Rhein-Neckar, 27. August 2012. (red/la) Sie haben keine Angst vor der Höhe, sondern vor gefährlichem Wind. Sie „fahren“ in der Luft und wissen trotzdem nie genau wo sie landen. Ballonfahrer sind eben echte Abenteurer. Bei meiner ersten Fahrt „verpasste“ ich den Start, hatte eine ziemlich harte Landung und erlebte eine herrliche Fahrt im Sonnenaufgang.
Von Reinhard Lask
Um 5 Uhr morgens treffe ich in Eberbach meinen Ballonkapitän mit dem ich bald in einigen Hundert Metern Höhe über den Odenwald schweben werde. Es ist meine erste Ballonfahrt und ich bin aufgeregt. Wie ein kleiner Junge. Dass man Ballone nicht fliegt, sondern fährt, hat mir Michael Behring von Heidelberg-Ballon vor allem anderen klar gemacht. Da die ersten Ballonfahrer den Himmel als Meer betrachteten, gibt es hier auch Kapitäne statt Piloten.
Auf dem Parkplatz am Treffpunkt stehen bereits einige Sprinter und Anhänger, die knapp fünf Meter lang und 1,80 Meter hoch sind. Mehr Platz brauchen der verpackte Ballon, der Korb und das Zubehör nicht. Ich lerne meinen „Kapitän“ kennen, Dirk Leboeuf. Der Belgier wirkt ernst und hoch konzentriert, doch wenn er über das Ballonfahren redet, lächelt er wie ein Lausbub. In Leboeufs gelbem Sprinter begrüßen mich seine Frau Delphine Legghe, Patricia Wyffels und Ronny Deboos.
Die Vier bilden das „Telenet Balloonteam“. Auf dem Auto, dem Anhänger und selbst den Hemden der Vier ist der Schriftzug zu lesen. Telenet ist das größte Telekommunikationsunternehmen Belgiens und Leboeufs Sponsor. Der Ballon gehört ihm und kostet mit allem Drum und Dran runde 60.000 Euro. „Jeder Ballonfahrer sucht sich einen Sponsor“, sagt er. Welchen Betrag seiner zahlt, sagt er nicht. Seine Mimik verrät: Es könnte mehr sein.
Unberechenbare Winde
Letzte Wetterinformationen besagen, dass im Neckartal umlaufende Winde herrschen, weshalb wir im 25 Kilometer entfernten Neidenstein starten müssen. Auf der 40-minütigen Fahrt durch den stockdunklen Odenwald nach Neidenstein ist es ruhig im Transportwagen, der später der „Bodentransporter“ sein wird. Denn nach dem Start gegen 6:30 Uhr wird Ronny Deboos den Wagen fahren. Er wird heute nicht im Ballon mitfahren, sondern als „Verfolger“ dem Ballon hinterherfahren und ihn nach der Landung inklusive Mannschaft wieder zurückbringen.
Wo der Ballon genau landen wird, weiß er vorher nicht. Auch Leboeuf kennt nur die grobe Richtung, obwohl er seit 1988 Ballonfahrer ist und rund 2.400 Fahrten absolviert hat. Auch aktuellste Wetterdaten können nicht genau vorhersagen, in welche Richtung der Wind letztendlich weht. „Jeder Flug und jede Landung sind anders“, sagt Leboeuf. Ein Satz, dessen Bedeutung ich erst später verstehe.
Ankunft in Neidenstein
Kurz vor 6 Uhr ist das Ende der Nachtfahrt erreicht. Nach 40 Minuten durch den Odenwald halten wir auf einer Wiese am Ortsrand von Neidenstein. Es dämmert. Die fünf Teams wuchten die Körbe aus den Anhängern, verschrauben Gasflaschen und Aufbauten und breiten die Ballonhüllen auf der Wiese aus.
Nach einigen Minuten leuchten die ersten Stichflammen. Dann blasen generatorbetriebene Ventilatoren Luft in die Ballonhüllen. Wenn diese halbwegs aufgebläht sind, wird der Korb gekippt. Die Gasflamme erhitzt die Luft und entfaltet die Hülle zur vollen Größe. Rund 500 Fahrtstunden halten die Hüllen den Belastungen durch Wind, Wetter und Heißlufttemperaturen stand. Danach braucht man eine neue Hülle.
