Rhein-Neckar, 26. Juni 2018. (red/pro) Noch bis Samstag ist eine Ausstellung zu sehen, die sehr einzigartig ist. In der Galerie “theuer + scherr” stellen die Mannheimer Fotografen Rainer Diehl und Daniel Lucac Fotografien der Entstehung der neuen Kunsthalle aus. Über fast drei Jahre begleiteten die Fotografen den Bau. Gut 7.000 Aufnahmen sind entstanden. Insgesamt acht großformatige Prints sind in der Galerie ausgestellt – und die Betrachter in einen berührenden Bann aus Perspektive auf Beton.
Von Hardy Prothmann
Die Vorgeschichte zu diesem Text ist über 20 Jahre alt. Solange kenne ich Daniel Lukac schon, mit dem ich mich vom ersten Moment an sehr gut verstanden habe, weil ich Menschen mag, die ihren Job ernst nehmen, sich tief und umfänglich damit auseinandersetzen, nie den einfachen Weg suchen, sondern oft den, der beschwerlich ist, weil es eben gar nicht anders geht, um zu überzeugenden Ergebnissen zu kommen.
Seinen Kollegen Rainer Diehl kenne ich eher vom Sehen, aber das ist auch so ein Typ. Ein Typ eben. Beide fallen auf, weil sie präsent sind. Sie haben irgendwie so “einen Blick”, der anders ist als bei anderen Menschen. So wie ihre fotografischen Werke. Die sind von einem so brachialen Ernst getrieben, dass es einen umhaut. Und gleichzeitig wirken sie wie die leichteste aller Übungen, die man eben mal im Vorbeigehen erledigt. Mit einem Satz: Diese Fotos sind umwerfend.
Dabei wurde gar nichts umgeworfen, sondern ganz im Gegenteil voluminös in Beton gegossen. Die neue Kunsthalle Mannheim. Mit fast 70 Millionen Euro Investition einer der aktuellsten Museumsneubauten Deutschlands und einer der spektakulärsten weltweit, weil “Die Stadt in der Stadt” räumlich ein sehr offenes Konzept verfolgt, das einzigartig ist.
Kunst hinter den Kulissen
Die Impressionen der sehr hochwertigen Fotoprints sind selbst Kunst. Hinter den Kulissen. Für niemanden erfahrbar, der nicht diese Fotos sieht. Lukac und Diehl trieben sich über Jahre auf der Baustelle rum, wenn sie konnten und wenn sie ein Zeitfenster bekamen. Auch die Polizei interessiere sich mal für zwei verdächtige Gestalten, die sich nachts auf der Baustelle rumtrieben.
Nichts ist inszeniert. Kein Besen wurde verrückt, keine “Ameise” verschoben. Die beiden haben in Szene gesetzt, was die Szene war. Und das mit ungeheuer eindrücklicher Wucht bei gleichzeitig zärtlichster Betrachtung. Sie haben Augenblicke eingefangen, die man nur in ihren Fotos wahrnehmen kann. Hintergründlichkeiten, die ohne diese Fotos auf immer verborgen wären.
Sowas habe ich noch nicht gesehen
Keine Ahnung, ob es schon mal jemandem zuvor gelungen ist, Beton so zärtlich, so lebendig, so einfühlsam erlebbar zu fotografieren. Ich beschäftige mich berufsbedingt viel mit Fotografie (und versuche selbst zu lernen) – aber diese Arbeiten sind gewaltig. Sowas habe ich noch nicht gesehen.
Perspektive ist alles, habe ich mal von einem Fotoreporter gelernt, dem ich viel zu verdanken habe. Er möchte nicht genannt werden. Mein absoluter Fotoheld ist Henri Cartier-Bresson. Ich habe vier Ausstellungen seines Blickes, seines Moments, seiner Perspektive gesehen und kann mich immer wieder stundenlang vor diese unglaublichen Fotos stellen und in ihnen versinken.
Vergleiche sind meist nichts wert, weil die Zeiten und die Bedingungen andere waren, die Motivation und so vieles mehr. Aber vor die Fotos von Diel und Lukac kann man sich auch stellen und versinken. Die Zeit vergessen und nur beobachten, wirken und sich entführen lassen. Denn sie haben eine Dichte im Gesamten und im Detail, die einzigartig ist.
Nichts entsteht für die Ewigkeit. So ist das mit der gerade neu eröffneten Kunsthalle, die lange ein Magnet sein wird, aber irgendwann wie der Vorgängerbau wird weichen müssen. So ergeht es auch der Ausstellung, die in der Galerie für zwei Wochen “reingeschoben” wurde.
Eine Baudokumentation – ungeplant – unglaublich eindrucksvoll
Und so ungeplant auch die “Baudokumentation” verlief, so ungeplant ist auch dieser Text. Daniel hatte mich kurzfristig informiert, wir haben uns getroffen, uns unter Künstlerkollegen im Café Flo ausgetauscht. Ich war auf der Ausstellungseröffnung, zu der weit mehr als 100 Gäste kamen, sogar Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hielt die Eröffnungsrede.
Für mich war das zwischen Tür und Angel und ich war gekommen, weil ich erstens Daniel “Ehre erweisen wollte”, aber vor allem auch, um Ann-Christin Schuhmacher nach vielen Jahren wiederzusehen. Eine Künstlerin, die ich seit ebenfalls 20 Jahren sehr ins Herz geschlossen habe und die “meine” Fotografin für sehr schöne Porträts über Menschen in der Vergangenheit war. Sie ist wie ihre Kollegen ein Vollprofi. Hochkonzentriert auf den Moment. Immer bewusst, dass alles Inszenierung ist, aber immer bemüht, das abzubilden, was “die Wahrheit” ist, also das Geschehen, wie es sich zuträgt.
