Hirschberg, 20. April 2016. (red/nh) In jeder Stadt und in jedem Dorf gibt es ein Rathaus. Warum das so ist? Das Rathaus gehört seit je her zu den wichtigsten Orten einer Stadt. Es repräsentiert die Politik ebenso wie die Gemeinde, es schafft Identität und ist unentbehrliche Anlaufstelle für die Bürger. Wir begeben uns auf Spurensuche und nehmen die Rathäuser der Rhein-Neckar-Region in einer Serie unter die Lupe. Zwei eigenständige Gemeinden schliessen sich zusammen – ein neues Rathaus musste her.
Von Naemi Hencke
Rathäuser sind als Institution seit dem zwölften Jahrhundert nicht mehr aus Städten und Dörfern wegzudenken. Hier werden seitdem überwiegend alle wichtigen wirtschaftlichen Belange einer Gemeinde geregelt. Es ist Sinnbild für das politische Geschehen und bedeutend als Identitätsstifter der bürgerlichen Gemeinde. Es ist die zentrale Anlaufstelle einer Gemeinde.
Anfangs wurden Zweckbauten wie Tuchhallen, Markthallen und Wohnhäuser zu Rathäusern umfunktioniert; oft am Marktplatz und in der Nähe der Kirche gelegen.
Im Laufe der Zeit wuchsen die Gemeinden beständig und damit auch die Aufgaben des Rates: Viele Städte entschieden sich gegen einen Neubau – wahrscheinlich auch wegen der Kosten – und bauten nach und nach an und um.
Die Gemeinde Hirschberg
Die selbstständigen Gemeinden Leutershausen und Großsachsen schlossen sich 1975 zur Einheitsgemeinde Hirschberg zusammen. Es sollte ein neues gemeinsames Rathaus in zentraler Lage entstehen. Doch wie kam es dazu?
Das Rathaus in Leutershausen
Es heißt, das Rathaus in Leutershausen sei das älteste Gebäude im Ortsteil, dass seine Bestimmung nicht verloren hat. Es stammt wahrscheinlich aus der Zeit des Mittelalters – dies ist jedoch nicht sicher belegt.
Der Lindenbrunnen ist für die Geschichte des Dorfes Leutershausen von besonderer Bedeutung: Es wird angenommen, dass der Ursprung der Ansiedelung in „Husen“ hier seinen Anfang nahm. Das Quellwasser des Lindenbrunnens war unverzichtbar für die Siedler, da Lautershausen keinen Bach hat. Noch heute spendet der Brunnen Wasser – allerdings kein Trinkwasser mehr. In der Nähe dieses Platzes wurden später das Rathaus und die Kirche errichtet.

Durch die alte Schlossmauer gelangt man zum Rathaus.

Seitenansicht.

Gut zu erkennen: Die stilistischen Anlehnungen an die alten Tabakscheunen: Die enge Anordnung der Fenster, der schmale Sockel und das steile Satteldach.

Detailaufnahme der eng angeordneten Fenster.

