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Rhein-Neckar/Regensburg, 12. Januar 2011. (red) Gestern stand der Regensburger Journalist Stefan Aigner in Hamburg vor Gericht. Die Diözese Regensburg hat gegen den Betreiber von “regensburg-digital.de” eine Einstweilige Verfügung erwirkt, die ihm bei Ordnungsgeld oder Haftstrafe verbietet, Zahlungen der Kirche an die Familie eines missbrauchten Jungen als “Schweigegeld” zu bezeichnen. Dieser hat Stefan Aigner widersprochen, weswegen es zum Prozess gekommen ist. Das Urteil soll am 25. Februar 2010 verkündet werden.
Von Hardy Prothmann

Der Regensburger Journalist Stefan Aigner verteidigt seine Meinungsfreiheit gegen die Katholische Kirche. Bild: rheinneckarblog.de
Auf den ersten Blick ist ein Gerichtstermin in Hamburg nicht direkt ein Thema für das rheinneckarblog. Tatsächlich ist das aber ein Thema, dass auch unser Angebot betrifft. Nicht nur, weil es eine Kooperation zwischen regensburg-digital.de und rheinneckarblog.de gibt, sondern auch, weil unsere Redaktion ebenfalls häufiger juristisch unter Druck gesetzt wird.
Meinungsfreiheit vor Gericht.
Das hat Gründe: Wir machen grundsätzlich von unserem Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz Gebrauch.
Selbstverständlich findet dieses Recht seine Grenzen durch andere Gesetze. Und ganz selbstverständlich klagen immer wieder Firmen, Institutionen, Kirchen, Behörden oder auch Privatpersonen gegen freie Meinungsäußerungen: Erstens, weil sie ihnen nicht gefällt und zweitens wird häufig der Versuch unternommen, unliebsame “Meinungsträger” finanziell mundtot zu klagen.
Stefan Aigner steht zum dritten Mal vor Gericht. Das Möbelhaus XXXLutz wollte ihm verbieten zu behaupten, dass die Quote der Festangestellten bei der Lutz-Tochter „PA-Vertriebs GmbH & Co KG-€ in Passau unter 30 Prozent liege. Aigner hat den Prozess gewonnen – er konnte die Behauptung mit Dokumenten belegen. Der Richter stellte fest: “Das Verbreiten wahrer Tatsachen ist aber grundsätzlich nicht rechtswidrig.”
Der Rüstungskonzern Diehl hat den Journalisten Aigner verklagt, weil dieser in einem Kommentar das “intelligente Wirksystem” “Smart 155” als “Streumunition” bezeichnet hatte. Es kam zu einem Vergleich. Diehl musste die Kosten des Rechtsstreits tragen und Stefan Aigner verpflichtete sich, nicht mehr die “Tatsachenbehauptung” aufzustellen, dass die “Smart 155” Streumunition sei – denn Streumunition gilt als besonders grausame Waffe, die angeblich auch durch die Bundesrepublik Deutschland geächtet wird.
“Ich konnte mir die Kosten nicht leisten.” Stefan Aigner
Aigner darf aber weiterhin seine Meinung zum Ausdruck bringen. Die taz schrieb im März 2009: “Waffen bauen, Sprache säubern.” Auch das Online-Magazin telepolis hatte berichtet: “Punktzielmunition trifft Pressefreiheit”.
Stefan Aigner: “Ich konnte mir die Kosten nicht leisten.”
Aktuell verteidigt Stefan Aigner seine Meinungsfreiheit vor dem Hamburger Landgericht. Warum dort? Das nennt sich “fliegender Gerichtsstand”. Aigner wurde vermutlich dort verklagt, weil das Hamburger Landgericht als besonders “pressekritisch” gilt – viele sind der Meinung, dass dort die Meinungsfreiheit mit Füßen getreten wird und halten das Gericht geradezu für “pressefeindlich”. Deshalb wird auch bevozugt dort geklagt.
Verschwiegenheitsvereinbarung+Geld=Schweigegeld?
Im aktuellen Fall geht es um eine Meinungsäußerung Aigners zum bundesweit bekanntgewordenen Missbrauchsfall “Riekofen”, einem Vorort von Regensburg. Ein pädophiler Priester hatte mindestens zwanzig Ministranten missbraucht. Es wurden zwischen der Kirche und der Familie eines Missbrauchopfers Verwiegenheit und Geldzahlungen vereinbart. Aigner beschrieb das als “Schweigegeld”. Trotz eines Vergleichsangebots von Aigners Seite zog die Kirche das Verfahren durch und erwirkte eine “Einstweilige Verfügung”.
Diesmal kann sich Stefan Aigner die Prozesskosten “leisten”. Ein Spendenaufruf brachte innerhalb weniger Wochen 10.000 Euro zusammen, die er nun verwendet, um sich gegen die Einstweilige Verfügung zur Wehr zu setzen.
Gestern wurde der Fall in Hamburg verhandelt. Auf regensburg-digital.de schreibt Stefan Aigner heute:
“Darf man ungestraft anderer Meinung sein als die katholische Kirche? Der erste Verhandlungstermin vor dem Landgericht Hamburg am Dienstag brachte noch keine Klärung in dieser Frage. Im Rechtsstreit zwischen der Diözese Regensburg und unserer Redaktion haben wir nun noch einmal vier Wochen Zeit, um die uns derzeit untersagte Einschätzung eines Stillschweigeabkommens der Diözese mit einem Opfer des pädophilen Priesters Peter K. (Viechtach/ Riekofen) nochmals darzulegen. Am 25. Februar will das Gericht eine Entscheidung verkünden.
