Rhein-Neckar, 16. Januar 2020. (red/pro) Die Zukunft des Regionalsenders Rhein-Neckar-Fernsehen (RNF) ist laut Medienberichten angeblich gesichert. Dem ist nicht so oder anders: Die Wahrheit hat viele Perspektiven. Dr. Andreas Schneider-Neureither, Gründer und CEO der Heidelberger SNP Schneider-Neureither & Partner SE, übernimmt über die SN Assets GmbH (Heidelberg) 100 Prozent der Anteile an der neu gegründeten Rhein-Neckar-Fernsehen & TV-Produktion GmbH. Weiter fließen vom Land Baden-Württemberg erhebliche Gelder, ohne die eine Insolvenz nicht hätte abgewendet werden können. Und dann gibt es noch eine äußerst interessante Personalie.
Von Hardy Prothmann
Wäre ich Herr Dr. Schneider-Neureither, würde ich mein Engagement bei RNF sofort beenden. Wie man den eigenen Retter des Unternehmens derart schlecht in Szene setzen kann, weiß nur das RNF. Und auch der Leiter der Pressestelle der SNP SE, sofern es einen solchen gibt, gehört eigentlich sofort gefeuert. Der “Retter” ist derart schlecht ausgeleuchtet, hat offenbar sehr wenig Kameraerfahrung und teilt mit Leichenbittermiene eine doch eigentlich erfreuliche Nachricht mit – schlechter kann man einfach nicht präsentiert werden.
Den erfolgreichen Unternehmer Dr. Schneider-Neureither kennt man in der Business-IT-Welt, in der Öffentlichkeit eher nicht. Wer ein Unternehmen aufbaut, dass zuletzt rund 130 Millionen Euro Umsatz macht, muss ein kluger Kopf sein – diesen Eindruck vermittelte der promovierte Physiker aber nicht. Er wirkte dröge, lustlos, desinteressiert und wenig dynamisch.
Immerhin – der Ansatz ist ein redlicher. Aus Sicht des neuen Besitzers braucht es einen Regionalsender, die Pressemitteilung zitiert ihn so:
“Ich sehe die Notwendigkeit eines journalistisch geprägten Fernsehsenders in der Metropolregion Rhein-Neckar. Gerade in Zeiten, in denen die Entwicklung von Medien, speziell im Regionalen, nicht vorherzusehen ist, braucht es diese stabile Säule – auch in Bezug auf die demokratische Willensbildung in der Bevölkerung. Die Metropolregion Rhein-Neckar will zu den attraktivsten Regionen in Europa gehören – bei diesem Anspruch gehört ein Fernsehsender zur Infrastruktur dazu. Das Rhein-Neckar-Fernsehen durchdringt die gesamte Region mit den Städten Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen und ihrem Umland. Fernsehen gibt es in jedem Haushalt, der Sender ist quasi barrierefrei empfangbar. Er hat 400.000 regelmäßige Zuschauer und User und stellt damit im regionalen Kontext eine äußerst gewichtige Stimme dar. Im digitalen Zeitalter gehört dem Bewegtbild die Zukunft. Es wäre fahrlässig, in dieser Phase eine so starke und glaubwürdige Marke, wie RNF sie darstellt, nicht weiterzuführen.”
Damit hat er grundsätzlich recht – aber auch im Detail? Selbstverständlich ist für eine allgemeine Meinungsbildung Medienvielfalt notwendig. Der alte und neue Geschäftsführer Ralph Kühnl sagt:
“Wir sind sehr froh, in Dr. Schneider-Neureither einen Investor gefunden zu haben, der unsere Werte teilt. Unser Sender steht seit 1986 in erster Linie für fundierte journalistische Information aus der Metropolregion Rhein-Neckar. Sie ist die Grundlage dafür, dass sich Menschen ein umfassendes Bild über ihr Umfeld machen und auf dieser Basis beispielsweise Wahlentscheidungen treffen können. Der Sender trägt durch zahlreiche Formate aber auch dazu bei, dass sich die Bevölkerung mit ihrer Region identifiziert. Wir schaffen Transparenz und verbinden die Menschen im Dreiländereck von Baden, Südhessen und Pfalz emotional. Diese Aufgabe wollen wir in Zukunft noch besser ausfüllen und vor allem auch durch die konsequente Präsenz auf digitalen Plattformen auch jene jungen Zielgruppen für das Geschehen in der Region begeistern, die schon gar kein herkömmliches lineares Fernsehen mehr nutzen.”