Zeitdruck allerorten
Am Montag rief mich Daniel an – ich dachte, die Fotos werden ein, zwei Monate ausgestellt, aber das war ein Missverständnis. Es bleiben nur noch wenige Tage, also musste ich schnell schreiben und nicht mit der tiefgründigen Ernsthaftigkeit, die ich mir vorgenommen hatte. Aber vielleicht ist das auch gar nicht schlimm, weil man dann schreiben muss, was einem einfällt und nicht, was man sich ausdenkt. Das habe ich mit diesem Text gerne gemacht. Und trotzdem ernsthaft – mit dem, was man vorfindet.
Das gilt auch für Ann-Christin. Sie ist für das “Finishing” der Fotoprints verantwortlich. Sie hat die Bilder bearbeitet und “rausgeholt, was rausgeholt werden musste”. Immer mit dem Respekt vor dem Moment, der Perspektive und dem Licht: “Die Szenerie ist immer im Original, ich habe hier und da nur genauer hingeschaut und nachgearbeitet”, sagt sie und lächelt bescheiden.
Dieser sorgfältige Blick ist das Markenzeichen ihrer “digital artwork” – den letzten Schliff in der Nuance zu geben.
Hingehen – staunen
Die Fotoprints sind käuflich zu erwerben, zwischen 550 und 1.950 Euro in limitierter Auflage. Sie stellen eine einzigartige Dokumentation dar, die man nur erleben kann, wenn man diese Fotos sieht und möglicherweise kauft. Wer eins der Werke erwirbt, erwirbt einen ungewöhnlichen Schatz, da bin ich sicher.
Als ich die Galerie betreten und die Fotos gesehen habe, dachte ich sofort an “Nighthawks” von Edward Hopper vor einem voluminösen Realismus mit einer bunten “Ameise” in der Ecke. Eingefangen im Moment, wo Zeit keine Rolle mehr spielt. Szenischer Realismus. Knallhart, aber mit Farbe im Detail.
Die Fotos wirken wie monochrom, aber das sind sie nicht. Es ist unglaublich, wie viel Farbe grau haben kann. Obwohl die Szenen sehr aufgeräumt wirken, ist gerade die Brechung in Nuancen lebendig. Natürlich sieht man auch Müll. Aufgeräumt, aber vorhanden. Warum auch nicht. Es sind Fotos einer Baustelle und keine heile-Welt-Inszenierung.
Man kann die Fotos auch in “klein” erwerben, in einer limitierten Auflage des Bildbandes zur Projektdokumentation für 95 Euro.
Ich schreibe keine “Kauf mich”-Texte, das wissen alle RNB-Leser. Aber ich schreibe gerne einen “Schau-Dir-das-an”-Text. Denn es ist einfach nur beeindruckend, wie Diehl und Lukac den Bau in seiner Entstehung eingefangen haben.
Und das macht diese Fotodokumente so sehr besonders – sie zeigen nicht, “was ist”, sondern Momente, “wie es entstand”. Also Perspektiven, die nur in besonderen Momenten festgehalten sind und nie mehr – beachten Sie das – nachvollziehbar sein werden, außer im Moment der Aufnahme.
Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag 10-19 Uhr, Samstag 10-16 Uhr.
Und mein persönlicher Tipp: Die Galerie sollte sich bemühen, diese Ausstellung nicht nur “zwischenrein zu nehmen”, sondern groß zu machen. Diehl und Lukac haben einen Schatz gehoben.
Das berühmteste Gemälde der Kunsthalle ist von einer brutalen Realität: Die Erschießung Kaisers Maximilian von Mexiko. Die Fotos von Diehl und Lucac sind von einem historischen Blick auf das Entstehen getrieben und nicht auf das Ende.
Wer weiß, möglicherweise hängen ja mal diese Fotos der Erschließung neben der Erschießung. Das hätte was.
Hinweis der Redaktion: Daniel Lukac und Hardy Prothmann sind keine “Buddies”. Man kennt und schätzt sich seit über 20 Jahren, hat immer mal zusammen gearbeitet, häufig über Jahre keinerlei Kontakt gehabt.
Trotzdem und gerade deswegen darf man sich mit hohem Respekt begegnen. Man “verfolgt” den anderen, bekommt immer mal wieder was mit, was der andere so treibt – einen gemeinsamen Urlaub haben wir ebensowenig verbracht wie einen Grillabend.
Wenn ein Lukac in einem der seltenen Gesprächse meint: “Du schreibst wirkmächtige Texte” und dann auch noch feststellt: “Du bist ein richtig guter Reportage-Fotograf geworden”, dann gefällt das natürlich. Aber “Gefallen” ist kein Wert an sich – es Bedarf der kritischen Überprüfung.
Diese Hommage an die großartige Leistung gilt nicht zwei Fotografen, die für Geld Werbemotive in Szene setzen, sondern der Leidenschaft zweier Künstler, die etwas erkennen und die Szenerie festhalten, was sonst für immer verborgen bliebe. Das ist eine großartige Leistung und keine, die sie reich machen wird.
Eine weitere Künstlerin ist genannt, die die beiden anderen angetrieben hat, den Schatz zu heben.
Diese Fotos sind von erheblichem Wert – weil sie wertfrei sind. Sie sind kein kommerzielles Projekt, kein politisches, sondern “nur” ein dokumentarisches auf der Basis von erheblichem Können, genau hinzuschauen.
Deswegen ist das ganz besonders großartig.