Ludwigshafen, 03. März 2016. (red/cr) Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können, brauchen ein neues Zuhause und Geborgenheit. Das gilt auch für minderjährige Flüchtlinge, die alleine nach Deutschland gekommen sind. Das Ludwigshafener Zentrum für individuelle Erziehungshilfen, kurz LuZiE, vermittelt sie in Wohngruppen und Pflege- oder Gastfamilien. Grundsätzlich kann jeder, der gesund und ohne Vorstrafen ist, eine Familie für ein Kind oder einen Jugendlichen sein. Bei der Vermittlung wird ganz genau hingeschaut, ob alles passt – damit niemand überfordert ist.
Von Christin Rudolph
Die Kunst ist, die jungen Menschen kennenzulernen.
Eberhard Bucher führt Gespräche, lernt verschiedenste Menschen kennen, begleitet sie in ein neues Leben – und weiß, wie viel Fingerspitzengefühl dabei gefragt ist.
Er leitet das Ludwigshafener Zentrum für individuelle Erziehungshilfen, kurz LuZiE. Dazu gehört, Kindern und Jugendlichen in Ludwigshafen und im Rhein-Pfalz-Kreis, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können, ein Zuhause zu geben.
Zu diesen Kindern und Jugendlichen kommen mehr und mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Um 92 von ihnen kümmern sich aktuell LuZiE, das Stadtjugendamt, der Jugendhilfeverein und die Ökumenische Fördergemeinschaft. Laut Stadtjugendamt könnten es bei Umsetzung des Königsteiner Schlüssels bis zur Jahresmitte 150 sein.
Jungen Menschen ein Zuhause geben
Ein Zuhause können Wohngruppen sein, in den allermeisten Fällen wird aber eine Pflege- oder eine Gastfamilie gesucht.
Der wesentliche Unterschied zwischen Pflege- und Gastfamilien besteht im Alter und der Betreuung der Personen, die aufgenommen werden. Bei Pflegefamilien handelt es sich in der Regel um Kinder. Sie bleiben meist länger in den Familien und zu ihnen wird ein elterliches Verhältnis aufgebaut.
In Gastfamilien werden Jugendliche begleitet und betreut, bis sie selbstständig sind. Die Verweildauer in der Familie ist also kürzer als in einer Pflegefamilie. Gastfamilien können auch Flüchtlinge aufnehmen, die meisten unbegleiteten Minderjährigen sind zwischen 15 und 16 Jahren alt.
“Nehmt Kinder auf und ihr nehmt mich auf”
In einer Familie aufzuwachsen, auch wenn es nicht die eigene sein kann, ist für Kinder immer die bessere Alternative.
, erklärte Jugenddezernentin Prof. Dr. Cornelia Reifenberg am Mittwoch. Zusammen mit Vertretern der katholischen und der protestantischen Kirche appellierte die Stadt an die Bevölkerung, Kinder und Jugendliche bei sich aufzunehmen – oder zumindest anderen von der Möglichkeit zu erzählen.
Anlass für die Zusammenarbeit ist der Weltgebetstag am Freitag. In diesem Jahr steht er unter dem Motto “Nehmt Kinder auf und ihr nehmt mich auf”.
Gottesdienste sollen informieren
Barbara Kohlstruck, die Dekanin der Protestantischen Kirche in Ludwigshafen, erklärte, das Thema für einen Weltgebetstag werde Jahre in Voraus ausgesucht.
Daher sei sie von der unerwarteten Aktualität des Mottos positiv überrascht. In den Gottesdiensten zum Weltgebetstag in Ludwigshafen würde die Möglichkeit genutzt, auf das Thema aufmerksam zu machen.
Die unbegleiteten Flüchtlinge sind für uns eine ganz neue Herausforderung. Gerade für sie ist es wichtig, ihnen nach den Erfahrungen der Flucht ein neues Zuhause und Geborgenheit zu bieten.
Weiter nannte es Prof. Dr. Reifenberg ein überragendes Ergebnis, dass derzeit 361 Kinder und Jugendliche aus Ludwigshafen und dem Rhein-Pfalz-Kreis in Pflege- oder Gastfamilien untergebracht sind. Darunter sind zwölf Flüchtlinge, die in Gastfamilien leben. Acht weitere Flüchtlinge befinden sich in einer Annäherungsphase.
Integration durch Familie
Damit ist Ludwigshafen laut Jürgen May, dem Leiter der Stadtjugendamts, landesweiter Spitzenreiter bei der Unterbringung von unbegleiteten Flüchtlingen in Gastfamilien.
Ich bin der Überzeugung, dass es gerade bei den Jugendlichen, die eine gute Bleibeperspektive haben, sinnvoll ist, die Integration in einer Familie zu beginnen.
Außerdem lobte Herr May die Qualität der Vermittlungsarbeit des LuZiE. Auch unter dem hohen Druck der vielen Zuweisungen von Flüchtlingen arbeite man sehr gewissenhaft und nehme sich für jeden Einzelfall viel Zeit.
Um diese Qualität zu sichern wird das Vier-Augen-Prinzip angewandt: Ob eine Familie als Pflege- oder Gastfamilie geeignet ist, beurteilen immer zwei LuZiE-Mitarbeiter. Voraussetzung sind ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis und eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Hausarzt.
Fast jeder kann eine Familie sein
Grundsätzlich eignen sich alle Familienformen, ob “klassisch”, Alleinerziehende oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Ziel sei es, so Herr Bucher, für jeden die passende Lösung zu finden.
Nur ein Fall, der schief läuft, wäre eine Katastrophe.
Um das zu vermeiden, muss man sowohl die Familien als auch die Kinder und Jugendlichen gut kennen. Um das auch bei jungen Flüchtlingen zu ermöglichen, die kein gutes Deutsch oder Englisch sprechen, berichtete Herr Bucher, habe das LuZiE inzwischen zwei Mitarbeiterinnen, die arabisch und afghanische Dialekte sprechen.
Wenn klar ist, dass eine Pflege- oder Gastfamilie für einen jungen Menschen als Wohnform am besten passt, gebe es eine anonyme Vorstellung. Die Familie wird dem Kind oder Jugendlichen anonym vorgestellt und andersherum.
Behutsame Annäherung
Können sich beide Seiten vorstellen, miteinander zu leben, nähern sie sich in drei bis vier Wochen an. Zuerst kurze Besuche, dann Tagesbesuche, Übernachtungen und ganze Wochenenden.
Eine Familie kann unvergleichlich mehr leisten als stationäre Betreuung.
Angefangen bei der Sprache über Wertevermittlung bis hin zur Anbindung an Vereinsaktivitäten – die Integrationsleistung sei viel größer, beschrieb Herr Bucher.
Große Offenheit
Als das Bild des toten Flüchtlingskindes am Strand durch die Medien ging bekamen wir einen starken Zuwachs von Bewerbungen von Familien.
Das große Interesse bestehe immer noch. Besonders begeistert zeigte sich Herr Bucher darüber, dass sich seitdem auch vermehrt Migranten bei ihm melden.
Der Anteil der Migranten unter den Pflege- und Gastfamilien sei davor im Vergleich zum Anteil an der Bevölkerung gering gewesen. Auch Prof. Dr. Reifenberg sieht die jungen Flüchtlinge als
Chance Familien zu erreichen, die wir jahrelang nicht erreicht haben.