Mannheim, 14. November 2016. (red/cr) Ein Leben im Untergrund, Schläge, Gefängnis, schließlich Exil – und das alles nur wegen der Musik. Die DJs Anoosh und Arash sind im Iran Verbrecher, weil sie elektronische Musik produzieren. Diese „satanische“ Musik ist im Iran verboten. Der Dokumentarfilm „Raving Iran“ begleitet die beiden ein Jahr lang. Das Cinema Quadrat präsentiert diesen Film und neun andere Musikfilme im Rahmen des ersten Mannheim Musik Film Festivals. Verschiedenste Arten von Musik und Filmen geben dabei Einblicke in die Welt von Menschen, die für die Musik leben. Vom Animationsfilm voller leidenschaftlichem Jazz bis zum Spielfilm über Metal mit Star-Besetzung.
Von Christin Rudolph
Szene aus einem Handy-Video. Laute Party-Musik, eine tanzende Menge, dicht gedrängt, tiefe Ausschnitte und kurze Röcke. Die beiden Freunde Anoosh und Arash legen zusammen auf. Ihre Musik kommt gut an.
Plötzlich geht die Musik aus und das Licht an.
Polizei!
Das Handy-Video bricht ab. auf einem schwarzen Bildschirm erscheint Text.
Die Polizei löst die Party auf. Anoosh wird verhaftet. Arash schafft es, sich und das Equipment zu verstecken.
Der Dokumentarfilm „Raving Iran“ begleitet einen Ausschnitt aus dem Leben der beiden iranischen DJs Anoosh und Arash. Alles unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen – gefilmt wird meist mit einer Handy-Kamera, Namen und Orte zensiert, Gesichter verpixelt.
Ein Leben als Verbrecher
Alles spielt sich im Untergrund ab. Denn die Kamera begleitet „Verbrecher“. In der Islamischen Republik Iran ist elektronische Musik verboten. Jeder und alles braucht eine „Bewilligung“ vom Ministerium für Kultur und islamische Führung.

Die illegalen Parties finden in der Wüste statt. Nach einer durchgefeierten Nacht steht eine stundenlange Heimfahrt an. Foto: Cinema Quadrat e.V.
Szene aus dem Ministerium für Kultur und islamische Führung. Anoosh und Arash wollen sich als Band registrieren lassen. Damit Live-Auftritte legal sind. Eine Beamtin stellt viele Fragen.
Sie ist geschminkt, das Kopftuch reicht nicht ganz bis zum Haaransatz. Das Cover der CD schaut sie sich sehr genau an. Sie hat viel zu kritisieren.
„Kein Englisch. Und da sieht man ein Stück nackten Rücken. Das muss auch weg.“ – „Obwohl das ein Mann ist?“ – „Das spielt keine Rolle. Keine nackte Haut.“
Keine legalen Möglichkeiten
Sie weiß ganz genau was passiert, wenn sie nicht die Regeln befolgt. Auch wenn sie persönlich nicht immer hinter den Verboten steht.
„Wir haben eine weibliche Sängerin. Ist das ein Problem?“ Die Beamte sieht den DJ an, als käme er vom Mond. „Natürlich ist das ein Problem!“ Und dann:
Haben Sie jemals eine weibliche Sängerin im Iran gesehen? Wir alle wollen Frauen als Sängerinnen. Aber es ist verboten.
Der Stempel „Ohne Bewilligung“ prangt auf der Musik von Anoosh und Arash. Das macht sie nicht nur für die DJs selbst gefährlich. Niemand will die CDs verkaufen oder spielen. Nicht mal mit Bestechungsgeld.
Die Narben bleiben ein Leben lang
Ein Ladenbesitzer im Untergrund schließlich hilft ihnen – er kennt sich offensichtlich aus. Das Cover muss einfach nur legal aussehen.
Diese Land macht uns erfinderisch. Sie lieben es, belogen zu werden.
Anoosh und Arash sind keine leichtfertigen Jungs. Man merkt an ihrer ständigen Anspannung, dass sie ganz genau wissen, worum es geht. Anoosh hat eine Narbe auf der Stirn von seinem letzten „Treffen“ mit der Polizei. Wenn er abends nicht nach Hause kommt, können sich seine Eltern ziemlich sicher sein, dass er wieder im Gefängnis ist.
