Mannheim, 15. Oktober 2015. (red/me) Bei der Erstellung des Jahresbereichts des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung der Stadt Mannheim und des aktuellen Haushaltsplanentwurfs wurden jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeblendet oder ignoriert. Denn Soziologen der Universität Mannheim kommen zu der Erkenntnis, dass „Null-Toleranz-Politik“ und die „Broken-Windows-Theorie“ nicht länger haltbar sind. Bei der Stadt Mannheim jedoch hält man an der Sicherheitspolitik der 90er-Jahre fest und strebt sogar weitere Personalsteigerungen an.
Von Mathias Meder
Nur rund 500 Meter Luftlinie trennen die Universität Mannheim vom Büro des Sicherheitsdezernenten Christian Specht (CDU) im Rathaus. Doch im Rathaus scheint die Botschaft der Forscher aus dem Schloss noch nicht angekommen sein, die diese im April diesen Jahres veröffentlicht haben. Sie kamen gemeinsam mit Kollegen der Universität München in einer Studie zum Ergebnis, dass die Broken-Windows-Theorie wissenschaftlich nicht mehr haltbar ist.
Dennoch bemühen der aktuelle Haushaltsplanentwurf und der Jahresbericht des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung genau diese Theorie, um die Personal- und Sachkosten von knapp 2,3 Millionen Euro jährlich für den Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) zu rechtfertigen. Und der zuständige Dezernent Christian Specht (CDU) kann sich sogar „moderate Erhöhungen“ noch weiter vorstellen.
Die Broken-Windows-Theorie bildete seit 1982 die Grundlage für die Null-Toleranz-Strategie der amerikanischen Sicherheitsbehörden, die kurze Zeit später auch in Deutschland diskutiert wurde und 1998 zur Einführung des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) in Mannheim führte. Dabei gingen die Amerikaner vom Bild eines zerbrochenen Fensters aus, das in einem Stadtviertel zu einer Zunahme der Verwahrlosung und damit einhergehend auch zu mehr Kriminalität führte.
Auch in Mannheim will man in den Haushaltsjahren 2016/2017 mit Hilfe der KOD-Streifen die Ordnungsstörungen bekämpfen, um so für mehr Sicherheit und ein besseres Sicherheitsgefühl zu sorgen. Im aktuellen Jahresbericht des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung heißt es:
„Der Fachbereich Sicherheit und Ordnung steht für mehr Sicherheit, ein geordnetes Miteinander, Rücksicht auf Andere sowie für ein sauberes und attraktives Stadtbild. Durch unsere Aktikivtäten sollen sowohl objektiv die Sicherheit, als auch das subjektibe Sicherheitsempfinden in der Bürgerschaft verbessert werden.“
Für Professor Dr. Tobias Wolbring von der Universität Mannheim steht jedoch nach eigenen Studien fest:
Die Verfolgung und Ahnung von kleineren Vergehen wird keine Straftaten verhindern,
so Wolbring. Ob also Sicherheitskräfte das Wegwerfen von Zigarettenstummel ahnden oder nicht, wird für die Zunahme oder Abnahme von Taschendiebstählen oder Wohnungseinbrüchen bedeutungslos bleiben. Genau diesen Zusammenhang sah man jedoch bislang anders, weshalb auch die Personalstellen beim KOD immer mehr ausgebaut und Schwerpunktaktionen genau wegen solcher „incivilities“ genannten Ordnungsstörungen durchgeführt wurden.
Wolbring und seine Kollegen üben deutliche Kritik an der Null-Toleranz-Strategie und zeigen ebenso auf, dass es sich in der bundesdeutschen Realität anders verhält als in der US-Theorie. Denn während die Broken-Windows-Thorie vermuten lässt, dass Ordnungsstörungen gerade in den sogenannten „Problemvierteln“ zum Thema werden, zeigen die Mannheimer Wissenschaftler, dass es gerade die gut situierten Bürgerinnen und Bürger sind, die ihr Verhalten ändern:
Vor allem Bürger, die in sozial gehobenen Stadtvierteln leben, verändern bei äußeren Reizen wie Vermüllung oder anderen Anzeichen eines Verfalls, ihr Verhalten. Der Ansatz der Polizei, vor allem in so genannten „Problemvierteln“ bereits kleinste Vergehen hart zu bestrafen, erscheinen mir vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse zumindest fragwürdig.
In Mannheim jedoch sind diese Erkenntnisse offenbar bisher unberücksichtigt geblieben. Denn statt die Präsenz in den Stadtteilen zu erhöhen, in denen es wenige Ordnungsstörungen gibt und damit Prävention zu betreiben, will man sich weiterhin auf die Stadtteile konzentrieren, wo bislang die meisten Beschwerden vorliegen.
Statt den KOD als Präventionsmaßnahme einzusetzen, will man offenbar weiterhin nur das subjektive Sicherheitsgefühl stärken und den Bürgerinnen und Bürgern vorgaukeln, der KOD bekämpfe aktiv die Kriminalität.
Dass die Polizei gemischte Streifen mit dem KOD kategorisch ablehnt, ist Ausdruck dessen, dass man unterschiedliche Aufgaben wahrnimmt und der KOD stärker präventive Aufgaben hat. Im städtischen Jahresbericht steht trotzdem:
Nach dem uns bekannten Beschwerdeaufkommen macht es wenig Sinn, KOD-Personal in Stadtbezirken einzusetzen, wo es kaum oder keine Störungen gibt. Insoweit ist die Konzentration des KOD auf problematische Gebiete wie Innenstadt, Neckarstadt, Jungbusch und saisonale Einsatzschwerpunkte zielführend.
Statt nach logischen Gründen für die starken Schwankungen bei den Bürgerbeschwerden zu suchen, versucht man es in Mannheim weiterhin mit der Formel „Mehr Personal bringt mehr Sicherheit“.
Denn während in den Jahren 2012 und 2014 die Zahl der Bürgerbeschwerden auf 1.380 beziehungsweise 1.621 stieg, lagen sie 2013 nur bei 698 und damit knapp halb so hoch. Wenn man berücksichtigt, dass die meisten Beschwerden über Ordnungsstörungen aus Innenstadt/Jungbusch und Schwetzingerstadt/Oststadt stammen und 2012 und 2014 die großen Ereignisse Fußball-EM und Fußball-WM über Wochen hinweg stattfanden, könnte man auch einmal diese Zusammenhänge näher beleuchten. Oder wie wirkt sich die Werbung für die Servicehotline 115 und die Mängelmelder-App auf das Beschwerdeverhalten der Bürgerinnen und Bürger aus? Dazu gibt es auf Anfrage keine Erkenntnisse.