Die alte Schlossmauer umgibt das neue Rathaus.
Ein Rathaus ohne Rathausuhr
Wie eigentlich unüblich, wurde in Leutershausen auf eine Rathausuhr verzichtet – aus dem einfachen Grund, da der hohe Kirchturm nebenan bereits mit einer Turmuhr bestückt war. Früher waren öffentliche Uhren unentbehrlich, da die wenigsten Leute im Besitz einer eigenen Uhr waren.
Erst im 20. Jahrhundert bekam das Rathaus eine eigene Glocke – die Erste zerbrach jedoch beim Läuten während einer Versteigerung.
Zwischen 1910 und 1911 erwarb die Gemeinde Leutershausen ein an das Rathaus grenzendes Wohnhaus, um mehr Raum für die Verwaltung und einen Schulsaal zu schaffen. Die Besitzer, die Familie Wittmann, bekam damals 1.650 Mark hierfür.
Die berüchtigte „Betzekammer“
Im Rathaus von Leutershausen gab es einen besonderen Raum: den Ortsarrest. Von den Einheimischen auch „Betzekammer“ genannt, wurden hier Halunken, Diebe und „Übeltäter“ festgehalten, solange bis sie ins Weinheimer Gefängnis – die „Heck“ – überführt wurden. Doch auch aufmüpfige Oberklassen-Schüler mussten hier hin und wieder einige Stunden zur Strafe absitzen.
Ratsschreiber aus dem badischen Ländle
Im Leutershausener Rathaus gab es anfangs nur einen einzigen ganztägig beschäftigten Beamten – den Rats- oder Gerichtsschreiber. Jedoch hatte er meistens einen oder sogar mehrere Lehrlinge. Vor diesem Hintergrund entstand der Spaß zu sagen, dass Leutershausen das „badische Ländle mit Ratsschreibern versorgte“. Einen hauptamtlichen Bürgermeister bekam Leutershausen erst im Jahre 1937.
Nach dem zweiten Weltkrieg wuchs die Gemeinde stetig und damit natürlich auch die Verwaltungsaufgaben. Im Jahre 1968 kaufte man das katholische Schwesternhaus, welchen direkt nebenan gelegen war. Die nicht mehr benötigten Schulräume wurden ebenfalls zu Verwaltungsräumen umfunktioniert.
„Geht dir der Rat aus, geh ins Rathaus“
Das Alte Rathaus in Großsachsen stand, wie üblich, im Zentrum der Gemeinde und wurde wahrscheinlich um 1740 erbaut. Es hatte – anders als in Leutershausen – ein „Glockentürmchen“ und eine Rathausuhr. Später kam noch ein Schlauchtrockenturm hinzu. 200 Jahre wurden hier für die Anliegen der Großsachsener Bürger und Bürgerinnen verwaltet und die Gemeinde gestaltet.
“Geht dir der Rat aus, geh ins Rathaus” – ein alter Spruch, „der wie überall, auch in Großsachsen seine Gültigkeit hatte“, schrieb Erich Dallinger in „Rathäuser in Großsachsen“.
Im Laufe der Zeit wuchs auch in Großsachsen die Bevölkerungszahl und die Verwaltung musste sich dementsprechend nach neuen Räumlichkeiten umsehen, da das Alte Rathaus zu klein geworden war.
Rathaus in der Presshefefabrik
Im Jahr 1929 konnte die Gemeinde nach der Schließung der Firma Müller und Feder das Grundstück für 28.000 Reichsmark an der Landstraße erwerben. Bis 1952 dienten die ehemaligen Gebäude der Presshefefabrik als Rathaus. Wahrscheinlich waren die Einheimischen froh darüber, denn die alte Fabrik war immer ein „Fremdkörper“ in Ort: Die Fabriksirene „scheuchte nicht nur die Tauben auf den Dächern in regelmäßigen Abständen auf“.
Bereits im Jahr 1950 war Großsachsen auf 2.043 Einwohner/innen angewachsen. Im Zuge der verheerenden Zerstörungen im zweiten Weltkrieg, zog es vor allem Menschen aus Mannheim in die Gemeinde.

Blick auf das Rathaus von der Großsachsener Straße aus.

Südansicht.

Eingangsansicht – das steile Satteldach fällt sofort ins Auge.

Treppenaufgang und Spielecke im Eingangsbereich.

Im Rathaus hängt auch Kunst – von oben betrachtet.

Im Hirschberger Rathaus gibt es keine Barrieren.
Ein neues Rathaus für eine neue Gemeinde
Die Entscheidung, Leutershausen und Großsachsen zu einer „Einheitsgemeinde“ zusammenzuschließen, fiel im Jahre 1975. Dies war ein langwieriger Prozess: Allein einen neuen Namen zu finden war wohl eine größere Herausforderung.
Leutershausen-Gro, Großsachsen-Leu, Großleutersberg, Weinhausen oder Bergstraßenau schieden allesamt aus. Letztendlich konnte man sich auf Hirschberg einigen. Und darauf, ein neues, zentral gelegenes Rathaus zu errichten. Die Bürger/innen der neuen Gemeinde konnten es 1993 einweihen.
Das neue Rathaus ist ein offenes und helles Gebäude – dieses soll auch „die Transparenz im Wirken seiner Mitarbeiter ausdrücken“. Es gibt eine Rathausgalerie – die ist zwar etwas „spartanisch“ ausgestattet, diese Einfachheit ermöglicht eine flexible Raumgestaltung. Das ganze Jahr werden hier wechselnde Ausstellungen gezeigt. Im Bürgersaal sollen neben den Ratssitzungen auch Veranstaltungen stattfinden. Hans Richter, einer der Architekten, hierzu:
„Der Ratssaal ist im Dachgeschoß. Wir haben versucht, ihn so zu gestalten, daß er auch ohne Schlips und Kragen betreten werden kann, daß Sie sich als Bürger angemessen repräsentiert fühlen und daß er Raum und Atmosphäre hat, in der Sie sich wohlfühlen.“
Weiterhin schrieb er in „Architektur als Wagnis“:
Wenn’s was geworden ist, waren wir es alle, wenn es nichts geworden sein sollte, auch. Natürlich werden Fenster klemmen, Türen falsch herum aufgehen, die Markisen sich verheddern, was soll’s, nachher sind wir alle schlauer, das nennt man Lernfähigkeit.

