Mannheim, 23. März 2017. (red/momo) 9.000 Tonnen Sperrmüll fallen jährlich in Mannheim an, dazu kommen noch etwa 7.400 Tonnen, die direkt an den Recyclinghöfen abgegeben werden. Die wenigsten Menschen „verschwenden“ nach dem Rausstellen noch einen Gedanken daran. „Was weggeworfen wurde, ist ja schließlich nicht mehr da“, werden sich viele denken. Doch wer holt das alles ab? 9 Millionen Kilo Abfall. Wie funktioniert das überhaupt und was geschieht mit dem ganzen Müll? Frei nach dem Motto „Mittendrin statt nur dabei“ habe ich den Selbstversuch gemacht und bei einer Tagestour der Abfallwirtschaft Mannheim mitgearbeitet. Ich habe gelernt: Dass Mannheim nicht ganz schnell im Müll versinkt, ist weitreichender Planung, hohem Aufwand und vor allem der harten Arbeit motivierter Müllwerker zu verdanken. Bei Wind und Wetter.
Von Moritz Bayer
Als ich um 09:30 Uhr bei der Abfallwirtschaft Mannheim in der Käfertaler Straße ankomme, herrscht dort bereits geschäftiges Treiben. Kein Wunder, denn Dienstbeginn ist um 06:45 Uhr – ich fahre auf der zweiten Runde des Tages mit.
Nach zahlreichen Informationen und der Einweisung durch Herrn René Bison, dem stellvertretenden Abteilungsleiter der Abfallwirtschaft Mannheim, gehen wir zum Hauptgebäude, wo ich meine Arbeitsmaterialien bekomme: Sicherheitsschuhe, Handschuhe, T-Shirt, Latzhose und eine Softshell-Jacke. Auch eine Schutzbrille wird ausgehändigt.
Ohne Plan läuft hier nichts
Im Aufenthaltsraum lerne ich dann Kolonnenführer Mike kennen, dessen Kolonne 3 ich heute begleiten darf. Der 30-Jährige ist bereits seit elf Jahren dabei und verantwortlich für eins der vier Teams, die in einem regelmäßigen Turnus die zehn Sperrmüllgebiete Mannheims befahren. Deren Einteilung orientiert sich an der Einwohnerdichte und dem Auftragsvolumen. Nach Aufnahme der Bürgeranträge werden in der internen Datenbank der Abfallwirtschaft die Routen geplant.
Jeder Bürger kann kostenlos zweimal pro Jahr vier Kubikmeter oder einmal acht Kubikmeter als Sperrmüll anmelden. In der Regel bekommt man einen Abholtermin innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen. Expresstermine (innerhalb zwei bis drei Tage) oder Zusatzmengen sind jederzeit gegen Gebühr bestellbar.
40 Aufträge pro Schicht
Meine Sperrmüll-Kolonne besteht, wie die meisten, normalerweise aus fünf Personen: Im Presswagen sitzen neben Fahrer Willi noch Kolonnenführer Mike und Müllwerker David. Der zweite Wagen, das Schrottfahrzeug, wird von Walter und Peter gefahren und bedient. Um die 40 Aufträge arbeitet ein solches Team jeden Tag ab. Bei jedem Auftrag werden Elektroschrott und Metall grob vorsortiert und ins Schrottfahrzeug geladen und später veräußert. Die Erlöse daraus behält die Stadt Mannheim nicht für sich, sondern setzt sie zur Entlastung der Müllgebühren ein.
Nachdem wir in unseren heutigen Bezirk, die Schwetzinger Vorstadt, losgefahren sind, bemerke ich schnell, wie eingespielt die Mannschaft agiert. Mike plant als Kolonnenführer die Route der Abholtermine, lässt sich aber auch durchaus von erfahrenen Kollegen mit dem ein oder anderen guten Tipp helfen. Jeder packt mit an, auch die Fahrer, was laut Willi nicht bei jedem Team der Fall ist:
Manche Fahrer bleiben sitzen und denken „ich habe keine Lust, immer ein- und auszusteigen“, aber so etwas käme mir nie in den Sinn. Wir sind hier ein Team und je mehr Hände anpacken, desto schneller ist die Arbeit getan.
Zusammen im Akkord
Zusammenarbeit wird groß geschrieben und ist in einem solchen Job auch absolut unumgänglich. In Akkordarbeit werden alle (Sperr-)müllhaufen in die Fahrzeuge verladen, bis zu 12 Tonnen kommen da an einem Tag durchaus mal zusammen. Mike warnt mich, als ich ein größeres Stück Holz in den Presswagen hieve, dass ich besser zur Seite gehe.
