Rhein-Neckar/München, 15. Oktober 2018. (red/pro) Aktualisiert. Mit großer Spannung wurde die Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober 2018 erwartet – obwohl man in etwa bereits die Ergebnisse kannte. Die CSU fährt mit rund 37 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis seit 1946 (1950: 27,4 Prozent) ein, die SPD wird einstellig und kann nur noch ein Drittel der früheren Ergebnisse erreichen. Zwar gewinnt die CSU als stärkste Partei, verliert aber die absolute Mehrheit. Profiteure sind die Grünen und die AfD. Worauf so gut wie niemand achtet: Die rechtskonservativen Parteien CSU, Freie Wähler und AfD gewinnen hinzu, die linken Parteien Grüne und SPD verlieren.
Kommentar: Hardy Prothmann
Der absolute Wahlsieger ist Horst Seehofer (CSU). Er hat mit seinen Attacken in der Bundesregierung und gegen Ministerpräsident Markus Söder diesen brutalstmöglich geschädigt. Und zwar aus persönlichen Gründen. Er wollte in Bayern bleiben, musste abdanken und wird als letzter bayerischer Ministerpräsident in die Geschichte eingehen, der seine Partei bei einer Landtagswahl nahe an die 50 Prozent (201: 47,7 Prozent) zu bringen, aber auf jeden Fall die absolute Mehrheit zu sichern.
Als Bundesinnenminister arbeitet er zudem stetig daran, das Ende von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) in die Tat umzusetzen. Wer einen politischen Plan sucht, tut das vergebens. Herr Seehofer kennt nur ein Interesse und das ist er selbst. Seine politische Zeit ist vorbei, eine Karriere gibt es nicht mehr. Er arbeitet offene Rechnungen ab.
Hinter den Kulissen wird es in den kommenden Wochen abgehen ohne Ende – wer bekommt welchen Posten? Denn in Bayern müssen sehr viele frühere Mandatsträger versorgt werden. Das Finale werden wir erst nach der Hessenwahl in 14 Tagen erleben.
Wer aktuell einen Erfolg der Grünen interpretiert, liefert leider schlechte Analysen ab. Richtig ist, dass die Grünen gewinnen, aber die Wahl in Bayern ist nichts besonderes, denn die Grünen haben in acht von zwölf Westländern ähnliche Ergebnisse, in Baden-Württemberg sind sie stärkste Kraft. Diese Erfolge verdankt sie einer erheblichen Kannibalisierung der SPD.
Wer genau hinschaut, erkennt, dass das rechte Lager Stimmgewinne hat, das linke hingegen Verluste. Die genauen Zahlen sind noch nicht bekannt, aber nach den aktuellen Hochrechnungen kommen CSU, Freie Wähler und AfD auf rund 59 Prozent, während CSU und Freie Wähler 2013 auf 57,6 Prozent kamen. Grüne und SPD erreichen gemeinsam rund 27 Prozent, 2013 waren es 29 Prozent. Es gibt also keinen linken Ruck oder eine Verschiebung in Bayern – das zweitgrößte Bundesland bleibt konservativ.
Ohne die Freien Wähler hätte die AfD deutlich mehr erreicht als die aktuell gut zehn Prozent. Dass die AfD es im konservativsten Westland auf Anhieb schafft, zweistellig zu werden, ist aus Sicht der neuen Partei ganz klar ein Erfolg.
Die Freien Wähler wiederum sind in der besten Position. Sie sind der „Idealpartner“ für ein „Bayernbündnis“ mit der CSU. Wenn diese auch nur ansatzweise über eine Koalition mit SPD oder Grünen nachdenkt, hat sie den Schuss wirklich nicht gehört. Man darf sich überraschen lassen.
Dass die CSU und die SPD derart abgestraft wurden, ist nicht besonders schwer zu verstehen. Wer für Dauerärger und Streit sorgt, wie die CSU und zudem den Eindruck erweckt, dass Politik unter eigener Beteiligung nicht funktioniert, muss sich nicht wundern, wenn die Wähler/innen ihre Schlüsse daraus ziehen und die beiden Regierungsparteien im Bund abstrafen.