„Reparieren kann man die nicht“, sagt Leboeuf und befestigt sein GPS-Gerät im Korb. Dann besteigen Delphine, Patricia und ich den Korb. „Halten sie sich beim Start an den Seilschlaufen fest, an nichts anderem“, betont er. Die Schlaufen befinden sich an allen vier Seiten des Korbinneren. „Nach dem Start können sie sich frei im Korb bewegen.“
Bei der Landung soll ich in die Hocke gehen und mich an die Korbwand lehnen. Mit den Armen soll ich über die Schultern in die Seilschlaufen packen und mich so fest wie möglich an die Korbwand ziehen. „Alles verstanden?“, fragt er. Ich nicke. Er schaut mich kurz an. „Haben sie Höhenangst?“ Ich nicke wieder. Heftiger, als es mir lieb ist. „Beim Ballonfahren gibt es keine Höhenangst“, sagt er nachsichtig. „Aber das merken sie gleich.“ Leboeuf hat wieder sein Lausbubenlächeln im Gesicht. Ich schlucke tapfer und mag ihm sehr gerne glauben.
Start verpennt
Während der Kapitän alles vorbereitet, will ich auch vorbereitet sein. Als Reporter. Als ich die Einstellungen meiner Kamera überprüfe, merke ich, dass Delphine und Patricia mit dem Rücken zur Korbwand stehen und sich am Seil festhalten. Erst dann bemerke ich, dass sich der Korb bereits zehn Meter über dem Boden befindet und schnell steigt. Ich habe den Start nicht mal bemerkt. Trotzdem wird mir mulmig, ich lasse die Kamera und kralle mich in die Seile. „Schauen sie den Horizont an, dann gewöhnen sie sich schneller daran“, sagt er. Er hat recht. Den Horizont anschauen ist ein guter Tipp. Der Ballon steigt und steigt.
Im Korb ist es windstill. Fahrtwind gibt es nicht, da sich der Ballon mit gleicher Geschwindigkeit wie der Wind in die gleiche Richtung bewegt. Trotzdem ist ein leichter Zug zu spüren. Der entstehe jedoch beim Steigen oder Sinken des Ballons. Bis auf das Fauchen der Gasflamme über mir ist es still. Der Korb befindet sich bald in 350 Meter Höhe. Und ich damit auch. Was für ein Erlebnis. Trotzdem scheinen wir viel tiefer über die Häuserdächer oder Baumwipfel zu gleiten. Höhenangst? Habe ich nicht. Mulmiges Gefühl? Vorbei. Es ist ein herrliches Erlebnis.
Irgendwo Richtung Wiesloch
Wie fahren in Richtung Westen nach Wiesloch. Über Funk hören wir zwei Kollegen Leboeufs scherzen: „Wir könnten am Hockenheimring runtergehen. Nur kommen wir da nie wieder raus“, sagt einer. Was er damit meint, wird erst später klar.
Leboeuf mag die Umgebung nicht. „Hier gibt es sehr viele Hochspannungslinien“, sagt er. Hier fliegt er ungern, weil man sich dabei weniger entspannen kann. Er wirkt jedoch alles andere als angespannt. „Früher hätten sie mich während der Fahrt nicht ansprechen dürfen. Mittlerweile kann ich die Handgriffe im Schlaf, da kann ich nebenbei reden“, erklärt er und kommt wieder ins Plaudern. Seinen ersten Flug hat er 1988 gemeinsam mit seinem Vater unternommen. Die Begeisterung hat ihn bis heute nicht mehr losgelassen. Die Alpenüberquerung ist seine liebste Strecke. Hier kann der Ballon bis zu 120 Stundenkilometer schnell werden. Im Moment fahren wir rund 30 Kilometer pro Stunde – 40 gelten als „zügig“.
„Jede Landung ist anders“
Es ist kurz vor 7 Uhr. Wir sind eine gute Stunde gefahren. Plötzlich ist Leboeuf wieder konzentriert und wird wieder schweigsam. Nach der Landung wird er mir erklären, dass er an den Bewegungen der Baumwipfel im Wind bemerkt hat, dass thermische Auf- und Abwinde entstanden sind. Für Ballonfahrer sind diese Luftströme sehr gefährlich. Sie reißen den Ballon unkontrollierbar in die Höhe oder Tiefe oder pressen die Hülle zusammen.
Leboeuf will jetzt nicht angesprochen werden. Er ist hochkonzentriert. Seine Entscheidung ist gefallen: Wir müssen landen. Wie besprochen gehen wir in die Hocke und verkeilen uns in die Seile. Leboeuf bleibt stehen. Er ist angespannt. Ich erinnere mich an seinen Satz: „Keine Landung ist gleich.“ Das macht mich jetzt etwas nervös. „Achtung!“, ruft er. In der Hocke sitzend sehe ich die Baumwipfel über dem Rand des Korbs vorbeiziehen. Sekunden später geht beim Aufsetzen ein heftiger Ruck durch den Korb.
