Rhein-Neckar, 12. April 2013 (red/ms) Am 22. September 2013 werden die nächsten Bundestagswahlen stattfinden. Dann wollen erstmals auch die Freien Wähler antreten, die bislang fast ausschließlich auf kommunaler Ebene aktiv waren. Doch gerade in der Hochburg Baden-Württemberg, dem Land, in dem die Freien Wähler am stärksten sind, wird ein sehr eigenwilliger Weg verfolgt – zum großen Unverständnis aller anderen Bundesländer.
Von Minh Schredle
In der Kommunalpolitik sind die Freien Wähler schon lange erfolgreich: Bundesweit stellen sie mehr als eintausend Bürgermeister und zehntausende Mandatsträger. Gerade Baden-Württemberg ist eine Hochburg, denn fast 50 Prozent aller Gemeinderäte sind freie Wähler ( 8.321 von 17.414 Sitzen).
2009 schlossen sich die einzelnen Landesverbände zur Bundesvereinigung der Freien Wähler zusammen, um als Partei auch an Landtags-, Bundestags- und Europawahlen teilnehmen zu können. Doch in Baden-Württemberg weigert man sich standhaft, eine Partei zu werden: Aus Protest trat der Landesverband Baden-Württemberg 2009 aus dem Bundesverband aus.
Freie Wähler Landesverband vs. Freie Wähler Landesvereinigung
Gegen den Willen der „originalen Freien Wähler“ gründete sich die Partei „Landesvereinigung Freie Wähler Baden-Württemberg“, die nun anstelle des Landesverbandes ein Teil der Bundesvereinigung ist. Die Verwechslungsgefahr bei diesen beiden sehr ähnlichen Namen muss hingenommen werden. Die Namensschutzklage des alten Landesverbandes gegen die Newcomer wurde abgewiesen.
Aber warum sträubt sich der Landesverband so sehr, eine Partei zu sein? Friedhelm Werner ist seit Januar 2013 der Landesgeschäftsführer. Er sagt auf unsere Anfrage:
Wir sind Persönlichkeiten, die keiner Partei angehören wollen. Wir haben die klügsten Köpfe des Landes und die finden die besten Lösungen vor Ort. Aber die beste Lösug kann in Mannheim oder Schriesheim ganz anders aussehen als in Stuttgart oder Rottweil. Ein Parteiprogramm mit strikten Vorgaben ist für kommunale Belange nur hinderlich.

Friedhelm Werner: „Wir sind das Original. Parteilos, neutral und kommunal.“ Foto: Von Friedhelm Werner zur Verfügung gestellt.
Und wie will man die Politik auf Landes- und Bundesebene mitgestalten? Oder ist man etwa mit allem zufrieden und es gibt schlichtweg keinen Handlungsbedarf?
Nein, das auf keinen Fall. Aber um mitzugestalten, muss man keine Partei sein. Wir schaffen das auch so. Wir sind sehr eng mit dem Landtag und auch mit Berlin in Kontakt. Und wir haben nicht das Drohbild einer Partei, die Stimmen abgreifen will. So kann ein konstruktiver Dialog stattfinden und Parteien dürfen unsere Vorschläge gut finden.
„Das Original ist parteilos und kommunal“
Außerdem will sich Werner deutlich von der Landesvereinigung distanzieren:
Dass die Freie Wähler Partei, die Landesvereinigung, unseren guten Namen und unsere wertvolle Basis als Trittbrettfahrer missbrauchen, finden wir unzulässig, billig und eine schwache Leistung, die die Wählerinnen und Wähler hoffentlich entsprechend quittieren werden. Und nicht nur das: Sie missbrauchen ihn regelrecht! Als „Freie Wähler“ haben wir mit unserer Politik eine Basis geschaffen, die von Bürgern geschätzt wird. Das will die „Landesvereinigung“ jetzt ausnutzen, obwohl sie gar nichts dafür getan hat und unsere Ideale verrät. Das Original ist parteilos und kommunal.