Peter K. hatte 1999 in Viechtach einen Jungen sexuell missbraucht. Damals wurden zwischen der Familie und der Diözese Stillschweigen und Geldzahlungen vereinbart.
Der Pfarrer kam trotz Vorstrafe bereits 2001 wieder bei Ministrantenausflügen zum Einsatz. Öffentlich bekannt wurde der Fall erst 2007, nachdem heraus kam, dass K. auch an seinem neuen Wirkunsort in Riekofen mindestens einen Ministranten in über 20 Fällen sexuell missbraucht hatte.
Seit die Diözese Regensburg eine einstweilige Verfügung gegen unsere Redaktion erwirkt hat, droht ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro, sollten wir unsere Einschätzung in Zusammenhang mit diesem Fall und dem Vertrag zwischen Familie und Diözese wiederholen.”
Klagen gegen missliebige Meinungen.
Auch gegen mich als verantwortlichem Journalist für das heddesheimblog gab es bislang drei “Unterlassungsaufforderungen”.

Hardy Prothmann ist Journalist seit 1991 und hat für fast alle großen Medien gearbeitet. Bis Ende 2009 ohne juristische Klagen. Seitdem wurde bereits dreimal eine "Unterlassung" gefordert. Bild: sap
Im September 2009 forderte der Heddesheimer Bürgermeister Michael Kessler mich per Anwalt auf, die Behauptung zu unterlassen, die Ergebnisse einer Bürgerbefragung seien “verfälscht worden”. Nach einer umgehenden Korrektur zog der Bürgermeister zurück.
Im April 2010 ging eine Redakteurin des Mannheimer Morgen, Anja Görlitz, gegen Bemerkungen des Kommentars “Das Drama der journalistischen Prostitution” vor. Sie fühlte sich in ihrer Berufsehre verletzt. In diesem Fall haben wir aus Kostengründen auf einen Rechtsstreit zunächst verzichtet und die Einstweilige Verfügung akzeptiert. Die Kosten liegen bei rund 5.000 Euro.
Im November 2010 forderte der Heddesheimer CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Josef Doll uns auf, es zu unterlasssen, ihn einen “Prahlhans” oder “Täuscher vor dem Herrn” zu nennen sowie seine “demokratische Verfassung” in Frage zu stellen. Wir haben die Aufforderung nicht abgegeben und gehen davon aus, dass der Fall nicht weiter “verfolgt” wird, da seitdem nichts passiert ist.
Kampf gegen die Meinungsfreiheit.
Es wird aber weiterhin “passieren”, dass bevorzugt gegen einzelne Journalisten und Blogger juristisch vorgegangen wird, um sie finanziell mundtot zu klagen. Sie sind aus Sicht der Kläger “einfache Opfer”. Gegen große Medienunternehmen mit eigenen Rechtsabteilungen und genügend finanzielle Mittel ist man selten so klagefreudig.
Vielleicht gibt es auch weniger “Anlass” dazu – nicht etwa, weil Tageszeitungen und Rundfunksender nicht grundsätzlich angreifbar wären, sondern wohl eher deswegen, weil die Berichterstattung auch bei heiklen Fällen oft so kreuzbrav ist, dass tatsächlich aus Sicht von Waffenherstellern, Kirchen oder Unternehmen, die ihre Mitarbeiter abzocken, kein “Grund zur Klage” besteht.
Einsatz für die Meinungsfreiheit.
Überall in Deutschland entstehen neue journalistische Angebote oder haben die Arbeit bereits aufgenommen. Die allermeisten im Internet und die allermeisten mit dem hehren Anspruch, vor Ort für die Menschen einen anspruchsvollen und auch meinungsstarken Journalismus anzubieten.
Aus der Überzeugung heraus, dass eine freie Berichterstattung und die freie Meinungsäußerung ein wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie sind.
Denn wenn die Angst vor Klagen zur “Schere im Kopf” führt, wird die Meinungsfreiheit bedenklich beeinträchtigt. Und dass es nicht um die Wahrnehmung berechtigter Ansprüche geht und schon gar nicht um “verträgliche” Vereinbarungen, zeigt der Fall Görlitz vs. Prothmann beispielhaft: “Wir sind an einer Einigung grundsätzlich nicht interessiert”, war die Antwort auf den Versuch, den finanziellen Schaden so gering wie möglich zu halten.
In den allermeisten Fällen wird dazu auch kein Versuch unternommen, sondern sofort mit teils absurd hohen “Streitwerten” zwischen 15.000 und 250.000 Euro die juristische Vernichtungskeule geschwungen.
Stefan Aigner und ich sind Gründungsmitglieder eines zunächst noch losen Netzwerks von Lokaljournalisten, die weiterhin eigenverantwortlich ihrer Arbeit nachgehen. Wir versuchen aber “Synergieeffekte” zu erzielen. Ein Ziel ist, uns juristisch wehrhafter zu machen.
Lokaljournalisten und Blogger, die mehr darüber erfahren wollen, wenden sich bitte an kontakt(at)istlokal.de.