Rhein-Neckar/Neckar-Odenwald/Karlsruhe/Heerlen, 21. April 2017. (red/pro) Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat als Arzneimittelaufsichtbehörde eine vom Online-Versandhandel DocMorris am 19. April 2017 in Hüffenhardt eröffnete „Arzneimittelabgabestelle mit digitalem Beratungsservice“ heute untersagt. Ob das so bleibt, wird man sehen. Das Unternehmen kündigte an, die Begründung abzuwarten und dann weitere Schritte zu entscheiden. Eigentlich müsste das neue Angebot ganz im Sinne der Landesregierung sein – doch praktisch machen die Apothekerverbände Druck.
Von Hardy Prothmann
Immer mehr kleine Gemeinden vor allem in ländlichen Raum stehen ohne eigene Apotheke da – hier entstehen seit Jahren ähnlich wie bei der ärztlichen Versorgung große Lücken. Ein unumkehrbarer Trend, der wirtschaftliche Gründe hat. Je kleiner das Einzugsgebiet, desto weniger lohnen sich der Betrieb einer Apotheke oder Arztpraxis.
![](https://rheinneckarblog.de/wp-content/uploads/2017/04/medikamente-ex.jpg)
Von Würfel – http://pool.nursingwiki.org/wiki/Image:Medikamente.JPG, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1301674
Umgekehrt sind aber immer mehr Menschen – allein durch den demografischen Prozess – auf Medikamente angewiesen. In Hüffenhardt (Neckar-Odenwald-Kreis) gab es 30 Jahre lang ein Apotheke – als der Inhaber vor über zwei Jahren in Ruhestand ging, fand sich kein Interessent und die Hüffenhardter müssen sich ihre Medikamente nun außerhalb der 2.000-Seelen-Gemeinde 30 Kilometer südöstlich von Heidelberg besorgen.
Seit zwei Jahren keine Apotheke – neues Angebot noch zwei Tagen verboten
Am Mittwoch öffnete der niederländische Versandhändler Doc Morris nun die erste „Video-Apotheke“ als „digitale eHealth-Lösung für unterversorgte Regionen“: Per Video-LiveChat werden die Kunden von den pharmazeutischen Fachkräften der Versandapotheke beraten. Anschließend besteht die Möglichkeit, verschreibungsfreie und rezeptpflichtige Arzneimittel direkt vor Ort über ein stationäres Abgabeterminal mitzunehmen. Vor der automatisierten Abgabe würden alle Rezepte eingehend pharmazeutisch geprüft, versichert Doc Morris.
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Im Abgabeterminal von DocMorris befindet sich nach Angaben des Unternehmens „ein großes Spektrum an gängigen Arzneimitteln zur Akutversorgung der Hüffenhardter“. Das Lager verfüge über 8.000 Lagerplätze, ergänzt um ein Kühlmodul mit einem Fassungsvermögen von bis zu 500 Packungen. Vor Ort stehe ein DocMorris-Mitarbeiter als Ansprechpartner für Service und Technik zur Verfügung.
Wir freuen uns, dass wir mit unserer digitalen eHealth-Anwendung die bestehende pharmazeutische Versorgungslücke in der Gemeinde Hüffenhardt schließen können. Mit unserem Pilotprojekt zeigen wir, wie dank der Digitalisierung ländliche Strukturen gestärkt werden können und der Bevölkerung ein Stück Lebensqualität bewahrt oder gar zurückgegeben werden kann,
sagt Max Müller, Mitglied des Vorstandes bei DocMorris.
Baden-Württemberg als „modernster Standort für digitale Gesundheitsversorgung“?
Das Unternehmen sieht das neue Angebot „ganz im Sinne der baden-württembergischen Landesregierung“. Diese setzte in ihrem Koalitionsvertrag ebenfalls auf die Chancen der digitalen Entwicklung: „Die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen bietet, gerade auch in ländlichen Regionen, gute Möglichkeiten, die medizinische Versorgung der Bevölkerung, auch sektoren- und institutionsübergreifend zu verbessern und zu erleichtern. Wir wollen unser Land zum modernsten Standort für digitale Gesundheitsversorgung entwickeln.“
Doch die Landesregierung sieht das nicht so, wie DocMorris. Zur Schließung des neuen Angebots teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe mit:
Das Regierungspräsidium stützt die Entscheidung darauf, dass der Verkauf apothekenpflichtiger Arzneimitteln strengen Anforderungen des Gesetzgebers unterworfen ist. Die Abgabe in Hüffenhardt erfolgt nicht in einer Apotheke und ist auch nicht von der Versandhandelserlaubnis des in den Niederlanden ansässigen Unternehmens umfasst. Der Versand muss aus einer öffentlichen Apotheke heraus erfolgen, was notwendigerweise mit einer individuellen Versendung oder Auslieferung an einen Dritten oder eine Abholstation verbunden ist. Die Abgabe aus einem vorab mit einem Arzneimittelvorrat befüllten Lagerautomaten sieht diesen Schritt gerade nicht vor.
Die Automatenabgabe verwische aus Sicht der Aufsichtsbehörde „in unzulässiger Weise die Grenze zwischen dem Versandhandel und der Abgabe von Arzneimitteln in einer Präsenzapotheke.“ Letztere unterlägen hinsichtlich der Räumlichkeiten, der Ausstattung und des Fachpersonals hohen gesetzlichen Anforderungen, die durch das Abgabeterminal umgangen wird.
