Rhein-Neckar, 08. Oktober 2019. (red/mg) In unseren Montagsgedanken haben wir einen Text des Fachjournalisten Martin Graf veröffentlicht, der auf Facebook mittlerweile über 100.000 Mal geteilt worden ist, viel Zuspruch, aber auch Ablehnung erfährt. Bitter sind wie immer die obligatorischen Anfeindungen und Beleidigungen. Martin Graf hat deshalb nachgelegt. Viel Freude bei der Lektüre.
Von Martin Graf
Vor einigen Tagen, am 25. September kurz vor Mitternacht, habe ich einen offenen und betont sachlichen Brief an Greta Thunberg verfasst und bei Facebook online gestellt. Der Grund war schlicht: Ich wollte der grassierenden „Huch, wir werden alle sterben“-Hysterie, die derzeit in ein paar der reichsten, saubersten und sichersten Länder der Erde durch die Medien gejagt wird, etwas entgegensetzen. Denn dieser Alarmismus ist ein Luxus, den nur Menschen mit viel Geld, Sicherheit und Freizeit sich überhaupt leisten können: Wer heute noch nicht weiß, was (und ob überhaupt) er morgen essen wird, hat nämlich keine Zeit dazu.
Am nächsten Morgen fuhr ich für 5 Tage auf eine Messe nach Frankreich und konnte Facebook nur sporadisch auf dem Handy verfolgen. Was seither mit meinem Brief passierte, war stellenweise unglaublich: Bis heute wurde der Beitrag über 80.000 mal geliked, fast 100.000 mal geteilt, und knapp 20.000 User kommentierten ihn. Größtenteils zustimmend; daneben gab es auch Kritik und – immer wieder besonders interessant – persönliche Beleidigungen gegen mich, teilweise aus der untersten Schublade. Der Sinn von Demokratie und Meinungsfreiheit/-pluralismus ist offenbar noch nicht in alle Ecken Deutschlands vorgedrungen; auch nicht zu denen, die sich selbst zur grünen Elite des Landes zählen. Zahlreiche Anhänger der „Klima-Religion“ fühlen sich in ihrer eingebildeten moralischen Überlegenheit offenbar berechtigt, jeden Andersdenkenden persönlich attackieren und beleidigen zu dürfen. Aber ich habe die Kommentare sowieso nur auszugsweise gelesen; alles war mengenmäßig gar nicht zu schaffen.
Ich wäre ein „Greta-Hasser“, wurde mir von ein paar Kommentatoren unterstellt, ich „müsse meinen Altmännerfrust an einer 16-Jährigen abarbeiten“; ich wolle nur „meinen Lebensstil nicht ändern“ oder gar, ich „hätte Angst vor Greta“. Um Himmels Willen! Ich habe bei meinen eigenen Kindern zweimal Pubertät erlebt; danach hat man vor überhaupt nichts mehr Angst!
Eine Greta Thunberg ängstigt mich also ganz sicher nicht, und „hassen“ muss ich dieses bedauernswerte Kind schon gar nicht. Sie tut mir vielmehr von ganzem Herzen leid, weil sie mit ihren besonderen Befindlichkeiten und Ängsten als Sprechpuppe für interessierte Kreise benutzt wird, deren Sprüche und Dramaturgie sie wunschgemäß wiedergibt. Und weil absehbar ist, dass man sie irgendwann in dieselbe Ecke schubsen wird wie viele anderen abgehalfterten Ex-Kinderstars – wo sie mit ihren neurologischen Störungen ganz sicher nicht hingehört. Wenn die Scheinwerfer erst einmal aus sind, wird Greta niemanden mehr interessieren.
