Rhein-Neckar, 19. Januar 2016. (red/nh) In jeder Stadt und in jedem Dorf gibt es ein Rathaus. Warum das so ist? Das Rathaus gehört seit je her zu den wichtigsten Orten einer Stadt. Es repräsentiert die Politik ebenso wie die Gemeinde, es schafft Identität und ist unentbehrliche Anlaufstelle für die Bürger. Wir begeben uns auf Spurensuche und nehmen die Rathäuser der Rhein-Neckar-Region in einer Serie unter die Lupe. Den Anfang macht das Rathaus in Ilvesheim – das ursprünglich ein Wohnhaus war.
Von Naemi Hencke
Rathäuser sind als Institution seit dem zwölften Jahrhundert nicht mehr aus Städten und Dörfern wegzudenken. Hier werden seitdem überwiegend alle wichtigen wirtschaftlichen Belange einer Gemeinde geregelt. Es ist Sinnbild für das politisches Geschehen und bedeutend als Identitätsstifter der bürgerliche Gemeinde. Es ist die zentrale Anlaufstelle einer Stadt.
Anfangs wurden Zweckbauten wie Tuchhallen, Markthallen und Wohnhäuser zu Rathäusern umfunktioniert; oft am Marktplatz und in der Nähe der Kirche gelegen.
Im Laufe der Zeit wuchsen die Gemeinden beständig und damit auch die Aufgaben des Rates: Viele Städte entschieden sich gegen einen Neubau – wahrscheinlich auch wegen der Kosten – und bauten nach und nach an und um.
Ilvesheim – seit 766 als Dorf bekannt
Ilvesheim wurde erstmals im Jahre 766 urkundlich als Dorf erwähnt. Seit dem dreizehnten Jahrhundert gehörte Ilvesheim zur Kurpfalz. Im Jahr 1689 wurde das Dorf im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges nahezu zerstört. Anfang des 19. Jahrhunderts löste sich die Kurpfalz auf und Baden erlangte das Dorf Ilvesheim. Seit 1863 gehört Ilvesheim zum Bezirksamt Mannheim.
Das Ilvesheimer Rathaus
Das heutige Ilvesheimer Rathaus wurde 1854 erbaut. Es war ursprünglich das Wohnhaus von Franz Josef Zentner, der bis zu seinem Tod hier lebte. 1865 wurde das Gebäude von der Gemeinde Ilvesheim als Rathaus erworben – ob es ersteigert wurde ist nicht belegt.
Der erste größere Umbau erfolgte in den Jahren 1884 und 1885. Anfang der neunziger Jahre wurde letztmals etwas an dem Gebäude verändert.
Wir haben weiter recherchiert. Aus einer Dokumentensammlung von 1864 geht die spannende Geschichte des Rathauserwerbes hervor.
Die Gemeinde schrieb in einem ausführlichen Brief von 1864 das Großherzögliche Bezirksamt in Mannheim an und beschrieb, wie es um das alte Rathaus bestellt war: Es war durch den größer werdenden Verwaltungsaufwand viel zu klein geworden, baufällig und obendrein „mitten in der Straße stehend“. Aus diesen Gründen beantragte die Gemeinde, das Franz-Josef-Zentner Haus zu erwerben und hier das neue Rathaus einzurichten.
1864 – Brief an das Großherzögliche Bezirksamt in Mannheim
„Bericht des Gemeinderats Ilvesheim – Den Zustand des hiesigen Rathauses betreffend. (Abschrift 22003, 28.10.1864.)
Großes Bezirksamt Mannheim erlauben wir uns in der rubrizierten Sache folgendes vorzutragen:
Das hiesige Rathaus […] ist zweistöckig, im unteren Stocke befinden sich auf der Seite gegen den Neckar das Wachtzimmer und eine Holzremise, auf der Seite gegen das Gebirge die Feuerspritzenremise.
Im 2ten Stocke befindet sich links des Eingangs ein Zimmer […] welches als Kanzlei- und Versammlungszimmer dient; außer diesem Zimmer befindet sich auf der entgegengesetzten Seite des Hausganges ein Registratur- und Arrestzimmer, welche zusammen nicht ganz so groß als das Kanzleizimmer sind; dies ist unser ganzes Rathaus.
Große Missstände
Für ein Wartezimmer ist gar kein Raum vorhanden, so daß die Diener entweder im Hausgang stehen, oder sich in dem Kanzleizimmer aufhalten müssen, was gewiss ein Mißstand ist. Ein fernerer noch größerer Mißstand ist aber der, daß die Treppe in den 2ten Stock von außen hinauf geht und nicht gedeckt ist, daher dem Wetter ausgesetzt ist, im Winter fällt Schnee und Wasser darauf gefriert zu Eis und es kann dann niemand, der nicht riskieren will, die 12 bis 14 Fuß hohe Treppe hinunter zu fallen auf das Rathaus gehen, und obendrein ist diese Treppe durch das Austreten der Steine sehr defekt.
Gemeindeversammlungen im Tanzsaal
Die Gemeinde dahier zählt 350 stimmfähige Gemeindebürger und da wir kein weiteres Lokal als das obenbeschriebene Zimmer […] haben, so wird Großhz. Bezirks-Amt Mannheim am Besten wissen, daß man in diesem Zimmer, welches noch obendrein mit Tischen, Stühlen und Registraturschränken versperrt ist, die Gemeinde nicht versammeln kann. Wir sind daher gezwungen, wenn die Gemeinde versammelt werden muß, einen Wirth um dessen Tanzsaal zu ersuchen, was doch gewiß höchst unangenehm ist.
