Rhein-Neckar/Berlin, 13. August 2018. (red) Wie mit einer Scheindebatte eine Politik der Schuldzuweisung gemacht wird gegenüber denjenigen, die sich nicht wehren können, thematisiert Mathias Michalski. Er fordert eine Debatte darüber, wieso viele wenig haben und wenige viel. Ein Plädoyer für eine Politik mit Handwerk, Arbeit, Ausgleich und Kompromiss und gegen eine Politik der platten Sätze.
Von Mathias Michalski
In der Nähe meiner Schwiegereltern bauen zwei junge Menschen ein Eigenheim. Soweit nichts Spektakuläres.
Doch bei weit über 30 Grad und strahlendem Sonnenschein kommen auch die besten Handwerker an ihre Grenzen und als in Polen Geborener konnte ich mich mit den Herren, die übrigens hervorragend deutsch sprachen, auf polnisch unterhalten.
Hier erfuhr ich, dass sie oft wochenlang von ihrer Familie getrennt sind und liebend gerne Häuser in Polen bauen würden, aber der Lohn einfach nicht reicht, um die eigene Familie zu ernähren…
Platte Lösungen helfen nicht gegen reale Herausforderungen
Und für alle, die über jedes Hetzstöckchen springen, welches einem vorgehalten wird: In Polen hat mit Kaczynski ein Rechtspopulist das Sagen, der sich politisch nicht hinter seinem Kollegen Orban aus Ungarn verstecken muss und man kann am Beispiel der Polen erkennen, dass die im Ausland (Deutschland) arbeiten müssen, weil zuhause nicht genug Geld verdient werden kann und eben auch dass schnelle Lösungen in platten Sätzen eben nicht zum Erfolg und Wohl führen.
Politik ist Handwerk, Arbeit, Ausgleich und Kompromiss. Wer schnelle Lösungen in platten Sätzen verspricht, ist meist nicht da, wenn es um die Sache geht.
Unwürdiges Niveau für die SPD
Das sind diejenigen, die alles besser wissen und die Schuld stets denen zuweisen, die sich nicht wehren können. Und jetzt entwickelt sich eine Debatte, in der sich die Spitze der Sozialdemokratie auf ein Niveau begibt, welches dieser großartigen Partei einfach nicht würdig ist. Duisburg steht nicht für das ganze Land und wenn ein SPD-Oberbürgermeister Probleme anspricht, muss er sich auch hinterfragen, ob man vor Ort auch etwas besser machen kann.
Ich war nie das große Mathe-Ass in der Schule, aber eines habe ich von der Gauß’schen Normalverteilung sinngemäß gelernt: Die Anzahl der Arschlöcher ist international gleich – d.h. in jedem Bereich gibt es kriminelle Energien und das hat nichts mit der Nationalität zu tun.
Wie wäre es mal wieder mit grundsätzlich sozialdemokratischer Debatte?
Wenn wir schon in NRW sind: Bei jeder angekauften Steuer-CD gab es zigtausende Selbstanzeigen von Menschen, die den Staat kräftig beschissen haben. Über die Nationalität habe ich in dieser Debatte wenig gehört.
Die Kindergeld-Debatte ist eben auch wieder eine Debatte, die Schuld stets denen zuweist, die sich nicht wehren können – das ist nicht mein Verständnis von Sozialdemokratie. In dieser Debatte hätte ich mir gewünscht, dass wir mal wieder im Grundsatz darüber reden, dass viele wenig und wenig viel besitzen. Von den 268.336 Kindern, die Kindergeld beziehen, obwohl sie nicht in Deutschland leben, reden wir von etwa einem Prozent (!) des gesamten Kindergeldes, das in Deutschland gezahlt wird.
In dieser Debatte wird wieder alles in einen Topf geschmissen. Die Empfänger von Hartz IV, denen das Kindergeld sowieso auf den Bedarf angerechnet wird, werden mit der polnischen Pflegekraft verglichen, die dafür sorgt, dass eine pflegebedürftige Person mit deutscher Staatsangehörigkeit noch in ihrem gewohnten Umfeld wohnen und leben kann ohne in ein Heim zu müssen.
Geiz-ist-geil-Pflege und Facharbeit
Und der oben erwähnte Handwerker, der wochenlang von seiner Familie getrennt ist, ist eben hier, weil der Bedarf an Fachkräften nicht gedeckt werden kann oder die „geiz-ist-geil“- Mentalität dazu zwingt, dass Firmen billige Arbeitskräfte aus dem Ausland holen müssen.
Erneuerung braucht erst Fragen, dann Antworten
Diese Frage sollten wir uns bei der nächsten Amazon-Bestellung gezielt stellen. Und hier könnte eine sich im selbsternannten Erneuerungsprozess befindliche SPD einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Was ist der Wert von Arbeit? Wie schaffen wir es, dass wir Menschen, die kein oder nur ein geringes Erwerbseinkommen haben so unterstützen können, dass sie sich nachhaltig qualifizieren können um in Arbeit zu kommen oder die aktuelle Situation zu verbessern? Wie schaffen wir es, dass die Pflege für die, die sie geben und die, die sie in Anspruch nehmen müssen, attraktiv und bezahlbar bleibt? Was machen wir mit den etwa 1,2 Millionen Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind? Wo sind die Antworten der Sozialdemokratie auf die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt weg von einem klassischen, unbefristeten Arbeitsverhältnis hin zu atypischer Beschäftigung mit geringer Sicherheit, Befristungen sowie häufigeren Phasen von Erwerbslosigkeit? Wie gehen wir mit denen um, die seit vielen Jahren bereits ohne Erwerbseinkommen sind. Hier mag der Ansatz des Bundesarbeitsministers mit der geförderten Beschäftigung in die richtige Richtung gehen, aber wir müssen wieder darüber sprechen, dass man ab 25 Jahre (in Ausnahmen ab 30 Jahre) keine Chance mehr hat eine Ausbildung für einen Beruf zu erlernen für eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ohne, dass man erhebliche Einkommenseinbußen hat.
Spannende Ansätze, kein Gehör
Wir müssen als Sozialdemokratie wieder stärker über Arbeit im Grundsätzlichen reden und über Hilfen für die, die nicht mehr können. In Zeiten des Themas Digitalisierung versucht die SPD-Chefin mit ihrem Generalsekretär und dem Slogan „Lust auf Morgen“ etwas auf die Beine zu stellen. Ein spannender Ansatz, der mich dazu brachte, unter den ganzen Spam-Mails aus der Parteizentrale diese eine Mal anzuklicken. Hier wurden interessante Rednerinnen und Redner für Veranstaltungen angeboten.
Vor einigen Wochen habe ich hierzu eine Mail geschrieben mit der Bitte um Unterstützung. Bis heute warte ich auf die Antwort und weiß mittlerweile auch wieso: Meine SPD ist zu sehr damit beschäftigt über jedes Stöckchen zu springen, welches die Union hinhält. So kann kein inhaltlicher Erneuerungsprozess gelingen.
Anm. d. Red.: Mathias Michalski ist SPD-Mitglied und Stadtrat in Heidelberg.