Der Bürgersaal – bewusst heisst dieser nicht Gemeinderatssaal.
Zwei Fragen an Bürgermeister Just
Herr Just, wie sehen Sie die Gemeinde durch das Rathausgebäude repräsentiert?
Ohne eingebildet klingen zu wollen: Ich finde es repräsentiert hervorragend. Das kommt an vielen verschiedenen Stellen zum Ausdruck: Der Hintergrund dieses Rathauses ist ja der, dass sich Großsachsen und Leutershausen zu einer Gemeinde zusammengeschlossen haben. Die Planer dieses Gebäudes haben mit gedacht und es in Leutershausen errichtet – aber in der Großsachsener Straße.
Der Tabakanbau hat in Hirschberg eine lange Tradition und ist auch im Stadtbild erkennbar: Der Anbau von Tabak war eine sehr wichtige Einnahmequelle für die Landwirte hier. Die Tabakscheunen mit den steilen Dächern haben die Architekten stilistisch inspiriert. Das zeigt sich zum Beispiel an dem prägnanten steilen Satteldach, dem schmalen Sockel und der engen Anordnung der Fenster.

Die Architekten haben sich von den traditionellen Tabakscheunen ispririeren lassen.

Das steile Dach, den Klinker – Stilmittel, die sich am Rathaus wiederfinden.
Die Architekten waren wirklich sehr feinfühlig und ideenreich. Die vielen Fenster lassen sehr viel Licht herein, dadurch wirkt das Rathaus eigentlich immer sehr hell und freundlich. Dies trägt auch einen symbolischen Aspekt mit sich, nämlich den, eines offenen und transparenten Hauses.
Nein, das war’s noch nicht. Bürgermeister Manuel Just fallen noch weitere interessante Aspekte ein, warum das Hirschberger Rathaus besonders repräsentativ für die Gemeinde ist. Es ist schon erstaunlich, was ihm dazu alles einfällt.
Der dritte Aspekt ist der, dass unser Gemeinratssaal nicht Gemeinderatssaal heißt, sondern Bürgersaal. Und das ganz bewusst, denn dieser Raum steht auch den Bürger/innen für unterschiedliche Veranstltungen zur Verfügung.
Hirschberg pflegt unter anderem eine Partnerschaft zu der Stadt Niederau. Das liegt in der Nähe von Meißen bei Dresden. Und die Rathausglocken sind aus echtem Meißner Porzellan – hierbei wird die Partnerschaft auf schöne Weise sichtbar.

Die 18 Rathausglocken sind aus Meißner Porzellan. „Neben dem Stundenschlag von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr erklingen täglich um 09:05 Uhr, 12:05 Uhr und 17:05 Uhr die Glocken zu einem Lied entsprechend der Jahreszeit“.
Und zu guter Letzt die alte Schlossmauer, die heute sozusagen Rathausmauer ist. Ehemals erstreckte sich bis hier der Schlossgarten von Ferdinand Graf von Wiser. Das ist zudem noch eine historische Verbindung, die ganz spannend ist.

Manuel Just bei seiner Amtseinführung nach der Wiederwahl 2015.
Was schätzen Sie, Herr Just, besonders daran, Bürgermeister zu sein?
Vor allem, dass ich als Bürgermeister einen ganz unmittelbaren Kontakt zu den Menschen habe. Ich finde es schön, dass ich das persönlichste Umfeld der Bewohnerinnen und Bewohner im Sinne ihrer Wünsche, Bedürfnisse und – ja, natürlich auch – ihrer Erwartungen mitgestalten kann. Ja, die Unmittelbarkeit macht den Beruf so besonders. Schon während meiner Studienzeit hat sich der Wunsch Bürgermeister zu werden, herauskristallisiert.
Als Manuel Just das Amt als Bürgermeister von Hirschberg antrat, war er gerade einmal 27 Jahre alt und damit damals – im Jahr 2007 – der jüngste amtierende Bürgermeister der Region.
Erreichbarkeit
Das Rathaus in Hirschberg ist gut erreichbar: Es liegt etwa acht Minuten zu Fuß vom Leuterhausener Bahnhof entfernt und ist barrierefrei. Ein Parkhaus befindet sich in der Großsachsener Straße.