Heidelberg, 17. März 2016. (red/cr) Im Rahmen des Festivals “Allerorts: Literatur!”, das noch bis Ende April andauert, las die österreichische Facebook-Autorin Stefanie Sargnagel aus ihrem neuen Buch “Fitness”. Wie in ihrem Debüt “Binge Living: Callcenter-Monologe” sammelt sie schamlos Gedanken, Anekdoten und Tagträume aus ihrem Leben. Mit einer Arroganz, bei der die Grenze zur Selbstironie verschwimmt. Meint sie alles ernst oder gar nichts?
Von Christin Rudolph
Stefanie Sargnagel ist keine normale Autorin, sondern “Facebook-Schriftstellerin”. Vielleicht ist sie aber auch die allernormalste Autorin in Zeiten von Social Media?
Sie schreibt keine Romane, sondern postet auf Facebook alles, was ihr so einfällt. Absurde Gedankenspiele, Anekdoten aus ihrem Leben, Zeilen wie aus einem Gangster-Rap und Gedanken, die sie einfach nicht für sich behalten kann. Weniger wie ein Tagebuch, eher Notizen, die in einer Warteschlange hingekritzelt wurden.
Zusammenhanglos und selbstgefällig. Die Form eine Zumutung.
Stoff für Jüngere
Nicht verwunderlich also, dass ihr erstes Buch “Binge Living: Callcenter-Monologe” beim Erscheinen im November 2013 die Aufmerksamkeit der Presse erregte. Darauf folgte das E-Book “In der Zukunft sind wir alle tot: Neue Callcenter-Monologe”, im vergangenen Oktober “Fitness”.
Der Inhalt kommt vor allem bei Jüngeren ziemlich gut an. Die 17 Fans, die sich am Sonntagabend zur Lesung im Karlstorbahnhof versammelten, sind alle in den Zwanzigern. Die 30-jährige Stefanie Sargnagel las mit Post-Its markierte Stellen aus ihren Büchern und von einigen zerfledderten Zetteln. Als wolle sie demonstrativ ihre Lebenshaltung unterstreichen.
Die Wienerin studiert Kunst und steht nicht einmal mit einem Bein im Leben.
Da gehst du mit 16 ein Bier trinken und auf einmal bist du 30.
Ist das Selbstironie oder Verzweiflung?
Dabei findet sie nach eigener Aussage Künstler eigentlich doof und sehnt sich nach einem “geordneten spießigen Leben”.
Ich wollte immer gern im Bürgertum ankommen.
Daher stehe sie manchmal vor dem Schaufenster einer Tchibo-Filiale und male sich aus, wie sie umgeben von den Produkten dort ein langweiliges Leben führt.
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In ihrer absurden Beschreibung klingt so ein Leben unglaublich entspannt und verachtenswert zugleich – bei der ganzen Selbstironie glaubt man irgendwann, die Autorin meine es ernst. Ernst nehmen kann man daher weder Frau Sargnagel als Person, noch ihre Bücher, in denen die Posts zusammengefasst sind.
Also das klingt jetzt so witzig, aber das ist mir wirklich passiert!
Ganz normaler Alltag
Bei ihren Anekdoten wird allerdings schnell klar, warum diese Frau “so geworden ist”: Jahrelang hat sie in einem Callcenter bei der Nummernauskunft gearbeitet.
Da rufen Leute an, die noch nicht verstanden haben, dass das Internet erfunden wurde.
Bei einigen Geschichten kommt die Frage auf, ob die Anrufer überhaupt das Prinzip einer Nummernauskunft verstanden haben. Oder erwarten, dass die Nummernauskunft auch über die Privatnummern von Prominenten verfügt oder nicht einmal den Namen der Person braucht. Die Auskunft weiß schließlich alles.
Solche Erlebnisse treiben Frau Sargnagel schon einmal dazu, Lyrik zu verfassen:
Callcenter-Gedicht
Es tut weh
Im Ohr
“Meine Lieblingsspeise ist Buffet”
Sprachlich Höhepunkte bieten allenfalls ihre halbherzigen Versuche als Gangster-Rapperin, wenn sie sich von einem Kritiker beleidigt fühlt. Trotzdem beschreibt sie ihr Leben so differenziert und bietet so viel Raum zur Identifikation, dass man bei ihr über Banalitäten lacht.
Die Facebook-Posts von Stefanie Sargnagel sind nicht weniger selbstbezogen als die der anderen Nutzer. In sozialen Medien geht es schließlich immer nur um einen Selbst. Sie stellt sich allerdings nicht dar, wie man es gewohnt ist.
Sie erzählt vom Scheitern oder viel mehr Nichtstun zwischen Fressorgien, Lesungen und dem nächsten Bier. Sie stellt sich selbstbewusst schlecht dar.
Damit trifft sie genau die junge Zielgruppe zwischen Selfie und Selbstzweifeln – sie ist nie richtig erwachsen geworden und lacht mehr über sich selbst als über andere.