Außerdem führt das Regierungspräsidium ins Feld: „Zusätzlich wird bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei der Prüfung der Rezepte am Terminal gegen Formvorschriften der Apothekenbetriebsordnung verstoßen, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit von jeder Apotheke einzuhalten sind.“
Die Arzneimittelversorgung sei in Hüffenhardt weiterhin gesichert, da die Bevölkerung eine Rezeptsammelstelle von zwei in den Nachbarorten ansässigen Apotheken nutzen können – aber gerade dies ist wohl in Hüffenhardt immer als „Notlösung“ verstanden worden. In früheren Medienberichten zeigte sich Bürgermeister Walter Neff jedenfalls neugierig auf das neue Angebot.
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Die Apothekerverbände und hierzulande die Landesapothekenkammer Baden-Württemberg kämpfen nicht nur gegen den Versand von rezeptpflichtigen Arzneien, sondern auch für eine Preisbindung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hingegen hatte am 19. Oktober 2016 entschieden, dass ausländische Versandanbieter sich im Gegensatz zu den öffentlichen Apotheken in Deutschland nicht an die Festpreisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel halten müssen.
Apothekerverband fordert Versandverbot rezeptpflichtiger Medikamente
Um die daraus resultierenden Probleme zu lösen, setze sich die Apothekerschaft in Baden-Württemberg für ein Versandverbot rezeptpflichtiger Medikamente ein, wie es auch ein Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums vorsehe, teilte der Verband mit. Diesem Entwurf werden von Experten allerdings wenig Chancen auf Umsetzung gegeben.
Zwischen dem 20. Dezember 2016 und dem 1. März 2017 hatten zahlreiche Apotheken in Baden-Württemberg und auch bundesweit Unterschriftenbögen ausgelegt, die folgenden Text enthielten:
Aktuelle Entscheidungen der EU machen es ausländischen Konzernen noch einfacher, sich an unserem Gesundheitssystem zu bereichern. Internationale Versandhändler wollen die Rosinen aus unserem System picken, ohne das zu leisten, was meine Apotheke vor Ort macht: Nacht- und Notdienst, persönliche Beratung, Rezeptur, … Ich fordere von der Politik: Stoppen Sie die gefährlichen Einflüsse von außen. Schützen Sie die Apotheken vor Ort!
Der Effekt der Untersagung der „Video-Apotheke“ hat vor Ort in Hüffenhardt keine Apotheke geschützt – dort gibt es wie beschrieben seit über zwei Jahren keine und das aktuelle Angebot durch DocMorris wurde nach zwei Tagen untersagt.
Mit dieser Entscheidung wird die von den Hüffenhardtern seit langem gewünschte Arzneimittelversorgung vor Ort untersagt. Wir werden nun die Begründung abwarten und uns weitere Schritte vorbehalten. Es wäre absurd, dass alternative und digitale Versorgungskonzepte zum Vorteil der Patienten, wie die Landesregierung sie selbst im Koalitionsvertrag für den ländlichen Raum fordert, verhindert werden. In der Konsequenz sind es die Menschen vor Ort, die nun ohne Lösung dastehen. Wir glauben weiterhin, dass man in Deutschland digitale Projekte zum Wohle aller umsetzen kann,
reagierte DocMorris-Chef Olaf Heinrich unmittelbar auf die Untersagung des Betriebs. In der Vergangenheit hat sich das Unternehmen schon häufiger rechtlich durchsetzen können.
Markt im Umbruch
Der Arzneimittel-Versandhandel zu meist deutlich günstigeren Preisen ist den hiesigen Apotheken natürlich ein Dorn im Auge. Über die rund 20.000 Apotheken in Deutschland werden jährlich Medikamente mit einem Umsatzvolumen von rund 50 Milliarden Euro vertrieben. 3.000 deutsche Apotheken haben auch eine Versanderlaubnis – aber nur 150 sollen diese nach Informationen des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken professionell einsetzen.
DocMorris ist die bekannteste Apothekenmarke in Deutschland und zugleich Europas größte Versandapotheke mit einem Umsatz von über 331 Millionen Euro im Jahr 2016. Rund 600 Mitarbeiter arbeiten für DocMorris, einem Tochterunternehmen der Schweizer Zur Rose Group AG, mit Sitz im niederländischen Heerlen.
Nach Unternehmensangaben haben bislang über 4 Millionen Kunden Arzneimittel und Apothekenprodukte bei DocMorris bestellt. Neben der Beratung per Telefon, Brief oder E-Mail werde bei DocMorris der Bereich Telepharmazie weiterentwickelt. Die Videoberatung soll beim Medikationsmanagement unterstützen – und findet durchaus Unterstützung bei den Krankenkassen, denn die haben wie die Patienten ein Interesse an niedrigeren Kosten.
Keine deutschen Innovationen in Sicht
Ein typisches deutsches Problem zeigt sich auch im Medikamentenmarkt. Statt sich zusammenzufinden und ein nationales Angebot zu schaffen, kommt die Konkurrenz wie bei ebay, Amazon und anderen Versandhändlern aus dem Ausland. Die Verlegerverbände kämpfen gegen Google. Netflix, Youtube und andere Angebote revolutionieren den Videomarkt.
Online-Versandhandel macht bislang in fast allen Märkten nur einen Bruchteil der Umsatzvolumen aus – aber generieren Jahr für Jahr mehr Umsatz, der dem klassischen Handel fehlt.
31 Millionen Kunden (55 Prozent aller Internetnutzer) haben 2016 Arzneimittel in Versandapotheken bestellt, teilt der Bundesverband Deutscher Versandapotheken mit. 2015 seien es 27 Millionen Kunden (49 Prozent) gewesen. Zum Vergleich: 2012 seien es 16 Millionen Kunden (30 Prozent) aller Internetnutzer gewesen. Die Zahl der Kunden hat sich also innerhalb von fünf Jahren verdoppelt.
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