Realitätscheck
Das sind gute Argumente für die Notwendigkeit eines solchen Angebots – doch wie sieht die Realität aus? Lineares Fernsehen wird ganz überwiegend von Menschen jenseits der 60 Lebensjahre geschaut. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben die jungen Zielgruppen längst an das Internet und digitale Angebote wie Netflix verloren.
TV-Journalismus ist zudem sehr teuer, weil technisch aufwendig. Doch statt wie früher 45 Mitarbeiter wurde die Belegschaft kontinuierlich abgebaut. Zunächst 2018 während einer Insolvenz in Selbstverwaltung, dann unter dem neuen Eigentümer Dr. Haas-Gruppe (Mannheimer Morgen) auf 32, der im September 2019 kein Geld mehr investieren wollte, nachdem zuvor angeblich 1,2 Millionen Euro in den Sender investiert hatten – ein wirtschaftlicher Erfolg über Werbeeinnahmen sei nicht möglich.
Das gilt eigentlich schon von Anbeginn. Das RNF konnte sich drei Mal eine Lizenz über zehn Jahre sichern, die ein Sendefenster im RTL-Programm beinhaltete, dafür floss Geld – zuletzt rund 1,4 Millionen Euro pro Jahr. RTL hat das Geld nicht freiwillig gezahlt, sondern muss ein solches Fenster im Rahmen seiner Lizenz einem regionalen Anbieter überlassen. Die neue Lizenz gewann die Zone 7 GmbH und mehr oder weniger sofort geriet RNF in Schieflage.
Eigentliche Retter ist das Land
Der eigentliche Retter ist nicht Herr Dr. Schneider-Neureither, sondern das Land Baden-Württemberg. Dieses beschloss eine Erhöhung der Fördermittel für die sieben Regionalen TV-Sender im Land und wird den sieben sogenannten Must-Carry-Sendern eine Fördersumme von insgesamt 8,4 Millionen Euro (4,2 pro Jahr) in den Doppelhaushalt 2020/21 ein. Zudem steuert die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) eine Infrastrukturförderung von 1,5 Millionen Euro pro Jahr bei. Bei linearer Verteilung hätte so jeder Sender im Land eine Summe von etwa 814.000 Euro pro Jahr aus Fördergeld zur Verfügung – ob sich die weiteren Mittel tatsächlich erwirtschaften lassen, ist fraglich, denn in den vergangenen zwei Jahren war dies nicht möglich.
Aktuell will der Sender mit einer Rumpfmannschaft von 18 Stellen (zwanzig Angestellte, plus ein Dutzend “studentische Hilfkräfte”, also billigem Personal) den Turn-around schaffen, neue Formate entwickeln, sich mehr um die junge Zielgruppe kümmern, mehr in der Fläche unterwegs sein. Also ein viel mehr auf der Basis von viel weniger?
Der neue Eigentümer sieht auch die Unternehmen, Kommunen und Institutionen in der Pflicht: “Das regionale Fernsehen ist wichtiger Teil der regionalen Infrastruktur, viele Menschen haben einen Nutzen davon, es ist aber auch eine gemeinsame regionale Aufgabe. Unser Engagement benötigt nennenswerte Ergänzung aus anderen Teilen der Region, sprich: finanzielle Zuwendung, in Form von Werbebudgets oder der Beauftragung von Dienstleistungen bei RNF, beispielsweise Firmen- oder Eventvideos. Dann erst kann RNF seine Rolle als relevante Medienplattform in dieser Region so erfüllen, wie viele seiner Zuschauer und Nutzer, aber auch Politiker und Multiplikatoren es erwarten.”