Dann passiert zwei Sekunden nichts. Doch wir halten uns weiter fest. Plötzlich kippt der Korb um. Der Aufprall ist heftig. Ich liege nun auf der Seite und Daphne hängt kopfüber an der Korbwand. Patricia ist besorgt. Fragt Daphne immer ob alles okay sei. Daphne lächelt angespannt. „Ca va“, antwortet sie immer wieder – „Es geht“. Dann gibt es einen Ruck und der Korb setzt sich liegend in Bewegung. Der Wind hat sich in der Hülle verfangen und zieht uns über den Acker.
Wir schleifen einige Sekunden weiter, bis der Korb nach rund 25 Metern liegen bleibt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass die Ballonhülle in sich zusammenfällt. Leboeuf hat den Verschluss oben an der Ballonhülle geöffnet, sodass die warme Luft entweichen kann.
Ärger mit dem Bauern?
Ich krabble aus dem Korb. Wir sind in der Nähe von Nußloch gelandet und befinden uns gerade mal 15 Kilometer Luftlinie vom Startplatz entfernt. Ich fühle mich wie ein abgestürzter Passagier, der auf die Rettungsmannschaft wartet.
Ich erinnere mich wieder an Leboeufs Satz: „Jede Landung ist anders.“ Wir sind also nicht abgestürzt, nur „anders“ gelandet. Durch die plötzliche Landung müssen wir jetzt auf unseren „Verfolger“ Ronnie Deboos warten. Es ist noch nicht da und lässt lange auf sich warten. Zwar hat er ein Navigationsgerät und eine Straßenkarte, aber kämpft mit Umleitungen und gesperrten Feldwegen.
Statt des ersehnten Transporters taucht auf dem Feldweg am Rande des Ackers ein Mercedes auf. Will sich der Bauer über die Landung auf seinem Acker beschweren? Doch es sind drei Jäger, die beobachtet hatten, wie der Ballon herunterkam. Leboeuf läuft zum Wagen plaudert mit den Jägern. Die geben ihm Tipps, wie man mit dem Auto am Besten zum Acker kommt. Leboeuf gibt die Hinweise per Handy an Deboos weiter.
Gab es schon mal Ärger, als er auf einem Feld gelandet ist? „Wir können nicht vorher fragen, ob wir landen dürfen“, sagt Leboeuf. Allerdings lande er wenn möglich immer auf freiem Feld. „Wenn hier nicht gerade geerntet worden wäre, hätte ich mir einen anderen Landeplatz suchen müssen.“ Eigentlich wollte er auf der Wiese vor dem Acker landen, doch die Winde seien bereits zu stark für eine solche „Punktlandung“ gewesen.
Die Schleifspur des Korbs wird der Wind wohl bis zum Ende der Woche verweht haben. „Theoretisch“ könnten Ballone sogar auf Autobahnen landen, wenn es nicht anders geht. Doch meistens geht es anders. Und für heute bin ich um diese praktische Variante ganz dankbar.
Auch die anderen Ballone sind nicht auf dem Hockenheimring gelandet. „Da alle Einfahrten geschlossen sind, kommen die Verfolger nicht an die Ballone ran“, erklärt Leboeuf.
Wir können einpacken
Während wir warten, packen wir die Hülle zusammen. Wie ein Schlafsack wird die zusammengefaltet und in den runden Sack gepackt. Nach einer halben Stunde trifft auch unser Verfolger ein und wir verstauen den Ballon im Anhänger. Leboeuf holt einen Klapptisch heraus und wir stoßen mit einem Glas Prosecco auf die gelungen Fahrt an.
Deboos hat sein Ziel heute nicht erreicht. „Ich habe den Ehrgeiz vor der Landung an Ort und Stelle zu sein“, sagt er und lächelt: „Im Schnitt schaffe ich das jedes zweite Mal.“ Soviel zu Ehrgeiz und Feinsinn und dem wahren Ballonfahrer-Verfolger-Leben. Diesmal haben ihn die Umleitungen in den Orten lange aufgehalten. Zudem waren einige Zufahrten, die sein Navigationsgerät anzeigte, gesperrt.
Es dauert eine weitere Stunde bis wir über die 33 Kilometer Landstraße wieder in Eberbach ankommen. In Eberbach trennen sich unsere Wege und wir verabschieden uns mit dem traditionellen Ballonfahrergruß „Glück ab, gut Land”.
[nggallery id=91]