Mannheim/Rhein-Neckar, 10. Juli 2012. (red/pro) Paco de Lucía und seine Musiker haben ein großartiges Konzert im Baumhain des Luisenparks gegeben – vor fast 1.000 Zuschauern. Die Fans feierten ihren Star frenetisch – dabei hatte der Großmeister der Flamenco-Gitarre durchaus Konkurrenz durch einen noch jungen, aber jetzt schon großartigen Tänzer: Farucco begeisterte alle – die Frauen noch ein bisschen mehr.
Von Hardy Prothmann
Es ist schwül. Draußen braut sich ein Gewitter zusammen. Es ist heiß. Die Menschen stöhnen. Es ist angespannt. Denn rund eintausend Gäste haben viel Geld bezahlt, um den größten Flamenco-Gitarristen aller Zeiten zu erleben. Unter freiem Himmel. Manche sind sehr ärgerlich. Es gibt Diskussionen. Doch die helfen nichts. Das Konzert findet im Baumhain und nicht auf der Seebühne statt.
Einen Tod muss man sterben. Beim Flamenco geht es immer um Leben und Tod. Um Liebe und Hoffnung. Um Schmerz und Erfüllung. Flamenco ist ein mystische, ein tragische Musik. Voller Leid. Glut.
Der Mythos nimmt seinen Lauf.
Paco de Lucía kommt allein auf die Bühne. Bescheiden. Es gibt Applaus. Dann Stille. Der Mann strahlt eine ernste Ruhe aus. Er spielt leise Akkorde. Voller Pausen. Einzelne Tonfolgen. Das Publikum ist mucksmäuschenstill. Lauscht. Die Situation ist magisch. Der Meister hat begonnen. Der Mythos nimmt seinen Lauf.
Sehr langsam zunächst. Doch dann immer komplexer schneller. Fordernd. Paco de Lucía eröffnet sein Konzert mit klassischem Flamenco-Spiel. Und seiner Virtuosität.
Und die ist anstrengend. Niemand sonst kann ein Publikum so herausfordern wie der Großmeister der Flamenco-Gitarre. Niemand sonst hat so viel Autorität, sein Publikum zum Zuhören zu zwingen. Die Entwicklung der Musik zu erleben. Zu durchleiden. Zu erleben.
Das Publikum ist gebannt. Die Anspannung ist greifbar. Leben und Tod. Liebe und Schmerz. Leidenschaft und Sehnsucht.
Traditionell und innovativ
Nach diesem ungewöhnlichen Auftakt kommen seine Musiker auf die Bühne und die Stimmung ändert sich schlagartig. Die Musik wird lebensfreudiger, die neuen Instrumente variieren den Sound. Doch wer glaubt, hier mischen sich Flamenco und Jazz oder andere Stile, wird nicht „enttäuscht“, sondern belehrt.
Egal, wie virtuos die Improvisationen sind und an Weltmusik oder Jazz erinnern. Paco de Lucía und seine Band spielen immer Flamenco. Das hat der Meister immer in Interviews betont – und bei diesem grandiosen Konzert bewiesen. Er ist Purist. Und doch auch Erneuerer. Er hat den Flamenco modern weiterentwickelt – auf der Basis der Tradition.
Seine Ehrerbietung gegenüber den Sängern Duquende und David de Jacoba ist deutlich. Traditionell ist der Gesang das „Hauptinstrument“ des Flamenco – auch wenn hier und heute Paco de Lucía dessen Meister am Begleitinstrument der Gitarre ist. Und die beiden Sänger sind ebenso leidenschaftlich – die Körper beben, die Gesichter zeigen all die Verzweiflung und das Leid, das in den Liedern zum Ausdruck kommt. Ein wenig konkurrieren sie auch miteinander und Duquende zeigt an zwei, drei Stellen, dass er eindeutig der erfahrenere Sänger ist.
Furioser Antonio Serrano
Ganz furios ist der Keyboarder Antonio Serrano immer wieder an der Mundharmonika. Der Mann zaubert eine weitere Flamenco-Stimme und bietet wahrlich Unerhörtes. Faszinierend, was er aus diesem einfachen Instrument herausholt, das er meisterhaft-spielerisch beherrscht.
Alain Perez spielt einen fünfseitigen Bass – teils so melodisch, dass man meint, eine dritte Gitarre auf der Bühne zu haben.
Die Sensation des Abends aber ist Farruco, der anfangs als dritter Sänger mitwirkt. Sein Tanz ist verstörend. Faszinierend. Leidenschaftlich.
Immer wieder geht ein Raunen und Seufzen durchs – weibliche – Publikum.
Wild und stolz, sexy und herausfordernd präsentiert der Enkel des legendären „El Farruco“ einen kraftvollen, energischen Tanzstil mit wahnwitzig schneller Fußtechnik.
Farruco – die Frauen lieben ihn
Das Publikum erlebt eine Vorführung, die man lange nicht vergessen wird. Nach gut einer Viertelstunde atemberaubender tänzerischer Eruptionen brandet Farrucco ein Applaus entgegen, den er sichtlich genießt.
Vor dreißig Jahren war Paco de Lucía (64) zuletzt in Mannheim. Damals trat er mit den ebenso legendären wie virtuosen Jazzgitarristen Al di Meola und John McLaughlin auf. Die Traditionalisten des Flamenco haben de Lucía das nie verziehen – vermutlich, weil sie ihm nie das Wasser reichen konnten. Damals gelang ihm der internationale Durchbruch. Seitdem ist er der Großmeister unter
den Flamenco-Gitarristen. Wie schön, in nach den langen Jahren wieder in Mannheim „ganz traditionell“ erleben zu können.
Er arbeitet immer wieder mit jungen Talenten beispielsweise seinem Neffen Antonio Sanchez, der ihn ganz famos ergänzt. Und eben Farruca – diesem Sproß einer legendären andalusischen Zigeuerfamilie. de Lucía selbst ist zwar Andalusier, aber kein Gitano oder Kalé, wie sich die „Zigeuner“ dort selbst nennen.
Unvergesslicher Abend
Das Konzert steigert sich vom langsamen, melancholischen Spiel bis zur Extase Farrucas, wird dann „jazzig“ und wirkt wie eine Kompositon in sich. Das Publikum ist durch die Bank begeistert. Der Ärger wegen der Seebühne vergessen. Es feiert Paco de Lucía und seine Musiker mit Standing Ovations und fordert unter minutenlangem Applaus eine Zugabe. Die gibt Paco de Lucía – mit seinem Superhit „Entre dos aguas“.
Kurz nachdem das Konzert mit acht Stücken, einer Zugabe nach über zwei Stunden vorbei ist, beginnt es draußen zu regnen. „Man hätte es doch draußen auf der Seebühne machen können“, sagt ein Mann im Vorbeilaufen. Ja, hätte man können – der erste Regen und dann der gewaltige Wolkenbruch hätten aber auch früher kommen können und dann hätte das Publikum auf ein großartiges Erlebnis verzichten müssen.
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