Insbesondere Dienstleistungen wie Firmen- und Eventvideos binden aber personell Kapazitäten und die Auftraggeber erwarten sicher nicht, so schlecht ins Licht gesetzt zu werden, wie Herr Dr. Schneider-Neureither. Und mit welchen Kapazitäten macht man dann inhaltlich hochwertigen und vor allem unabhängigen Journalismus?
Journalismus braucht erfahrene Redakteure
Die redaktionellen Qualitätseinbußen sind schon jetzt deutlich erkennbar – denn anders als in der Automation oder IT ist und bleibt Journalismus bei allen Möglichkeiten durch neue digitale Techniken, vor allem auf eine Ressource dringend angewiesen: Gut ausgebildete Redakteure, die die Themen und Ansprechpartner kennen. Hier lassen sich nur wenige Optimierungsmöglichkeiten finden. Journalismus ist eine zeitintensive Arbeit, wenn er hintergründig sein will.
Und insbesondere gesellschaftlich-relevante Themen sind häufig sehr komplex – und “emotional” nicht sehr ansprechend, wie jeder weiß, der langwierige Gremiensitzungen kennt. Diese zu verfolgen, ist meist vor allem zeitintensiv, die eigentliche Arbeit ist das Studium der Unterlagen, die Analyse der Inhalte und dann journalistischer Sachverstand, ob und welche Themen sich als relevant ergeben. Nur dann macht man ein inhaltlich wertvolles Angebot zur Meinungsbildung.
Fraglich ist zudem, wie lange der neue Eigentümer sich in seinem Engagement wohl fühlt. Zum Vergleich: Die Dr. Haas-Gruppe weist als Medienunternehmen einen jährlichen Umsatz von rund 100 Millionen Euro aus, bei rund 700 Mitarbeitern. Die SNP SE hat demgegenüber 130 Millionen Euro Umsatz, aber rund 1.300 Mitarbeiter und damit einen deutlich schlechteren Pro-Kopf-Umsatz.
Eine Medienunternehmen, dass die Märkte kennt, zieht sich zurück und ein marktfremder Unternehmer glaubt an die Zukunft eines seit jeher “querfinanzierten” TV-Senders, in einer Zeit, in der fast alle (alten) Medien bereits seit Jahren unter sickenden Werbeeinnahmen leiden?
Interessante Personalie
Interessant ist auch eine Personalie, die vermutlich wesentlich für den überraschenden Invest war – das CDU-Mitglied Nicole Huber wechselte nach 13 Jahren als Büroleiterin des Heidelberger Oberbürgermeisters zum Jahresanfang als “Executive Vice President Corporate Development” zur SNP SE: “Huber wird ihr Know-how in den Bereichen Digitalisierung, Öffentliche Verwaltung, Internationale Beziehungen sowie Marketing und Kommunikation künftig in das Unternehmen SNP einbringen”, heißt es dazu in einer Pressemitteilung der Stadt Heidelberg im Oktober 2019. Bei der Stadt Heidelberg war sie zuständig für die Gremiendienste, die internationalen Beziehungen der Stadt, das strategische Stadtmarketing, die Markenkommunikation sowie die Fördermittelakquise.
Insbesondere CDU-Abgeordnete setzten sich für die Erhöhung der Förderbeiträge für Regionalsender ein und selbstverständlich pflegte auch Frau Huber seit Jahren einen intensiven Kontakt zum RNF und wird diesen auch zur Stadt Heidelberg halten.
Damit steht das angeblich “private” Engagement durch Dr. Andreas Schneider-Neureither ebenfalls nicht im besten Licht.