Ich kann nichts tun, was ich will!
Die beiden DJs sehen keine Zukunft im Iran. Dann bekommen sie eine große Chance: Eine Einladung zum Lethargy Festival in Zürich. So bekommen sie Visa. Doch das stellt sie gleichzeitig vor eine schwerwiegende Entscheidung: Sollen die beiden überhaupt zurückkommen?
„Welches Asyl würden Sie uns empfehlen?“
Bei einem „Vermittler“ informieren Anoosh und Arash sich, was sie angeben sollen, wenn sie Asyl beantragen. Der kann ihnen alle möglichen Dokumente „besorgen“ – für etwa 10.000 Dollar.
Der Mann wirkt sehr professionell. Er mache nur die „legalen“ Sachen. Mit dem Boot nach Italien? Sowas macht er nicht. Eine Anwältin gibt ihnen einen ehrlichen Tipp:
Zerreißt einfach eure Pässe, wenn ihr in der Schweiz seid, Dann können die euch nicht zurückschicken.
Eine endgültige Entscheidung
Es folgen Tage voller Grübeln und Abwägen. Anoosh und Arash können im Iran nicht machen, was sie lieben und nicht offen sein, wer sie sind. Sie müssen immer alles geheim halten und im Untergrund leben. Doch der Iran ist immer noch ihre Heimat. Sie würden ihre Familien zurücklassen, Anoosh zudem eine Freundin. Die Mutter von Arash am Telefon :
Wir wollen nicht, dass du zurückkommst. Ich hätte damals auch gehen sollen, und jetzt sitze ich mit 40 immer noch hier.
(Anm. d. Red.: Arash ist Ende 20. Da kann man sich ausrechnen, wie jung die Mutter „geheiratet hat“…) Die beiden DJs sind nicht in den Iran zurückgekehrt. Sie sind in der Schweiz geblieben, produzieren weiter zusammen Musik und haben Auftritte in verschiedenen Ländern.
Spielarten des Musikfilms
Die ständig angespannte Stimmung. Die Paranoia. Der politische-religiöse Bezug. Die versteckten Aufnahmen der Handy-Kamera. Der Dokumentarfilm „Raving Iran“ ist ein Beispiel dafür, wie weitläufig das Genre „Musikfilm“ ist. Genau das wollten die Verantwortlichen des Cinema Quadrat erreichen.
„Raving Iran“ ist einer der ersten Filme, die im Cinema Quadrat seit dem vergangenen Donnerstag im Rahmen des ersten Mannheim Musik Film Festivals gezeigt werden. Sabine Fischer, Geschäftsführerin beim Cinema Quadrat e.V., sagte:
Wir wollen einen Überblick über Musikfilme bieten und gleichzeitig auf alte Highlights aufmerksam machen.
Vielfältig ist das Programm auf jeden Fall. Zehn Musikfilme decken von der House-Musik aus „Raving Iran“ über Klassik bis Metal fast alle Genres der Musik ab. Gleichzeitig werden mit Spiel-, Animations- und Dokumentarfilm, Porträt, Konzertfilm, Bandgeschichte, Komödie und Drama auch fast alle Kategorien im Film gezeigt.
Musik im Kino
Aber warum Musikfilme? Während des Internationalen Filmfestivals Mannheim Heidelberg gab es bisher weniger Besucher im Cinema Quadrat.
Denn, so Frau Fischer, das Publikum überschneide sich. Daher werde in diesem Jahr, solange das Internationale Filmfestival läuft, versucht, ein anderes Publikum als sonst anzusprechen. Und zwar mit Musikfilmen.
Wird es im kommenden Jahr wieder ein Mannheim Musik Film Festival geben? Frau Fischer sagt, natürlich wolle man erst die Reaktion der Besucher abwarten, Wenn das Festival ein Erfolg werde und es für 2017 neue Ideen gebe, stünde dem jedoch nichts im Weg.
Das Cinema Quadrat zeigt beim Mannheim Musik Film Festival noch bis zum 19. November Musikfilme.