Die hydraulische Presse macht alles kurz und klein, also Hände weg und aufpassen, da fliegt manchmal auch wieder was raus.
Meine Frage, wofür ich die Schutzbrille brauche, hat sich damit erübrigt.
Während wir auf eine enge Kurve zufahren, biegt vor uns ein schwarzer BMW in die Straße ein und möchte in die entgegengesetzte Richtung fahren. Entgegen der Tatsache, dass wir mit dem tonnenschweren Presswagen weder gut rangieren können, noch mit der orangenen Warnleuchte sonderlich leicht zu übersehen sind, ist der Fahrer der Meinung, dass er zuerst durch muss und tut sein Anliegen durch eindeutige Gesten kund. Erst nachdem er erkennt, dass es andersrum auch für ihn schneller geht, setzt er zurück und wir können weiter.
Gute Nerven gehören zum Job
Wie die Müllwerker dabei so ruhig bleiben können?
Das war noch gar nichts. In manchen Bezirken werden wir regelmäßig beschimpft und bedroht. Manche Leute meinen, dass was immer sie gerade wollen oder brauchen, natürlich wichtiger ist als wir. Wir sind ja nur Müllmänner,
klärt mich David auf. Nur Müllmänner? Egal, wie man sie nennt (das ist zumindest der Kolonne 3 nämlich egal), da läuft etwas im Denken grundsätzlich falsch. Jeder kennt das Gefühl, wenn die Mülltonne überlaufend voll ist und man dringend noch etwas loswerden möchte. Wie würde das alles aussehen, wenn die „Müllmänner“ nicht ständig für den Abtransport sorgen würden?
Meckernde Bürger sind übrigens nicht das Schlimmste:
Ich wurde schon angeschrien, bespuckt und beinahe geschlagen. Aber das krasseste Erlebnis war, als wir im Jungbusch einmal mit Baseball-Schlägern bedroht wurden,
sagte mir Guido. Er ist der Müllmann-Veteran im Team – seit 28 Jahren dabei. Ich habe es zuerst nicht glauben können, aber Guido erzählt das so ruhig, als wäre es das Normalste der Welt.
Dass die Müllwerker selbst mit abwertendem oder gar feindlichen Verhalten der Bürger klarkommen und teils schon damit rechnen, ist wirklich beschämend. Diese Männer leisten einen der wichtigsten Beiträge zur Sauberkeit und Hygiene für die Bürgerschaft. Nicht zuletzt verbessern sie massiv das Erscheinungsbild der ganzen Stadt.
Müll ist nicht gleich Müll
Selbst auf unser vermeintlich angenehmen Route fallen mir schnell die wilden Müllablagerungen auf und mit reinem Sperrmüll haben auch die wenigstens Adressen etwas zu tun. Renovierabfälle, Fußböden und Bauschutt beispielsweise haben im Sperrmüll nichts verloren, gehören aber zum alltäglichen Erscheinungsbild. Auch Müllsäcke mit normalem Abfall sind keine Seltenheit, einmal besteht ein Abholtermin sogar gänzlich aus solchen.
Kolonnenführer Mike sagt:
Das ist leider völlig normal. Bestimmt 50 Prozent der Stoffe sind „falscher Müll“ und streng genommen müssten wir den eigentlich gar nicht mitnehmen. Aus Kulanz machen wir es aber, soweit wir können, außerdem wäre Mannheim innerhalb von wenigen Tagen nicht wiederzukennen, wenn wir alles stehen lassen, was nicht den Vorschriften entspricht.
Besonders schlimm seien die „Problembezirke“ Jungbusch, Waldhof, Schönau, Neckarstadt-West und Hochstätt. Manchmal wünscht sich Mike, dass hier von politische Seite härter durchgegriffen würde. In Ludwigshafen wird zum Beispiel rigoros nur angemeldeter Sperrmüll mitgenommen, Beistellungen und wilde Ablagerungen bleiben liegen oder werden – sofern zuzuordnen – den entsprechenden Bürgern in Rechnung gestellt.
Stadt zeigt sich (noch) kulant
In Mannheim zeigt man sich bisher nachsichtig, es ist natürlich auch eine Abwägung: „Normaler Abfall“ verzerrt die dafür eigentlich anfallenden Abfallgebühren, verunreinigt das Straßenbild und sorgt für Verzögerungen der Arbeit beim tatsächlichen Sperrmüll.