Hinzu kommt, dass die SPD inhaltlich vollständig ausgebrannt ist. Sie macht übrigens denselben Fehler wie die Konservativen: Sie thematisieren zu viel die Flüchtlingskrise und ignorieren die Nöte der Wähler. Bezahlbarer Wohnraum, Polizei, Schulen, Kinderbetreuung und auch ein Dieselskandal (Fahrverbote) beschäftigen die Leute im Alltag mehr als das Thema Flüchtlinge. Die Kritiker und die Förderer der Flüchtlingsfrage verlieren also beide. Und die Grünen schummeln sich irgendwie durch.
Die AfD hingegen setzt ihren Siegeszug fort und ist nun in 15 von 16 Länderparlamenten vertreten. Sie nimmt die Rolle der Grünen für die Seite links von der Mitte eben rechts von der Mitte ein und wird weiter wachsen – sofern sie es schafft, nicht zur tatsächlich rechtsradikalen Partei zu verkommen. Und bislang funktioniert der Flirt mit Rechtsaußen ohne größere Verluste.
Erstaunlich ist, dass die Menschen eine eigentlich erfolgreiche Partei derart abstrafen. Die bayerische Wirtschaft brummt, Bayern ist das am besten verwaltete Bundesland. Aber Menschen in den Ballungszentren, die zwar dort arbeiten, aber in den Gürteln leben müssen, weil sie sonst nicht rumkommen, hat die Partei zu wenig im Blick gehabt. Darunter auch viele in Berufen wie Erzieher, Polizeibeamte, Krankenhausbedienstete, die zudem immer härter ranklotzen müssen.
Die Grünen sind dabei die größte Mogelpackung. Sie tragen nichts zu Wohlstand bei, profitieren aber mit ihrer Protesthaltung. Auch das werden Sie kaum in einer Analyse finden – die Grünen ernten auch Stimmen aus konservativen Lagern, die sich von konservativen Parteien enttäuscht fühlen, aber noch nicht bereit sind, AfD zu wählen.
Was ebenfalls vollständig übersehen wird: In den vergangenen Jahren versuchten vor allem die Unionsparteien und die SPD, die Mitte zu besetzen. Doch diese schwindet und damit auch die Stimmen. Die Menschen spüren, dass der stetige Wohlstand keine Zukunftsgarantie ist, sondern es Verteilungskämpfe geben wird. Wenn dazu eine Entwicklung kommt – wie in anderen Ländern – die den Anschein nicht mehr wahren können, wird es ungemütlicher und damit extremer, siehe Italien wo ein rechts-links-extremes Bündnis an der Macht ist.
Wenn dazu Egomanen wie Horst Seehofer kommen, bröckelt die Fassade. Im linken Lager hat sich die SPD von Die Linke und Grünen auffressen lassen – dasselbe gilt für die Unionsparteien durch die AfD, aber auch andere Wählerbündnisse oder möglicherweise auch neue Parteien.
Eine historische Verantwortung hat heute schon Frau Dr. Merkel. Die Forderung, „Merkel muss weg“, ist natürlich widerlich. Die Überlegung, „Frau Merkel hat den richtigen Zeitpunkt zum Abgang verpasst“, ist diskutabel. Die SPD hat bereits eindrücklich gezeigt, wie schwaches Führungspersonal eine Volkspartei zerlegen kann. Das steht den Unionsparteien noch bevor. Die Zeiten sind heute schneller als früher.
P.S. Ach ja. Die Umfrageinstitute lagen übrigens insgesamt richtig, was auch jedem Bürger gelingt, im Ergebnis aber teils weit abgeschlagen von den realen Ergebnissen. So hat kein einziges die SPD unter zehn Prozent gesehen und rund 37 Prozent für die CSU waren in den vergangenen Monaten nicht mehr aufgetaucht. Knapp 12 Prozent für die Freien Wähler ebenfalls nicht.
P.P.S. Wenn Sie diesen Text lesen und kein Steady-Kunde sind, haben Sie sich unberechtigt Zugang verschafft und sind ein Mensch, der mich um ein kleines Honorar für eine journalistische Leistung betrügt. Sie haben Verständnis, dass ich Ihnen dann nicht wohl gesonnen bin.
Aktualisierung, 15. Oktober, 0:43 Uhr.
In Würzburg haben die Grünen vermutlich das erste Direktmandat in Bayern gewonnen.
Nach der offiziellen Auszählung des Landeswahlleiters hat die FDP noch nicht die 5-Prozent-Hürde genommen. Sie steht bei 4,6 Prozent.
Die Wahlbeteiligung liegt bei bei 72,4 Prozent nach 62,8 Prozent in 2013.