222, www.telefonseelsorge.de