Was mir allerdings tatsächlich Sorge macht, ist der Mechanismus, mit dem sich eine durchaus beachtliche Anzahl von Menschen hysterisieren und radikalisieren lässt; auch und gerade so genannte „gebildete Leute“, die es eigentlich besser wissen müssten. Ich hätte mir gewünscht, dass Menschen im Informationszeitalter aufgeklärter, belesener und weitsichtiger sind und besonnener agieren; dass sie nicht in Filterblasen leben und nur die abgedroschenen Sprüche der eigenen Peer-Group von sich geben, sondern sich auch für andere Meinungen als die eigenen interessieren – aber das ist oft nicht der Fall. Die selbsternannten Apokalyptiker des Untergangs halten sich für ausgewiesene Klima-Experten und malen die Zukunft des Planeten in den düstersten Farben – aber wenn man sie fragt, wie genau der von ihnen befürchtete Treibhauseffekt denn überhaupt funktioniert und warum CO2 daran beteiligt sein soll, kommen sie regelmäßig ins Stammeln: Wozu denn Bildung und Fakten, wenn man sich längst bequem in den eigenen Vorurteilen eingerichtet hat?
Diese alten Mechanismen – schon vor Jahrhunderten von der katholischen Kirche und anderen Religionen zur Perfektion entwickelt – funktionieren heute genauso gut wie damals. Allerdings – bedingt durch die „neuen Medien“ – noch viel schneller. Ja, davor kann man wirklich Angst kriegen. Vor allem, weil Politiker zunehmend ihr Fähnchen danach richten, um Wahlen zu gewinnen: Politik tut leider oft nicht mehr, was wichtig und nötig ist, sondern viel lieber, was in nächster Zukunft Prozente bei Umfragen und Wahlen bringt.
Haben wir wohlhabenden und satten Menschen in der so genannten „1. Welt“ das Recht oder gar die Pflicht, Menschen in Schwellenländern den Gebrauch fossiler Brennstoffe und bezahlbarer Energie zu verwehren? Mal abgesehen davon, dass das technisch gar nicht möglich ist (wie will man von Wanne-Eickel aus Einfluss auf die chinesische oder somalische Klimapolitik nehmen?) ist es unglaublich arrogant und egoistisch, anderen Menschen etwas abzusprechen, von dem man selbst schon ein Leben lang täglich profitiert.
Die Lösungen für Ernährung, Energieversorgung und Mobilität liegen in Forschung und technischer Weiterentwicklung; nicht in der dumpfen Ideenlosigkeit, anderen möglichst schnell möglichst viel zu verbieten. Abgesehen davon ist ja niemand gehindert, Dinge nicht zu tun, die er für schädlich hält: Wenn alle Klima-Apologeten in Deutschland ab morgen nicht mehr fliegen, nicht mehr Auto fahren, kein Fleisch mehr essen und keine Smartphones benutzen, sinken die deutschen Emissionen schlagartig um 20 Prozent. Das spielt global zwar nicht die geringste Rolle, aber wäre zumindest eine tolle Schlagzeile! Leider sind die selbst ernannten Propheten schon immer besser darin gewesen, anderen zu erzählen, was sie (nicht) tun sollen als ihre eigenen Postulate einfach selbst zu leben.
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Den zweifellos vorhandenen, aber nicht seriös bezifferbaren anthropogenen Einfluss auf das Weltklima werden wir nicht vom kleinen Deutschland aus mit dem Verzicht auf Schnitzel, Autos oder Flugreisen lösen. Und das immer wieder zu hörende Totschlagargument „Aber einer muss doch mal anfangen und Vorbild sein!“ ist selbst längst mausetot: Wir haben schon vor Jahrzehnten damit angefangen; wer sich Deutschland als Umwelt-Vorbild nehmen möchte, kann das seit gefühlten Ewigkeiten tun. Es macht nur so gut wie keiner; andere Länder schütteln eher den Kopf darüber, dass und wie ein erfolgreiches Land wie Deutschland sich selbst (Stichwort Energiewirtschaft und Automobilindustrie) demontiert.
