Mannheim/Rhein-Neckar, 18. Juli 2012. (red/pro) Der weltbekannte amerikanische Sänger und siebenfache Grammy-Gewinner Al Jarreau (72) hatte im Frühjahr mehrere Konzerte in Europa aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen – in Mannheim begeisterte der virtuose Vokalist das Publikum im ausverkauften Baumhain des Luisenparks. Eine Liebeserklärung.
Von Hardy Prothmann
Was für ein liebenswerter Mensch! Was für ein charmanter Quatschkopf! Was für ein faszinierender Sänger! Al Jarreau ist auch mit 72 Jahren ein Weltstar. Wenn auch ein gezeichneter. Er kämpft mit Herz- und Atemwegsproblemen – um so großartiger die Leistung, die er auf der Bühne zeigt.
„L is for lover“ ist die beste Wahl als Auftaktssong. Al Jarreau ist ein Botschafter der Liebe und der Zuneigung. Einer, der zudem ständig den Schalk im Nacken hat. Unaufhörlich schneidet er Grimassen, zwischen den Songs erzählt er aus seinem Leben. Humorvolle Versatzstücke mit teils ernstem Hintergrund. Als er das erste Mal in Südafrika auftrat, unterstützte er den Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela und sagt über sich selbst:
Das zweite Mal unterstützte er Al, denn der hatte Hunger.
Seine Episoden erzählt er passend zu den Songs, in diesem Fall „Jacaranda Bougainvillea“, der poetisch vom friedlichen Miteinander handelt. Auch das unterscheidet Al Jarreau von vielen anderen Jazz-Sängern. Er ist ein herausragender Künstler, aber ebenfalls ein politischer Mensch. Der Pfarrerssohn ist auch musikalisch das geblieben, was er gelernt hat: ein Sozialarbeiter, ein Lebenshelfer.
Al Jarreau verzaubert die Menschen
Trotz seiner scheinbar unendlichen inneren Freude sieht man ihm seine gesundheitlichen Probleme an. Immer wieder muss er sich an einem Hocker stützen und seine Stimme hält nicht immer so, wie sie in ihm vor Lebenslust pulsiert. Sein stimmliches Repertoire ist trotzdem unglaublich gewaltig – es gibt keinen zweiten Sänger, der so filigran zwischen Bass und Flageolett wechseln kann. Immer wieder bietet er Scat-Einlagen, am faszinierendsten beim Dave Brubeck-Stück „Take five“. Al Jarreau hat sich selbst mal als „Produkt vieler unterschiedlicher Musikstile“ bezeichnet. Tatsächlich ist er der Meister seines einzigartigen Stils. Mal Gitarre, mal Saxophon, mal Schlagzeug – es scheint kein Instrument zu geben, dass er nicht stimmlich beherrscht. Al Jarreau hat ein vollständiges Orchester in Mund und Kehle. Und manch Musiker wäre froh, er könnte diese Töne auf seinem Instrument erzeugen.
Al Jarreau ist einer der größten Jazz-Sänger aller Zeiten, das hört man nicht nur bei „Take five“, sondern gleich zu Anfang auch beim Standard „Come rain or come shine“. Als wäre der Song für den Abend gemacht – draußen regnete es und im Baumhain ging die Sonne auf. Der Jazz hat diesen außergewöhnlichen Sänger am meisten beeinflusst, aber auch der Bossa Nova, der seine Darbietung quirlig-lebendig macht. Als einziger Künstler weltweit hat er Grammy Awards in den Kategorien Jazz, Pop und Rhythm & Blues gewonnen.
Wieso, demonstriert er nach der Pause. Alle erkennen die unverwechselbare Melodie von „Your song“ sofort. Das Publikum klatscht. Und Al Jarreau singt so traumhaft, dass nicht nur mir eine gribbelnde Gänsehaut über den Körper läuft. Die verzückte Spannung im Publikum ist nahezu greifbar. Al Jarreau verzaubert die Menschen. Ein magischer Moment.
Ganz klar ist Al Jarreau der Star – er hat aber auch eine fantastische Band dabei. Joe Turano ist der Musical Director und ein vielseitiger Saxophonist. Den Bassisten Chris Walker promotet Al Jarreau besonders. Walker trägt ein eigenes Stück vor und ist ein herausragender Sänger. Als Bassist überzeugt er mich aber mehr. Der kleinwüchsige John Calderon ist ganz groß an der Gitarre, nicht nur bei seinem Solo für das Al Jarreau ihm die Bühne überlässt und in den Hintergrund tritt. Schlagzeuger Mark Simmons groovt unaufhörlich dezent im Hintergrund und Larry Williams an Keyboards und Klavier ist eine sichere „Bank“. Nur die Soundmischung ist am Anfang des Konzert nicht gelungen – das gibt sich aber nach den ersten zwei Stücken.
Unendliche Lebensfreude
Bei „Boogie Down“ und „Scootcha Bootie“ geht das Publikum ordentlich mit, bei „Roof Garden“ hält es niemanden mehr auf den Stühlen – jetzt wird getanzt und gegroovt. Party time. Bei der Zugabe kommen die Musiker als A-Capella-Band zusammen und demonstrieren das, was Al Jarreau insgesamt ausmacht: eine schier unendliche Lebensfreude. Wenn er lächelt, schmunzelt oder von einem Ohr zum anderen grinst, verzückt er seine Umgebung. Al Jarreau beglückt und begeistert die Menschen restlos, auch wenn er wegen des Regenwetters nicht wie geplant auf der Seebühne auftreten kann.
Al Jarreau bringt seinen Schalk situativ ein. Mitten im Konzert ruft er Park-Geschäftsführer Joachim Költzsch nach vorne an die Bühne, schüttelt ihm die Hand:
Lieber Herr Költzsch, vielen Dank, dass Sie es haben regnen lassen.
Der Gag sitzt. Großes Gelächter. Jeder im Publikum versteht, dass der gesundheitlich angeschlagene Al Jarreau lieber den „lovely place“ im Baumhain bespielt, als in seinem Zustand ein Freiluftkonzert zu geben.
Al Jarreau ist einzigartig – noch Tage später klingt er mir im Ohr und was kann man schöneres über einen Künstler sagen, als dass er mein Herz berührt hat. Und das fühlt sich ganz wunderbar an.
Anmerkung der Redaktion:
Das Konzert im Baumhain ist Teil einer weltweiten Tour, auf der Al Jarreau sich zur Zeit befindet. Amerika, England, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Schweden – eine enorme Leistung, die selbst jungen Musikern Respekt abnötigen muss, wenn man sich die Belastung durch die Reisen allein nur vorstellt. Im November sind weitere acht Konzerte in Deutschland geplant. Wer Al Jarreau noch nie gesehen hat und neugierig ist, wer ihn schon erlebt hat und das nochmals möchte, sollte die Chance nutzen. Wer weiß, wie lange der Mann diese Leistung noch bringen kann.