Luxemburg/Mannheim/Rhein-Neckar, 11. November 2014. (red) Aktualisiert. Der europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute entschieden, dass eine arbeitslose Rumänin keinen Anspruch auf Sozialhilfen hat, wenn sie keine Arbeit sucht. Das Urteil ist mit Spannung erwartet worden, weil es einem „Vorurteil“ widerspricht: Eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ ist nicht möglich.
Von Enrico Kober
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg ist von grundlegender Bedeutung: Eine 25-jährige Rumänin, die wieder seit 10. November 2010 mit ihrem hier geborenen fünfjährigen Sohn lebt, hatte beim Jobcenter Hartz IV beantragt. Das Jobcenter lehnte zwei Anträge der Frau auf Sozialleistungen ab, woraufhin die Rumänin, die nicht arbeitssuchend ist, klagte. Das Sozialgericht Leipzig wandte sich daraufhin an den EuGH.
Freizügigkeit ja – Missbrauch der Sozialsysteme nein
Dieser stellte fest, wann man die Ansprüche nicht hat. Die Freizügigkeit, die EU-Bürgern die Arbeit in anderen EU-Ländern erlaubt, hat Grenzen. Wer nach Deutschland einreist, muss sicherstellen, dass er für die ersten drei Monate genug Mittel hat oder jemand diese zur Verfügung stellt, um „autark“ leben zu können. Wer nicht nachweisen kann, dass er Arbeit sucht, erhält auch kein Hartz IV. Außerdem muss man eine ausreichend lange Zeit in Deutschland leben (fünf Jahre), um Ansprüche „zu erwerben“.
Ein Mitgliedstaat muss daher gemäß Art. 7 der Richtlinie 2004/38 die Möglichkeit haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialleistungen zu versagen,
schreibt das Gericht in seiner Urteilsbegründung.
Deutschland ist keine soziale Hängematte für EU-Ausländer
Damit sind Vorwürfe obsolet, EU-Ausländer könnten sich es in der „sozialen Hängematte“ in Deutschland bequem machen. Selbstverständlich können auch EU-Ausländer in Deutschland Sozialleistungen erhalten – wenn sie aber bereits hier gearbeitet haben und deutlich machen können, dass sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Nach verschiedenen Erhebungen ist der Vorwurf des Sozialmissbrauchs durch Ausländer obsolet – in Summe zahlen diese mehr in die Sozialsystem ein, als sie kosten. Auch die Arbeitslosenquote insbesondere bei Rumänen und Bulgaren liegt unter der anderer Ausländer, oft sogar unter der von Deutschen.
Durch das EuGH-Urteil ist auch das Signal in Richtung derjenigen klar, die „Sozialtourismus“ betreiben wollen – sie werden damit keine Chance haben. Klar ist aber auch: Das Urteil hat keine pauschale Wirkung, jeder Einzelfall muss geprüft werden. Wer in Deutschland bereits gearbeitet hat oder als Aufstocker Unterstützung braucht, erhält diese auch.
Aktualisierung:
Das EuGH-Urteil hat auch für Mannheim zur Folge, dass eine befürchtete Belastung der Sozialkassen nicht eintritt. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Bürgermeister Michael Grötsch kommentierten das Urteil auf Anfrage:
Die Stadt Mannheim begrüßt das heute ergangene EuGH-Urteil in der Rechtssache Dano. Es legt fest, dass Bürgern anderer EU-Staaten, die nicht erwerbstätig sind, keine ‚beitragsunabhängigen Geldleistungen‘ (Hartz IV) gewährt werden müssen. Darüber hinaus stellt das Gericht klar, dass das Aufenthaltsrecht für EU-Bürger an eindeutige Voraussetzungen geknüpft ist: Wenn bei einer Einzelfallprüfung weder eine Erwerbstätigkeit noch ausreichende Existenzmittel festgestellt werden, besteht kein Aufenthaltsrecht. Das nun vorliegende Urteil sorgt für mehr Rechtssicherheit und unterstützt uns in unserem Ansatz des Forderns und Förderns.
Die finanziellen Auswirkungen des heutigen Urteils kann man noch nicht beziffern, so die Stadt. Rund 900 Bulgaren und Rumänen befinden sich derzeit im Leistungsbezug für das Arbeitslosengeld II, davon sind rund 70 Prozent sogenannte Aufstocker, also Erwerbstätige, bei denen der Verdienst für die Lebenshaltungskosten nicht ausreicht. Nur etwa 10 Prozent fallen unter das Urteil. Da aber Personen mit Daueraufenthaltsrecht und die Aufstocker vom heutigen Urteil nicht betroffen sind, betrifft das Urteil „nur“ 50 bis 80 bulgarische und rumänische Zuwanderer in Mannheim.
Derzeit gibt es in Mannheim rund 300 anhängige Fälle, in denen der Leistungsbezug überprüft wird, bei zwei Drittel dieser Fälle wurde der Leistungsbezug bislang abgelehnt. Diese Fälle werden jetzt schnellstmöglich geprüft, teilt die Stadt mit.
Zum 30.09. sind 3.643 Personen aus Rumänien und 4.677 Personen aus Bulgarien in Mannheim gemeldet, insgesamt also 8.320 Personen. Zum Jahreswechsel waren 6.856 Personen in Mannheim gemeldet, davon 3.979 aus Bulgarien und 2.887 aus Rumänien. Das entspricht einerseits einer deutlichen Zunahme von 21 Prozent – andererseits nicht den „Befürchtungen“ einer „Zuwanderungswelle“.
Service:
Hier finden Sie das Urteil – Az: C-333/13