Wissenschaftlich zweifelsfrei bewiesen ist bislang nur eine Korrelation: Die zwischen einem unglaublich rasanten Wachstum der Weltbevölkerung von zwei auf knapp acht Milliarden Menschen in gerade einmal 70 Jahren auf der einen und einer leicht erhöhten Durchschnittstemperatur auf der anderen Seite. Das ist der Fluch der guten Tat; initiiert und wesentlich finanziert von der 1. Welt in Form von Entwicklungshilfe: Durch medizinischen Fortschritt und damit höhere Lebenserwartung; durch den erfolgreichen Kampf gegen Kindersterblichkeit, gegen den Welthunger und für den Frieden. Woraus umgekehrt aber auch folgt: Wer das Klima des Jahres 1950 oder 1780 wiederhaben will, muss zuallererst per Geburtenkontrolle (nein, NICHT durch Massenmord!) die Weltbevölkerung wieder auf den Stand von damals bringen – oder eben die Folgen unserer karnickelartigen Bevölkerungsexplosion akzeptieren: Mehr Input erzeugt mehr Output; das ist schlichte Physik. Wenn man statt zwei plötzlich acht Personen in eine 2-Zimmer-Wohnung steckt, ändert sich dort auch erheblich mehr als der Name auf dem Klingelschild.
Sicher ist auch: Man kann nicht 8 oder 10 Milliarden Menschen mit Bio-Schrebergärten ernähren und ihnen gleichzeitig das Streben nach moderner Technik und dem Luxus der 1. Welt verweigern. Hier braucht es globale Entscheidungen und keine deutschen. Und nein: Wir Deutschen sind in diesen Fragen nicht im Besitz höherer oder besserer Wahrheiten. Wir sind eines von derzeit 194 Ländern der Erde und repräsentieren gerade mal ein (!) einziges Prozent der Weltbevölkerung. Ein bisschen Demut und Respekt vor anderen Lebensentwürfen täte uns gut.
Wir sind in Deutschland in den vergangenen Jahren an zahlreichen Aufgaben grandios gescheitert: Wir haben eine überhastete „Energiewende“ verseppelt, wir scheitern an Stromtrassen und flächendeckender Digitalisierung, wir bekommen keinen in der Fläche funktionierenden und bezahlbaren ÖPNV auf die Reihe, kein menschenwürdiges Rentensystem und keinen Flughafen – aber die Welt soll ausgerechnet uns nacheifern bei der Rettung des Weltklimas per Klimastreik, Fleischverzicht, Flug- und Autoscham? Mit Hysterie kann man eine funktionierende Wirtschaft an die Wand fahren, wenn Menschen wie Lemminge von der Klippe springen – aber man löst damit kein einziges Problem, weder national noch weltweit. Die Sehnsucht nach Verboten und Einschränkungen kommt mir eher vor, als würden Freilandhühner für Käfighaltung demonstrieren.
Ich habe große Hoffnung, dass es in der Generation unserer Kinder genügend kreative und tüchtige junge Menschen gibt, die als Politiker, Wissenschaftler, Ingenieure und Philosophen mit Klugheit und Weitsicht die Probleme ihrer Generation auf der Basis von naturwissenschaftlichen und politischen Fakten lösen werden – und nicht auf der Basis von Angst und Massenhysterie.
Ich halte es aber auch für ziemlich arrogant und anmassend, die Welt des Jahres 2100 bereits heute „gestalten“ zu wollen: Das sollen und müssen die dann Verantwortlichen tun; nicht wir. Ich selbst bin jedenfalls sehr froh darum, nicht in der Welt leben zu müssen, die sich unsere Vorfahren vor 80 Jahren für uns ausgedacht hatten, sondern in einer Gesellschaft, die wir selbst einrichten durften und die ich für eine der besten und freiesten der Welt halte – so wie sie heute ist.
Zur Person:
Martin Graf (62) ist gelernter Augenoptiker und studierter Fotodesigner. Seit knapp 30 Jahren ist er im augenoptischen Fachjournalismus unterwegs; aktuell als Chefredakteur und Mitherausgeber des EYECOM Magazins, das allen unabhängigen Augnoptikern in D-A-CH zweimonatlich per Print und täglich online brandaktuelle Informationen über ihre beruflichen Erfordernisse liefert. Seine fotografische Ader findet vor allem in der “automotive photograhy” ihr Betätigungsfeld, aber auch in Büchern und Ausstellungen über historische Themen; beispielsweise das Nazi-Massaker im französischen Oradour im Juni 1944 oder das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof südlich von Strasbourg. Er lebt und arbeitet am Bodensee.