Wohnhaus soll Rathaus werden
[…] Die Gemeinde hat jetzt die schönste Gelegenheit in den Besitz wohlheilen Rathauses zu kommen, in dem nahe beim jetzigen Rathause mitten im Ort, durch das Ableben des Franz Josef Zentner, Wittwer, von hier, ein vor 10 Jahren neu erbautes zweistöckiges Wohnhaus zu haben ist, welches allen Anforderungen, die man hier an ein Rathaus machen kann, entspricht; und von welchem man die Scheuer, Schopfen, Stallungen, Garten und den unteren Stock, den die Gemeinde nicht bedarf, vermiethen kann.
Wir stellen nun an Großhz. Bezirks-Amt die Bitte, unser Rathaus durch den Großhz. Bezirksbau-Inspektor untersuchen zu lassen, welcher dann gewiß aussprechen wird, daß solches zu klein und in einem solch baulichem Zustand ist, daß es vom Boden abgerissen werden muß.
Altes Rathaus steht mitten auf der Strasse
Muß das Rathaus aber abgerissen werden, dann darf es nicht mehr an dem jetzigen Platz aufgebaut werden, da es mitten in der Straße stehend, den Verkehr hemmt.
Einen anderen Bauplatz haben wir aber nicht und sind bei einem Neubau gezwungen ein Haus anzukaufen, solches abzureissen und auf dessen Stelle das Rathaus zu erbauen, dies gibt aber einen theuren Bauplatz.
Wenn nun die Gemeinde diese sich hier darbietende Gelegenheit zum billigen Ankauf vorübergehen läßt, so kommt, über kurz oder lang ein Neubau, welcher leicht das Dreifache des Ankaufpreises des Franz-Josef-Zentnerschen Hauses kosten dürfte.
Reparaturen nützen nichts
Schon im Jahre 1842 wurde unser Rathaus von dem Großhz. Bezirks-Amt Ladenburg verworfen, und dessen Reparatur beschlossen, da aber mit der Reparatur der Gemeinde nicht gedient gewesen, so würde die Sache wieder sitzen gelassen, und der alte Zustand blieb nach wie vor.
Wir wünschen deshalb, daß Großhz. Bezirksamt die Sache in die Hand nimmt […] Die im Jahre 1842 wegen Reparatur des Rathauses gefertigten Pläne und Kostenüberschläge liegen zur gefälligen Ansicht bei.
Ilvesheim, den 20. Oktober 1864
(Unterschrieben von:) Althaus, Joachim, Bühler, Feuerstein, Seitz […]“
Das Ilvesheimer Rathaus heute
Nutzungsmöglichkeiten
Die Flure des Rathauses werden derzeit unter anderem für regelmäßig stattfindende Kunstausstellungen genutzt. Zudem nutzt die VHS den Ratssaal für Kurse.
Erreichbarkeit
Zwei ÖPNV-Haltestellen befinden sich in unmittelbarer Rathausnähe. Gegenüber ist ein Parkplatz für den Individualverkehr.
Über eine Rampe und automatische Türen ist das Gebäude behindertengerecht erreichbar. Der Aufzug ist mit einem Spiegel für Rollstuhlfahrer versehen.
Nachhaltigkeit
Auch im energetischen Bereich hat sich einiges getan: Die Heizungsanlage wurde erneuert, die Fenster ausgetauscht und teilweise hat man auf eine LED-Beleuchtung umgestellt.
Zwei Fragen an den Bürgermeister
Wir haben uns vorgenommen in dieser Serie jedem Bürgermeister zwei – auf den ersten Blick einfach erscheinende – Fragen zu stellen. Herr Metz ist spontan. Obwohl die Zeit knapp ist, lädt er uns ins Rathaus nach Ilvesheim ein.
Wie sehen Sie, als Bürgermeister, die Gemeinde durch das Rathausgebäude repräsentiert?
Man kann immer noch etwas besser machen. Aber wir haben im vergangenen Jahr schon viel getan. Das Rathaus repräsentiert sich so, wie die Gemeinde sich versteht.
Weiter führt er aus:
Im letzten Jahr wurde das Rathaus behindertengerecht umgestaltet. Eine Rampe und Schiebetüren erleichtern den Zugang zum Rathaus. Wir beschäftigen sogar einen Mitarbeiter, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Zudem haben wir eine Spielecke für Kinder eingerichtet.
Das Seniorenbüro im Erdgeschoss ist nicht nur Anlaufstelle, sondern auch Treffpunkt für ältere Menschen. Dieses Angebot wird von den Senioren sehr gern genutzt. Wir sehen das Rathaus auch im Allgemeinen als Treffpunkt. Es soll nah am und offen für Bürger sein. Sie sollen sich wohlfühlen. Das ist wichtig.
Das Rathaus wird zudem für viele kulturelle Veranstaltungen, wie beispielsweise das „Filmfestival der Generationen“ oder die „Insel-Art“ genutzt. Regelmäßig zeigen wir Kunstaustellungen.
Herr Metz, was schätzen Sie besonders daran, Bürgermeister zu sein?
Das Schönste ist der Kontakt zu den Bürgern. Einmal im Monat nehme ich mir persönlich einen ganzen Tag lang Zeit, um in einer Sprechstunde für die Bewohner von Ilvesheim da zu sein.
(Mit bestem Dank an Bürgermeister Andreas Metz und Janina Schückle für die große Hilfsbereitschaft bei diesem Artikel.)
Jedes Bauwerk erzählt seine eigene Geschichte, voller bemerkenswerter Wendungen und spannender Details. Darum portraitieren wir in lockerer Folge die Rathäuser der Region, die für jeden Ort identitätsstiftend sind.
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