Rhein-Neckar, 23. Mai 2016. (red/ms) Sprache ist Manipulation. Jedes Wort weckt Assoziationen, verbindet Vorstellungen miteinander. Fast immer wird dabei verherrlicht oder entstellt, dramatisiert oder verharmlost. Die Medien sollten verantwortungsvoll mit Sprache umgehen. Dieser Verantwortung sind sich aber viele offenbar nicht bewusst – etwa wenn Begriffe wie „Islamischer Staat“ unreflektiert in die Alltagssprache übernommen werden, ohne dass man sich Gedanken macht, was genau dadurch befördert wird.
Von Minh Schredle
Wie in jedem Handwerk sind auch im Journalismus einige Techniken, etwa grundlegende Recherchefertigkeiten, unverzichtbar. Manche Utensilien sind darüber hinaus für die moderne Berichterstattung von unschätzbarerer Bedeutung – beispielsweise leistungsfähige Computer oder flächendeckendes Internet.
Wie in jedem Handwerk sind auch im Journalismus einige Techniken, etwa grundlegende Recherchefertigkeiten, unverzichtbar. Manche Utensilien sind darüber hinaus für die moderne Berichterstattung von unschätzbarerer Bedeutung – beispielsweise leistungsfähige Computer oder flächendeckendes Internet.
Unser wichtigstes und wertvollstes Werkzeug aber ist die Sprache.
Und wie jedes Werkzeug muss auch die Sprache gepflegt werden, um präzise zu bleiben. Wer seine Instrumente verkommen lässt, kann unmöglich sauber arbeiten. Daher feilen wir in der Redaktion Tag für Tag an Formulierungen, schleifen am Satzbau und wägen fein sorgfältig ab, wie die Begriffe, die wir benutzen, aufgefasst werden können – und was mit jedem einzelnen Wort möglicherweise in Verbindung gebracht wird.
Schnitzer und Feinschliff
Selbstverständlich kommt es dabei – wie in jedem Handwerk – zu Schnitzern und gelegentlich auch zu groben Fehlern. Diese wollen wir nicht verschleiern. Sondern transparent verbessern. Und dabei fällt ins Auge, wie leichtfertig über unreflektierten und unsinnigen Sprachgebrauch hinweg gesehen wird – und wie schwerwiegend sich die Konsequenzen auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit auswirken können.
Sprache ist Manipulation. Das ist tautologisch – denn es gilt für alle nur vorstellbaren Formen der Kommunikation. Jede Aktion erzeugt eine Reaktion. Jeder Reiz eine Regung. Jedes Wort eine Wendung. Durch Analysen lassen sich allerdings Analogien in den Wirkweisen feststellen – und allmählich entsteht Bewusstsein für die Prozesse. Zumindest sofern man sich die Mühe macht, diese genau zu beobachten.
Kennen Sie dieses Manipulationsspiel? Sie wissen schon – das mit dem Elephanten. Denken Sie jetzt bloß nicht an einen Elephanten! Und? Na also.
Euphemismen und Dämonisierung
Im Allgemeinen bleibt die Medienwelt meist deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Für den Sprachgebrauch vieler Journalisten gilt das ganz besonders. Dass es dabei notgedrungen zu unbeholfenen Formulierungen kommt, ist weniger tragisch. Übel kann es enden, wenn Bezeichnungen systematisch übernommen werden, ohne sie zu hinterfragen und dadurch Zerrbilder entstehen, die entweder verherrlichend oder entstellend wirken.
Beispiele gibt es etliche. Etwa wenn ein Krieg als „bewaffneter Konflikt“ bezeichnet wird. Das klingt so als säße man ganz diplomatisch bei einem konzentrierten Streitgespräch zusammen und zufällig liegen auch noch ein paar Waffen rum. Zumindest wird der Begriff nicht so unmittelbar mit furchtbarem Leid, tausenden Toten und unzähligen zivilen Opfern assoziiert, die für irgendeinen höheren, vermeintlich „gerechten“ Zweck sterben müssen.
Was genau ist an Terror religiös?
Aus Sicht der Redaktion ist ein Begriffspaar in der öffentlichen Debatte besonders bedrohlich: Der „religiöse Terrorismus“. Dieser Ausdruck entfremdet die Absicht einer jeden Ethik, indem er einen vermeintlichen Glaubensinhalt als Motivation für entsetzliche Taten anführt. Terrorismus ist niemals religiös – denn er wendet sich gegen alle Werte, die dem Glauben Bedeutung geben.
Der „Islamische Staat“ wird weitgehend als „Islamischer Staat“ bezeichnet, weil er sich selbst so nennt – aber was wird damit eigentlich ausgesagt?
Indem man gottlosen Terroristen das Attribut „islamisch“ zuschreibt, entsteht das Bild, der gottlose Terrorismus stehe im Interesse des gesamten Islams. Diese Betrachtungsweise wird Milliarden von Menschen nicht gerecht, die das Abschlachten Andersgläubiger nicht als Teil ihrer islamischen Religion ansehen.