In anderen Ländern stößt das auf Unverständnis. Ralf Rinnen, Pressesprecher der Freien Wähler Rheinland-Pfalz, sagt dazu:
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was das soll. Von diesem Starrsinn hat doch niemand was. So viele mögliche Synergieeffekte gehen verloren.
„Zwei Prozent wären ein Erfolg.“
In Rheinland-Pfalz steht man hinter der Teilnahme an der Bundestagswahl:
Kommunen sind die Keimzellen des Staates
sagt Herr Rinnen. Er findet, Politik muss von unten nach oben stattfinden:
Kommunen, Gemeinden und Städte wissen wesentlich besser, wo ihre Probleme liegen, als die Politiker in Berlin. Deswegen ist es wichtig, dass die Kommunikation zwischen Lokalpolitik und Bundespolitik verbessert wird. Hier versagen die großen Parteien, es ist an der Zeit, das selbst in die Hand zu nehmen.
Vor allem im Bereich der Sozialausgaben sieht er Handlungsbedarf:
Es gibt viel zu viele unnötige Ausgaben, an anderen Stellen wird falsch gespart. Das liegt daran, dass die Bundespolitik einfach nicht bürgernah geung ist. Auf kommunaler Ebene ist das anders. Hier gibt es noch einen direkten Dialog zwischen Bürgern und Politikern.
Hier ein Link zu dem Grundsatzprogramm der Partei „Freie Wähler“ auf Bundesebene. Für die Wahl im September sind die Freien Wähler Bayerns das große Vorbild. Die haben es schon 2008 in den Landtag geschafft und sind dort mit 10,2 Prozent nach CSU (43,4 Prozent) und SPD (18,6 Prozent) zur drittstärksten Kraft geworden. Auf Bundesebene wäre Herr Rinnen schon mit weniger glücklich:
Mit allem über zwei Prozent können wir voll und ganz zufrieden sein. Der Einzug in den Bundestag wäre eine Riesensensation.

Werden es die Freien Wähler es schaffen, sich auf Bundesebene zu etablieren?
Friedhelm Werner glaubt nicht daran:
Bei der Bundestagswahl werden die Freien Wähler untergehen. Die Leute laufen schon jetzt davon. Der Kurs, den Herr Aiwanger (Anm. d. Red: Voristzender des Bundesverbands der Freien Wähler) verfolgt, ist viel zu bröckelig. Die Leute wollen das Original. Und das sind wir. Parteilos und neutral.
Ab 2019 dann tatsächlich im Bundestag?
Es bleibt jetzt erst einmal abzuwarten, wie sich der Werdegang der „Freien Wähler“ als bundespoliticher Partei entwickeln wird und ob sie es langfristig schaffen, ernstzunehmende Konkurrenz für die großen Parteien zu werden.
Allerdings ist es ein bisschen merkwürdig zu sehen, wie beide Seiten einen direkten, offenen Dialog fordern, aber offenbar niemand etwas unternimmt, um die verhärteten Fronten aufzuweichen. Denn eines wurde durch die Gespräche mit Herrn Werner und Herrn Rinnen klar: Zwischen den beiden Landesverbänden findet derzeit überhaupt keine Kommunikation, geschweige denn Kooperation statt. Schade, denn vom Grundsatz haben sie ähnliche Ziele.
Klar ist: Sollten die Freien Wähler es bei der Bundestagswahl auf über 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen schaffen, klingelt es in der Kasse. Dann erhält die Bundesvereinigung Freie Wähler im Zuge der Parteienfinanzierung erhebliche Mittel, die einen Ausbau zu einer echten Bundespartei bis 2019 sicherlich vorantreiben werden. Das Potenzial zumindest erscheint gigantisch. Ob die Piraten dann noch eine Rolle spielen ist weit weniger wahrscheinlich, als dass die Parteienlandschaft auf Bundesebene eine tatsächlich neue fünfte Kraft erhalten.