Mannheim, 31. Juli 2015. (red/pro) Heute sind nochmals 300 Asylsuchende auf Franklin untergebracht worden. 1.100 Menschen sind das jetzt. Vor Ort erleben wir nur Ausschnitte – nicht das volle Programm. Doch zwei Stunden um das Gelände herum sind absolut “erlebnisreich” – Polizeikontrolle, Gespräche, Eindrücke. Und lebensgefährliche Situationen für Asylsuchende.
Von Hardy Prothmann
LEAs und BEAs sind in Deutschland No-go-areas für Journalisten. Außer, es gibt einen Termin und eine Begleitung durch das Regierungspräsidium. LEA steht für Landeserstaufnahmeeinrichtung, BEA für “Bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtung”. Der Unterschied: Eine LEA ist die eigentliche Einrichtung, eine BEA der Zwischenstopp zur LEA. Freier Zutritt ist Journalisten nicht gestattet – angeblich, um die Journalisten vor den Menschen dort und die Menschen dort vor den Journalisten zu “schützen”. Mal werden “Persönlichkeitsrechte” vom Regierungspräsidium genannt, dann wieder “Ansteckungsgefahren”.
Mannheim hat beides – eine LEA in der Pyramidenstraße und eine BEA auf dem Franklin-Gelände. Auf Franklin sollten eigentlich höchstens 600 Menschen untergebracht werden – aktuell sind es 1.100. Wie hoch die Zahl steigen wird, weiß aktuell niemand. Platz gibt es noch genug.
Ein ständiges Kommen und Gehen
Als ich auf der Columbusstraße stehe und fotografiere, spricht mich sofort der Sicherheitsdienst an. Wer ich bin, warum ich fotografiere? Ich teile mit, dass ich Journalist bin. Die Männer wollen mir das fotografieren verbieten. Das ist häufig so, es gibt ein paar Wortgeplänkel, dann lassen sie mich in Ruhe.
Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Taschen und Papiere werden kontrolliert. Autos fahren vor – manche werden kontrolliert, für andere, bekannte Fahrzeuge geht die Schranke hoch. Ein ramponierter Transporter mit Leverkusener Kennzeichen fährt vor, wird kontrolliert, darf einfahren und kommt kurze Zeit später wieder heraus. Das Fahrzeug trägt keine Firmenaufschrift, der Fahrer ist südosteuropäischer Herkunft. Im Vorfeld haben wir viel recherchiert und hören das öfter, dass Fahrzeuge vorfahren. Wir hören auch, dass manche beladen werden. Mit was? Wir wissen es nicht. Für uns Journalisten gibt es keinen Zutritt und schon gar keine Auskunft.
Polizeikontrolle
Als ich kurze Zeit drauf von der Birkenauer Straße aus, die parallel zu Franklin verläuft, Fotos mache, kommen nach wenigen Minuten sehr eilig zwei Streifenwagen vorgefahren. Einer hält an meinem Auto, der andere direkt bei mir. Polizeikontrolle: Wer sind Sie? Was machen Sie hier? Papiere bitte!
Die Kontrolle geht vollkommen in Ordnung und zeigt, dass man sehr sensibilisiert ist, was “Auffälligkeiten” angeht. Da steht einer mit Flip-Flops, schwarzer Jeans, weißem Hemd und fotografiert. Damit ist man “verdächtig” – und das ist gut so. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig kontrolliert. Über 200 Anschläge auf Asylunterkünfte oder Asylsuchende gab es dieses Jahr bereits in Deutschland – die schnelle Reaktion zeigt, dass die Mannheimer Polizei die Sicherheitslage ernst nimmt und schnell reagiert.
Die Beamten sind zunächst etwas “angestrengt”, kontrollieren meine Papiere. Dann wird es lockerer, ein kurzer Plausch. Sie fahren weiter und ich kehre vor das Eingangstor zurück. Plötzlich kommt ein Mann in Freizeitkleidung auf mich zu. Ein Bundeswehrsoldat, der hier stationiert ist. Auch er erkundigt sich, wer ich bin. Ohne “Polizeibefugnisse” – einfach so. Auch das geht in Ordnung. Wir plauschen ein wenig.
Der Sicherheitsdienst rennt. Ein Junge weint. Verständigungsprobleme. Alltag.
Später wird ein Sicherheitsmitarbeiter mich ebenfalls ansprechen – auch er will wissen, wer ich bin und was ich mache. Ich erkläre das zum dritten Mal in kurzer Zeit. Der Mann reagiert sehr professionell und mit einem Mal hektisch. Ein Junge, vielleicht 13, 14 Jahre alt, läuft auf der Straße ohne Namen, einem Zubringer von der Abfahrt B38 zur L597 Waldstraße um die Ecke in Richtung B38. Am Schild – “Durchgang verboten für Fußgänger” vorbei. Er pfeift, ruft, rennt. Kurz drauf kehrt er zurück und hat den Jungen im Arm. Redet ihm gut zu.