Sprache konditioniert
Es gleicht einer Konditionierung: Das Reizwort Terrorismus ist untrennbar mit Gefahr und Bedrohung verbunden. Indem es andauernd mit dem Islam in Verbindung gebracht wird, wird der gesamte Islam selbst zunehmend als Gefahr und Bedrohung wahrgenommen.
In der Redaktion haben wir schon vor einiger Zeit entschieden, statt vom „Islamischen Staat“ von „Daesh-Terroristen“ zu schreiben. Im deutschsprachigen Raum geht die unmittelbare Assoziation zum Islam verloren, die nur im Interesse der Terroristen, nicht aber in dem des Großteils der gemäßigten Gläubigen steht.
Präzise Zuordnung
Ähnlich werden wir ab sofort mit sämtlichen terroristischen Handlungen umgehen: Statt einen unscharfen Überbegriff zu verwenden, müssen die verantwortlichen Personengruppen identifizieren und so präzise wie nur möglich eingegrenzt werden.
Erst dann kann wirklich und ernstzunehmend differenziert werden zwischen denen, die wirklich verantwortlich für Verbrechen sind und denen, die ansonsten ebenfalls indirekt „mitbeschuldigt“ werden würden, weil sie irgendein gemeinsames Attribut mit der Tätergruppe teilen.
Wir werden also nicht mehr von „islamistischem Terrorismus“ berichten – sondern von Al-Quaida-Terrorismus, wenn Al-Quaida verantwortlich ist, von Boko-Haram-Terrorismus, wenn Boko-Haram verantwortlich ist, und so weiter. Damit verfahren wir analog zur Erklärung der Menschenrechte, die die Unschuldsvermutung höher schätzt als den Generalverdacht.
Der Deckmantel des ideologischen Begriffs
Es steht fest, dass der Islam auch von Terroristen selbst als Motivation für eine Vielzahl von Anschlägen angeführt wird – diese Deutung muss deswegen aber nicht zwangsweise übernommen werden.
Auch die Kreuzzüge haben angeblich im Interesse Gottes stattgefunden und Millionen von Opfern gefordert – wie repräsentativ sind die Kreuzzüge für „das Christentum“?
Verantwortlich waren einzelne, die den Deckmantel der Religion für grausame Morde missbrauchten.
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Auch „der Islam“ – ist alles andere als eine homogene Masse völlig Gleichgläubiger. Und weltweit betrachtet sind die meisten Opfer „religiös motivierter“ terroristischer Anschläge aktuell selbst Muslime. Inwiefern kann man da noch von „islamistischem Terrorismus“ sprechen?
Wir appellieren also, den Sprachgebrauch zu überdenken, um keine Unschuldigen in Mitleidenschaft zu ziehen.
Andere Debatte
Unabhängig davon gibt es ganz offensichtlich Probleme in der (mehrheitlich) islamischen Welt und massive Menschenrechtsverletzungen.
Gut, dass Europa hingegen schon immer frei von Sünde war und auf eine blütenweiße Vergangenheit zurückblicken kann.
Ironie beiseite: Man sollte keiner Gesellschaft je die Fähigkeit zur Veränderung absprechen – auch wenn es Jahrhunderte dauern kann und sich Erfolge oft quälend langsam einstellen.
Was „der Islam“, also die etlichen verschiedenen, teils extrem unterschiedlichen Glaubensströmungen, konkret an Werten vertritt und wie diese in den vielen verschiedenen Schulen vermittelt werden, ist aus der Perspektive eines westlichen Journalisten, der weder arabisch spricht noch irgendwelche kulturellen Hintergründe vorweisen kann, nicht seriös darzustellen – ebenso wenig sind dazu Freizeit-Theologen in der Lage, die irgendwo die Übertragungen einiger Sure aufgeschnappt haben und nun meinen, über „die Wahrheit“ aufklären zu können.
Niemand ist unfehlbar
Problematisch ist definitiv in jeder Hinsicht der Unfehlbarkeitsanspruch an die eigene Religion, der von keinem vernünftigen Menschen ernsthaft vertreten werden kann und der zwangsläufig überwunden werden muss, wenn ein modernes Zusammenleben auf Dauer möglich sein soll.
Dafür braucht es einen Dialog: Werte wie die Würde des Menschen, Gleichberechtigung und Respekt müssen diskutiert werden – bis sie endlich allgemein (selbst)verständlich sind.
Wer aber das Töten von Menschen zu einer religiösen Angelegenheit erklärt, hat weder Ethik noch Sprache verstanden. Keine Religion tötet – verantwortlich sind immer die Menschen, egal wie sie ihr Motiv „begründen“ wollen.
Unsere Kolumne Montagsgedanken greift Themen außerhalb des Terminkalenders auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Weltweites oder Regionales, Sport oder Verkehr. Kurz gesagt: Alle Themen, die bewegen, sind erwünscht. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden….