Mannheim, 13. Mai 2016. (red/cr) Der Mannheimer Konzern Bilfinger ist angeschlagen, entsprechend ging es hoch her auf der Hauptversammlung am Mittwoch. Schüler einer Wirtschaftsklasse des Wirtschaftsgymnasiums der Weinheimer Johann-Philipp-Reis-Schule in Weinheim haben sich die Wortgefechte, Anschuldigungen und Dementi angehört. Einzelne hätten am liebsten selbst das Wort ergriffen.
Von Christin Rudolph
Die Wirtschaftsklasse der Weinheimer Johann-Philipp-Reis-Schule hängt mehr in den Stühlen als zu sitzen. Sie sind erschöpft, die Konzentration ist weg. Seit fünf geschlagenen Stunden werden vorne Fragen gestellt, Antworten verlesen und Wortgefechte geführt. Nicht immer sachlich.
„Vorne“ ist an diesem Schultag allerdings nicht die Tafel im Klassenzimmer, sondern die Bühne der Hauptversammlung des Mannheimer Konzerns Bilfinger. Die Klasse sitzt auf den Gästeplätzen im Rosengarten. Um sie herum leeren sich die Sitze; viele Aktionäre sind nach dem Mittagessen nicht mehr in den Saal zurückgekehrt und auch die Journalisten haben ihre Kameras eingepackt.
Ihre Sachen packen würden die Schüler auch gerne, aber ein Teil der Tagesordnung fehlt noch – die Abstimmung. Das Wort wabert durch die Gruppe „Wann kommt die Abstimmung?“, „Die meisten bleiben ja gar nicht bis zur Abstimmung“, „Warum wird nicht endlich abgestimmt?“. Als dann die magischen Worte fallen: „Hiermit schließe ich die Generaldebatte“, ist die Erleichterung greifbar.
Fünf Stunden Debatte, Abstimmung zack zack

Ein knappes Drittel des Saals ist zum Zeitpunkt der Abstimmung noch besetzt.
Dann wird das Verfahren erläutert. Hier wird einer der Gründe klar, warum nur noch etwa ein Drittel des Saals gefüllt ist: Es werden lediglich Nein-Stimmen und Enthaltungen gezählt. Wer also dafür ist, muss nichts tun und kann genauso gut einen Kaffee trinken. Außerdem konnte man sein Stimmrecht vorher übertragen.
Dann geht alles – im Vergleich zu den vergangenen fünf Stunden – ganz schnell. In einem Rutsch wird der Nichtauszahlung der Dividende, den Kandidaten für den Aufsichtsrat und der Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand zugestimmt.
Ein paar Minuten später werden die Ergebnisse vorgelesen und die Hauptversammlung endet. Ein nüchternes und abruptes Ende. Am Vormittag dagegen war die Stimmung noch von emotionalen Anschuldigungen geprägt – richtige „Action“.
Viele Aufreger
Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Eckhard Cordes hatte die Tagesordnung erläutert und seien geschäftsmäßigen Tonfall beibehalten, als er von den Formalien zu den „interessanten Dingen“ kam.
Einige Schüler hörten aber genau zu und erfassten, dass der Inhalt seiner Rede ziemlich brisant war: Keine Dividende für das Geschäftsjahr 2015 auszahlen, die Entlastung von Vorstandsmitgliedern vertagen, bis eine interne Untersuchung ergibt, dass ihnen nichts anzulasten ist.
Außerdem wurden Ersatzkandidaten für den Aufsichtsrat vorgestellt. Denn zwei frühere Kandidaten haben ihre Kandidaturen kurzfristig zurückgezogen. Hans Peter Ring aus „persönlichen Gründen“, Dr. John Feldmann „wegen unterschiedlicher Auffassung im Aufsichtsrat zu Strategie und Positionierung von Bilfinger“.
Wir müssen den Fokus auf den Cashflow legen.
Scharfe Kritik kommt gut an
Als Interimschef Axel Salzmann dann zu den Zahlen kam, herrschte Konzentration im Saal. Kurz bei den Schülern nachgefragt, was denn „Cashflow“ bedeutet und wozu der gut ist, herrscht erst einmal Verlegenheit. Gar nicht so leicht, Begriffe aus dem Unterricht den verschiedenen Diagrammen zuzuordnen.
Mit gemeinsamen Ergänzungen aber stellt sich heraus, dass sich doch einige etwas darunter vorstellen können und ein paar auch mehr wissen als sie glauben.
Umso größer der Kontrast, als dann die Generaldebatte eröffnet wurde und der erste Redner sprach. Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, tritt charismatisch und humorvoll auf – und schien Dr. Cordes richtig nervös zu machen.
Nüchternheit und Emotionen

