Rhein-Neckar/Berlin, 16. März 2018. (red/pro) Die Groko aus CDU/CSU/SPD startet mit einem Eklat. Innenminister Horst Seehofer (CSU), der auch “Heimatminister” ist, hat einen Pflog der Spaltung eingeschlagen: “Der Islam gehört nicht zu Deutschland.” Wenn die erste öffentliche Äußerung eines Bundesminister belegt, dass dieser das Grundgesetz entweder nicht kennt oder missachtet, stehen uns schwere Zeiten bevor.
Kommentar: Hardy Prothmann
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
So steht es in Artikel 4 Grundgesetz. Nirgendwo steht hier etwas von einer “christlich-abendländischen” Religion. Es steht auch nichts zum Judentum oder zu Buddhisten oder sonstigen Glaubensgemeinschaften. Artikel 4 regelt unmissverständlich die Religionsfreiheit. Jeder darf religiös sein und seinen Glauben frei ausüben. Und jeder ist frei, keinen religiösen Glauben zu haben, was mit “weltanschaulich” ausgedrückt wird.
Was Herr Seehofer mit seiner anlasslosen Provokation bezweckt, ist klar: Er betreibt eine AfDisierung der Groko. Hofft mit markiger Kante all die zurückzuholen, die zur AfD abgewandert sind. Warum sagt er nicht gleich: “Ich werde die Islamisierung Deutschlands bekämpfen?” oder “Islamgläubige raus aus Deutschland?”
Was kommt als nächstes? Der klassifizierte Heimatbürger?
Wenn Herr Seehofer meint, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die Muslime aber schon, dann galoppiert der Schwachsinn. Wollen wir Deutsche, egal welchen Glaubens, einen Schwachkopf als Bundesinnenminister, der auch “Heimatminister” ist? Führen wir ein Heimatklassensystem ein? Der Heimatbürger erster Klasse ist biodeutsch und entweder katholisch oder evangelisch. Wer an nichts glaubt ist Heimatbürger zweiter Klasse. Wer Jude ist, dritter Klasse. Wer an irgendwas glaubt, vierter Klasse. Und wer gläubiger Muslim ist, ist klassenlos?
Herr Seehofer genießt wie alle Bürger ein anderes Grundrecht – die Meinungsfreiheit, Artikel 5 Grundgesetz.
1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Man darf in Deutschland auch dumme Meinungen haben
Auch das ist ein Freiheitsrecht ohne eine qualitative Festlegung. Übersetzt: Man darf in Deutschland auch vollständig dumme Meinungen haben, so wie Herr Seehofer. Niemand kann ihm sein dummes Geschwätz verbieten, aber jeder kann ihm sagen, dass er ein Dummschwätzer ist, wenn er dummes Zeugs schwätzt.
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Wenn die neue Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner laut Die Welt ihrem Kollegen zur Seite springt und sagt:
Zu uns in Deutschland gehört keine Radikalisierung, gehören keine Fundamentalisten. Unsere Wurzel ist die christlich-jüdische. Aber natürlich gehören auch Menschen muslimischen Glaubens zu uns,
dann ist das perfide. Denn sie stellt alle friedlichen Muslime ins Abseits, brandmarkt sie als radikale Fundamentalisten. Wenn sie meint, “unsere Wurzel” sei die “christlich-jüdische”, hat sie ebenso wie Herr Seehofer das Grundgesetz entweder nie gelesen oder nie verstanden. Es gibt keine Staatsreligion in diesem Land und das ist gut so. Unsere Wurzel für ein friedliches Miteinander ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung, der Rechtsstaat. Nichts sonst. Folgte man dieser “christlich-jüdischen” Behauptung, ist jeder Atheist wurzellos und gehört nicht zu “uns”.
Offenbar haben diese Leute nie Geschichte in der Schule gehabt, denn “zu uns in Deutschland” gehört auch, dass ein früheres Deutschland sechs Millionen jüdische Wurzeln und dazu tausende von christlichen herausgerissen und vernichtet hat.
Wer das Grundgesetz derart populistisch verbiegt, meint irgendwann vielleicht, dass das zwar für alle gleich gilt, für die einen aber mehr und für die anderen weniger?
Horst Seehofers Provokation muss die erste Regierungskrise auslösen. Wenn die SPD sich nicht klar, laut und unmissverständlich gegen diese Äußerung stellt, teilt sie schweigend die AfDisierung der Regierung. Uns stehen schwere Zeiten bevor – statt rechtsstaatlicher Vernunft müssen wir mit widerlichem Populismus rechnen.
Persönliche Anmerkung: Ich war früher Mitglied der evangelischen Kirche. Nicht, weil ich das wollte, sondern weil man mich als Kind durch Taufe dazu gemacht hat. Ich habe eine sehr fundierte christliche Erziehung genossen, über die ich sehr froh bin. Denn mein Religionslehrer – Pfarrer Bruder in Frankenthal – hat wesentliche Sichtweisen auf die Welt und die Menschen bei mir im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren geprägt. Vor allem Respekt und Menschenliebe – gegenüber allen. Und Widerstand gegen alle, die sich gegen Menschen richten. Mit 30 bin ich aus überlegten Gründen aus dieser Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Ich zähle viele Muslime, ob in die Religion hineingeboren oder praktizierend, zu meinen Freunden. Die gehören alle zu mir und selbstverständlich zu diesem Land.
Vorschaubild: Rolf Poss