Rhein-Neckar, 12. Oktober 2016. (red/pro) Die Bild-Zeitung hat es mal wieder geschafft und schreibt zumindest für ein paar Tage Geschichte. Sie zeigt einen mutmaßlichen Attentäter in hilfloser Pose. Ein 22-jähriger Syrer soll einen Bombenanschlag vorbereitet haben. Auf dem veröffentlichten Bild ist der Mann klar zu sehen: Gefesselt und im Würgegriff einer anderen Person. Der gefesselte Mann ist ein mutmaßlicher Attentäter. Zum Zeitpunkt des Fotos hat ihn der Rechtsstaat weder angeklagt, noch verurteilt. Auf dem Foto ist er ein Mensch, der vollkommen hilflos einem verächtlichen Posing ausgesetzt ist. Sehr viele Menschen bejubeln dieses Foto und teilen und teilen und teilen es. Eine Gesellschaft, die andere Menschen massenhaft freiwillig entwürdigt und sich dabei selbst bejubelt, ist eine Gesellschaft ohne jeden Wert und ohne jede Zivilisation.
Kommentar: Hardy Prothmann
Spannend wäre, wenn der allseits bekannte Anwalt Witz, der diesen Ziegenficker-Spaßvogel beim ZDF vertritt, der Anwalt dieses Mannes wäre, den die Bild gerade als lächerliche Figur der „Weltöffentlichkeit“ präsentiert.
Der Promi-Anwalt Witz würde möglicherweise bei Artikel 1 GG fündig: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und könnte daraus eine solide Klage basteln. Vielleicht würde er auch Artikel 2 nehmen:
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Für diesen Schwitzkasten und diese Darstellung gibt es kein rechtsstaatliches Gesetz. Eigentlich auch kein moralisches – aber was ist schon Moral? Immer die (alles andere erdrückende) Meinung der Mehrheit. Und wie steht es mit der Mehrheit, die diese Darstellung moralisch als zulässig und korrekt empfindet?
Das mit der Würde in diesem Grunddingens ist allerdings überwiegend theoretisch. Denn der Witz am Anwalt Witz ist, ohne Moos ist bei dem nix los. Der Anwalt Witz rechnet ganz klar und teuer ab und bedient Leute, die klar und teuer bezahlen können. Im Fall des Spaßvogels bezahlt der Spaßvogel nicht selbst, das wäre ja ein Witz, sonst lässt zahlen, den so genannten „Gebührenzahler“ – per „Haushaltsabgabe“.
Rechtsstaatsempfinden am Ende?

Terrorverdächtiger gefesselt und im Schwitzkasten – dieses Posing soll den Mann erniedrigen und verächtlich machen. Die politisch korrekte „Elite“ klatscht dazu Beifall. Quelle: Bild-Zeitung. Foto beschnitten und verfremdet.
Unser Rechtsstaat, liebe Leserin und Leser, ist dann am Ende, wenn in der Breite der Gesellschaft keinerlei Kenntnis und schon gar kein „Gefühl“ mehr vorhanden ist, was das eigentlich ist, dieser Rechtsstaat mit dem Grunddingens.
Wenn Menschen, egal ob Tatverdächtige oder nicht, in der Öffentlichkeit entwürdigt werden und alle „politisch Korrekten“ ein donnerndes „Hurra“ schreien, dann kann es einem nur noch eiskalt den Rücken herunterlaufen.
Es macht nur einen theoretischen Unterschied, ob man eine gefesselte Person in den Würgegriff nimmt oder ihr ein Messer an den Hals hält oder eine Pistole an den Kopf. Ein „Posing“ mit unfreien Menschen ist immer genau eins: menschenverachtend.
Ein Mensch wird verächtlich gemacht und alle klatschen
Und wer dem zujubelt, verhält sich genau so: menschenverachtend.
Der gefasste Tatverdächtige ist ein mutmaßlicher Täter. Er verliert dadurch nicht seine Menschenwürde, er wird nicht zum Freiwild und er hat wie alle in diesem Land Anspruch auf einen fairen und rechtsstaatlichen Prozess.
Der Mannheimer Strafrechtler Maximilian Endler sagt auf Nachfrage:
Der Mann ist eindeutig hilflos. Der Würgegriff ist ein Posing und soll ihn verächtlich machen. Das unterscheidet sich nicht von Posings anderer, die hilflose Personen beschämen wollen. Das kennt man von entsprechenden Fotos von Extremisten. Genau betrachtet stellt die Szene abgesehen von der Persönlichkeitsrechtsverletzung eine Körperverletzung dar.
Die Syrer, die den Terrorverdächtigen im Zuge der Jedermann-Festnahme festgesetzt haben, werden hingegen als Helden gefeiert. Verhalten sich Helden so? Dürfen „Helden“ hilflose Personen erniedrigen und alle klatschen? Ist das die neue Definition von Held? Feiern wir demnächst die, die andere erniedrigen? Wollen wir das als Gesellschaft?
Mal abgesehen von der zweifelhaften Rolle – jagen demnächst andere Zivilisten ebenfalls Tatverdächtige, weil sie Helden werden wollen? Die Bild-Zeitung hat mal wieder Maßstäbe gesetzt – nach unten.