Mannheim, 07. Oktober 2015. (red/ms) Die Haushaltsberatungen stehen bevor – in diesem Zusammenhang sprach Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) davon, dass man aktuell vor einer “Fragestellung historischer Dimension” stehe und dies bei den Diskussionen zu berücksichtigen habe: “Seit der unmittelbaren Nachkriegszeit sind noch nie zuvor so viele Menschen in so kurzer Zeit in unser Land gekommen,” sagt Dr. Kurz zu Beginn seiner Haushaltsrede. Noch könne man die Lage meistern. Doch wenn die Flüchtlingszahlen in den nächsten Monaten nicht sinken würden, sei Deutschland dieser Herausforderung nicht mehr gewachsen.
Von Minh Schredle
Der Moment der Einbringung des Doppelhaushaltes für die Jahre 2016/2017 ist geprägt von einer aktuellen Situation und Fragestellung historischer Dimension. Seit der unmittelbaren Nachkriegszeit sind noch nie zuvor so viele Menschen in so kurzer Zeit in unser Land gekommen. Diese Entwicklung ist zu berücksichtigen bei unseren Diskussionen der nächsten Wochen. Sie findet noch keinen unmittelbaren Ausdruck im Zahlenwerk. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Eckwerte des Haushaltes schon länger festgelegt werden mussten; es hat vor allem auch damit zu tun, dass die Entwicklung und ihre Auswirkungen im wahrsten und unmittelbaren Sinn des Wortes nicht kalkulierbar sind.
Mit diesen Worten begann Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) seine Haushaltsrede. Am vergangenen Mittwoch hat die Mannheimer Stadtverwaltung den Entwurf zur Finanzplanung für die kommenden beiden Jahre im Gemeinderat eingebracht.
Dr. Kurz verlor zunächst einige Worte über die aktuelle Lage der Flüchtlingsunterbringung, insbesondere in Mannheim. Doch es sei eine Krise, die nur durch Zusammenarbeit auf allen Ebenen und die Mithilfe aller Beteiligten zu bewältigen sei. Nie sei klarer gewesen:
Globale Entwicklungen treffen uns in der Kommune.
Das bringe “erhebliche Verunsicherungen” und “ganz unmittelbare Herausforderungen und Irritationen im Alltag” mit sich – dennoch könne die Lage noch gemeistert werden:
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir „das“ schaffen, aber natürlich nicht ohne Rückschläge, Belastungen und schwierige Situationen. Eine Voraussetzung ist auch, dass die Zahlen des Zugangs schon in den nächsten Monaten und insbesondere 2016 sinken und nicht steigen. Dafür muss internationale, europäische und nationale Politik sorgen. Die Themen sind bekannt: Akute Hilfe in den Flüchtlingslagern, Wiederherstellung von Staatlichkeit im mittleren Osten, geregelte Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU, Zuwanderungsgesetz und auch Sicherung der Außengrenzen der EU.
Es gehe “um nicht weniger als die Bewahrung unserer Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit”. Bei einer “Fortsetzung einer ungesteuerten Zuwanderung in den derzeitigen Dimensionen” sei es nicht möglich, “die Durchsetzung des Rechts und die Vermittlung von Grundwerten” aufrecht zu erhalten.
Dies sei “der nüchterne Befund”. Wenn man diese Nüchternheit nicht an den Tag lege, ziehe man die falschen Schlüsse und verliere jede Glaubwürdigkeit. Allerdings sehe er “im Gegensatz zu dem, was die realen und geistigen Brandstifter glauben machen wollen, in Grundfragen einen weit größeren Konsens in unserer Gesellschaft als in der Vergangenheit”:
Die Bewältigung dieser Herausforderung wird uns – das ist meine feste Überzeugung – nicht schwächer, sondern stärker machen.
Die Bereitschaft zu helfen, Menschen in existentieller Not Aufnahme zu gewähren und Zuwanderung zu akzeptieren, sei groß und zugleich gebe es eine gemeinsame Erwartung:
Wer unseren Schutz sucht, von dem erwarten wir die Akzeptanz und Respektierung unserer Werte. Vielfalt leben zu können, ist nicht voraussetzungslos. Wir müssen neben praktischer Hilfe und Unterkünften auch dies schnell an die Menschen, die zu uns kommen, vermitteln. Und dies kann nicht allein durch staatliche Institutionen geschehen, es ist ein Auftrag an uns als Gesellschaft insgesamt.
Der Integrationserfolg entscheide sich in der Kommune, sagte Dr. Kurz vor seiner Haushaltsrede im Gespräch mit Journalisten. Der Bund und das Land müssten daher Städten und Kommunen mit “besonderem Bedarf” zusätzliche Mittel bereitstellen – ansonsten seien die Herausforderungen nicht zu stemmen. In Mannheim gebe es beispielsweise überproportional viele Flüchtlinge. Das würde auch gesteigerte Kosten verursachen:
Selbst wenn der Bund und das Land die Kosten für Flüchtlinge übernehmen wollen, was aller Erfahrung nach nie zu 100 Prozent gilt, müssen wir investieren in sozialen Zusammenhalt und Bildung.
Die “wahre Herausforderung” sei gar nicht die Unterbringung der Flüchtlinge – sondern die Integration dieser Menschen. In Mannheim sei man dafür gut gerüstet, die “seit Jahren geleistete Integrationsarbeit und Erfahrung” werde sich auszahlen. Die Migranten der vergangenen Generationen könnten dabei “wichtige Brückenbauer” sein:
Wir werden die Zuwanderung meistern wie Mannheim schon immer Zuwanderung gemeistert hat: In unseren Kindergärten und Schulen, in den Vereinen und Stadtteilen. Das Gelingen oder Nichtgelingen der Integration wird auch die wirtschaftliche Kraft unserer Stadt für die nächsten Jahrzehnte bestimmen.
Dr. Kurz sagte in aller Deutlichkeit, dass gelungene Integration nur dann gut gelingen könne, wenn alle Beteiligten sich an Voraussetzungen und Regel halten. Dies müsse als Minimum erwartet werden:
Die Annahme von Vielfalt als Wert ist nicht voraussetzungslos. Es bedarf der aktiven Schaffung von Bedingungen, um zu einem produktiven Umgang mit Vielfalt zu gelangen. Hierbei reicht die bloße Akzeptanz der Tatsache, dass die Gesellschaft pluraler und individualisierter wird, nicht aus. Ein entscheidender Aspekt ist stattdessen die Schaffung von Teilhabe – nicht nur als Angebot, sondern als umgesetzte Realität und auf Basis geteilter Werte. Die gleichberechtigte Mitgestaltung sowie die Verantwortungsübernahme durch alle gesellschaftlichen Gruppen sind wesentliche Voraussetzungen für sozialen Zusammenhalt.
Die Erweiterung der Mannheimer Erklärung zur Akzeptanz der ganz unterschiedlichen Lebensstile sei dabei genau das Grundverständnis des Zusammenlebens, auf das die Stadt neue Zuwanderer gemeinsam verpflichten wolle.