Marc Tüngler kritisiert Vorstand und Aufsichtsrat und stellt Forderungen.
Er zerlegte regelrecht die bis dahin vom Konzern vorgebrachte Darstellung. Denn der hätte keine Strategie:
Das sind Chaostage, nein -Jahre in Mannheim!
Die engagierte Vortragsweise, die harten Formulierungen und der kritische Inhalt weckten die Schüler richtig auf. Berfin etwa fand die Wortmeldungen richtig unterhaltsam und auch gut vorgetragen.
Viel besser als die Antworten des Sitzungsleiters Dr. Cordes und des Übergangschefs Salzmann.
Die lesen nur ab – das überzeugt überhaupt nicht!
Spekulationen und Misstrauen
Herr Tüngler formulierte Fragen, die sich wohl auch viele Aktionäre stellen, wie etwa über den Rücktritt von Unternehmenschef Per Utnegaard:
Hat er jetzt beschissen oder nicht?
Was bei den Schülern und vermutlich auch bei vielen der gut 800 anwesenden Aktionären ankam: „Irgendwas mit Reisekosten…“. Dr. Cordes stellte es so dar, als habe die Entscheidung von Herr Utnegaard persönliche Gründe und danach seien Fehlbeträge bei dessen Reisekosten aufgefallen, die er jedoch nachgezahlt habe.
Dazu stellten verschiedene Redner Theorien auf, wie es noch gewesen sein könnte. Es blieb allerdings bei Spekulationen, Dr. Cordes blieb bei seiner Darstellung. Bei den Wortmeldungen ging es oft emotional zu, Zwischenrufe blieben nicht aus.
Anfeindungen und Klartext
Deutlich wurde auch für die Schüler, die sich nicht mit dem Konzern befasst hatten: Aufsichtsratsvorsitzender Cordes genießt kein Vertrauen bei den Aktionären und ihren Vertretern. Er wurde fast durchgehend scharf angegriffen. Ein Kleinaktionär aus Stuttgart mit einer auffallenden Krawatte mit Donald-Duck-Motiv kam sogar zu der Auffassung:
Herr Cordes, Sie müssen weg!

Lehrer Mathias Meder erklärt einer Schülerin etwas anhand des Geschäftsberichts.
Von der Schärfe der Wortmeldungen, aber auch von der bloßen Menge sind die Schüler erstaunt.
Ich hatte erwartet, dass um den heißen Brei herumgeredet wird, so wie am Anfang. Aber eigentlich wird Klartext geredet,
meint etwa Schüler Destiny beeindruckt. Die Debatte wird zunehmend anstregend, da sich Redner und Antworten mit der Zeit zunehmend wiederholen und die Fragen immer verbissener werden.
Anfang vom Ende oder „nur“ Durststrecke?
Was haben die Schüler mitgenommen nach fast sieben Stunden Hauptversammlung? Wie sehen sie das Unternehmen in Zukunft? Destiny resümiert:
Man lernt durch die Diskussion viel mehr über das, was hinten dran steht.

Die knapp 200 Seiten des Geschäftsberichts bereiten nicht nur den Schülern Kopfzerbrechen.
Ein Schüler meinte sogar, er bereue, dass er nicht vor dem Ausflug noch schnell eine Aktie von Bilfinger gekauft habe. Dann hätte er auf dem Rednerpult stehen und mitreden können.
In der Kaffeepause diskutierten die Schüler noch, wie die Zukunft des Konzerns wohl aussieht. „Die sind am Ende.“ – „Meinst du? Ich denke, die rappeln sich im nächsten Jahr nochmal auf.“ Wer wohl Recht behalten wird?
Anm. d. Red.: Der frühere Grünen-Stadtrat Mathias Meder ist Diplom-Handelslehrer in Weinheim und unterstützt unsere Redaktion als freier Mitarbeiter. Auf seinen Hinweis hin haben wir seine Wirtschaftsklasse des Wirtschafsgymnasiums begleitet. Wir trennen verschiedene Rollen strikt – an diesem Artikel ist er inhaltlich nicht beteiligt.