Ein weiterer Sicherheitsdienstmitarbeiter kommt dazu, dann eine Frau mit Kopftuch, dann Männer, dann höre ich, wie der Sicherheitsdienst in den Funk sagt: “We need an Afghan who speaks english”. Der Junge weint. Er war mir vorher schon aufgefallen, desorientiert. Irgendwie verzweifelt. Die Gruppe “diskutiert”. Mit Händen und Füßen. Dann kommt jemand der übersetzen kann. Die Gruppe löst sich auf, der Junge wird zurückbegleitet. Er ist immer noch außer sich. Er wirkt verloren. Warum er in diesem Zustand ist – ich weiß es nicht und kann es auch nicht herausfinden. Der Sicherheitsdienst kehrt auf das Gelände zurück.
Gerüchte, verbeulte Autos, schicke Autos
Ein Auto fährt vorbei, hält, ein Mann steigt aus, beginnt sich zu unterhalten:
Das ist wie Kino hier – passiert ständig was.
Der Mann ist, sagen wir mal, halt öfter hier vor Ort. Und plaudert sehr ausgiebig. Über feiernde Bundeswehrsoldaten. Und Polizei, die ein- und ausfährt. Über Flüchtlinge, die er kennt und andere, die er nicht kennt. Die Informationen sind sehr interessant, decken sich mit unseren Recherchen und bringen neue Rechercheansätze.
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Lesetipp, bereits über 50.000 Leser:
Das Flüchtlingscamp am Rande von Schwetzingen ist ein trostloser Ort und sinnbildlich für eine gescheiterte Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die täglich erlebbare Perspektive für rund 350 Menschen sind ein Betonparkplatz, stickige Container, schmuddelige Ecken, überquellende Mülleimer, versiffte Sanitäranlagen und zwei funktionierende Duschen. Dagegen ist PHV ebenfalls Luxus.
Schwetzingens Camp der Beschämung
In einer Woche wurde dieser Text über 40.000 Mal gelesen.
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Franklin, das wissen wir, ist polizeilich bislang eher unauffällig. Anders als Patrick Henry Village in Heidelberg, wo die Polizei jede Nacht im Einsatz ist. Vielleicht ist das so, weil die Menschen tatsächlich hier nur kurz bleiben und dann weiterverteilt werden. Da kommt man an, ist müde und schon bald wieder auf der Reise. Vielleicht macht auch der Sicherheitsdienst einen guten Job.
Da gibt es immer wieder Stress, weil sich irgendjemand benachteiligt fühlt,
erzählt der Mann, was er hier und dort “so hört”. Auffällig, so meint er, seien die “Nordafrikaner”: “Und Pakistani und Afghanen geht auch nicht gut.” Größere Probleme seien aber auch ihm nicht bekannt, außer, dass es jetzt halt die vielen “BEAs” gebe und die 200 Asylbewerber, die von der Stadt hier untergebracht sind:
Die bekommen mehr Geld und dürfen auch Alkohol kaufen und reinbringen. Die anderen nicht. Vielleicht werden da auch Geschäfte gemacht, aber das sind nur Gerüchte.
Dann kommen vier Männer aus dem Gelände, die Kleidung ist auch eher sommerlich lässig. Von der Herkunft her sehen sie nach “Naher Osten” aus. Sie steigen in einen nagelneuen Mercedes E-Klasse und fahren davon. Der Fahrer wirkt souverän, die anderen drei eher schüchtern, als sie in das Auto einsteigen.
Gefahrenzone
Langsam wird es dunkler. Dunkelhäutige Jugendliche fahren auf ihren Rädern aus dem Gelände. Ohne Licht. Sie sind schwer zu erkennen. Sie gucken ein wenig, aber man merkt ihnen an, dass “Verkehrserziehung” ein Wort ist, das sie eher nicht kennen.
Es ist ein Kommen und Gehen. Dann quietschen Bremsen. Mehrere Personen überqueren gerade den Zubringer ohne Namen an der gefährlichsten Stelle überhaupt. Die Autos schießen hier teils mit hoher Geschwindigkeit herein:
Hier stirbt bald einer. Das ist vollkommen klar. Stellen Sie sich eine Stunde hier hin und gucken Sie sich das an. Ein Wunder, dass noch keiner tot gefahren worden ist. Anscheinend fühlt sich hier keiner “zuständig”.
Sagt der Mann. Ich stehe hier seit über einer Stunde und ich weiß, das er recht hat.
Dann ist es ganz dunkel – man kann kaum noch beobachten. Der Mann ist weiter. Es ist ein Kommen und Gehen. Ich weiß, dass heute noch ein Bus mit Flüchtlingen kommt, aber nicht wann. Ich breche ab und schreibe diesen Text.
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