Auf der anderen Seite wachsen wilde Haufen durch den sogenannten „Broken Window Effekt“ schnell an, wenn sie nicht beseitigt werden. Ab einer gewissen Größe und Lage gefährden sie zusätzlich die Verkehrssicherheit. Daher lässt Mannheim, soweit möglich, immer alles räumen, wohlwissend, dass die dafür „verantwortlichen“ Bürger sich in ihrem unverantwortlichen Handeln wohl leider bestätigt sehen werden.
Mittlerweile hat es angefangen, zu regnen. Für Kolonne 3 ist das nebensächlich, denn die Arbeit muss bei Wind und Wetter erledigt werden. Ich bekomme eine kleine Vorstellung davon, wie ein Arbeitstag bei schlechtem Wetter aussehen kann und mein Respekt wächst mit jeder Minute weiter.
Richtiger Regen ist gar nicht das Schlimmste, dann ist man halt nass und weiter gehts. Was wirklich nervt, ist so ein Misch-Wetter und Wind. Wenn man dann halb nass, halb trocken ist und draußen nirgends stehen kann, ist das nicht so angenehm,
sagt David.
Schrott bis an die Kapazitätsgrenze
Wir kommen mit unserer heutigen Route erstaunlich gut durch. Zwei Mal meldet Mike auch sogenannte Lehrfahrten an die Zentrale, also Adressen, an denen Sperrmüll stehen sollte, aber nicht steht.
Dies hat meist einen von zwei Gründen: Entweder war der Müll wertvoll – besonders Kupfer und Metallschrott stehen hoch im Kurs – und wurde von Privatpersonen bereits abtransportiert, oder der Müll ist nicht auffindbar. Er muss an den Fahrbahnrand gestellt werden.
Die Müllwerker suchen nur die nähere Umgebung stets kurz ab, aber wenn bei einem langen Reihenhaus der hinterste Bewohner denkt, er könne die Strecke um die Ecke und hundert Meter zur Straße sparen und den Sperrmüll direkt vor seiner Wohnungstür ablagern, führt das zum ein oder anderen Missverständnis.
In solchen Fällen wird der übersehene Haufen im nächsten Turnus, nach Möglichkeit auch früher nachträglich abgeholt. Da wir heute ein wenig Glück hatten und als gut funktionierendes Team früher als planmäßig fertig sind, fahren wir beispielsweise nach Rücksprache Mikes mit den anderen Kolonnenführern in den Jungbusch und unterstützen die dortige Kolonne bei ihrer Tour.
Dort erwartet uns eine ganze Garage voll mit alten Kühlschränken und Ähnlichem. Der Schrottwagen kommt an seine Kapazitätsgrenzen, doch mit vereinten Kräften schaffen wir, alles einzuladen. Ohne Teamwork wäre man hier absolut aufgeschmissen. Ich bin als langjähriger Rugby-Spieler zwar körperlich fit, aber dennoch frage ich mich, was mein Rücken dazu sagen würde, wenn ich diese Arbeit tagtäglich leisten müsste.
Das Team ist alles
Gegen 15:00 Uhr fahren wir dann Richtung Zentrale in die Käfertaler Straße. Mike und sein Team machen Späße und freuen sich auf den wohlverdienten Feierabend. Ein Lob fällt auch für mich ab, offenbar hab ich mich gar nicht so schlecht angestellt. Die Jungs waren eher erstaunt, dass ich tatsächlich mitschaffen wollte.
Allerdings hat mir das Team es auch leicht gemacht: Die angenehmen Atmosphäre beim Arbeiten, ein Witz hier und da mit- oder übereinander und die Zeit verging wie im Flug.
Anders geht es auch nicht. Wenn wir uns nicht untereinander gut verstehen würden, wäre die Arbeit kaum auszuhalten. Wir sind hier schon etwas wie eine Familie,
erklärt Mike das gute Miteinander des Teams.
Am Ende des Tages? Respekt!
Eine Familie, die eine für jede Gemeinde essenzielle Arbeit verrichtet und dabei niemals nur „Dienst nach Vorschrift“ leistet, sondern viel mehr. Jeden Tag. Bei jedem Wetter. Trotz aller widrigen Bedingungen.
Das verdient keine hämischen Blicke oder Kommentare. das verdient schon gar kein feindseliges Verhalten.
Das verdient Dankbarkeit und Respekt. Meinen haben sie. Ihren auch?