
Hans-Ulrich Sckerl wollte es gut machen und hat sich verheddert – wenn er sich frei macht, kann er es weiter gut machen. Sonst nicht.
Mannheim/Stuttgart/Rhein-Neckar, 05. November 2014. (red/pro) Am heutigen Mittwoch will der Landtag einen NSU-Untersuchungsausschuss einrichten. Turnusmäßig übernimmt die SPD die Leitung. Doch es geht seit Tagen weniger um Inhalte, als um eine Personalie. CDU und FDP schießen aus allen Rohren gegen Hans-Ulrich Sckerl, den designierten Obmann der Grünen. Der will kämpfen, hat aber nicht verstanden, dass er längst verloren hat. Würde er aufgeben, könnte er Profil zurückgewinnen und die Sache stärken. Ob er dazu in der Lage ist?
Von Hardy Prothmann
Ich kenne Hans-Ulrich Sckerl seit gut fünf Jahren. Seit ich wieder Lokaljournalismus mache – vorher habe ich viel über Medien berichtet, investigativ gearbeitet, oft im Ausland. Lokaljournalismus hat einen einzigartigen Reiz – nirgendwo ist man näher an den Menschen. Dabei habe ich „Uli“ schätzen und kennengelernt. Wir duzen uns, aber wir sind keine Freunde. Es hat schon mehrmals „gerappelt“ zwischen uns – aktuell wieder, denn er will meine Kritik an ihm nicht wirklich verstehen.
Denn Hans-Ulrich Sckerl ist politisch ein Kämpfer, der alles gibt, aber aktuell vollständig am Ende seiner Kräfte ist. Und das will er nicht erkennen – oder nicht wahrhaben.
Ich habe im Wahlkreis Weinheim drei Landtagsabgeordnete: Gerhard Kleinböck (SPD), Hans-Ulrich Sckerl (Bündnis90/Die Grünen) und Georg Wacker (CDU). Anfangs hatte ich auch noch eine FDP-Abgeordnete, deren Namen mir aktuell nicht einfällt. Und ich kann zu allen meinen Eindruck äußern. Der mit Abstand engagierteste und fleißigste ist Hans-Ulrich Sckerl. Dafür hat er meinen Respekt. Gerhard Kleinböck ist ein bräsiger Typ, mit dem ich noch nie gut konnte und der auch nicht mit mir gut kann, weil ich „auf SPD ist toll“ nicht stehe. Georg Wacker betrachtet mich mit großem Argwohn, weil meine Berichte nicht gerade förderlich für ihn waren, aber ich respektiere, dass er nicht böse wurde, sondern ansprechbar bleibt.
Subjektive Einschätzung
Merken Sie was? Es geht im Verhältnis zwischen Politik und Medien nicht nur um „knallharte“ Fakten, sondern auch, wie man miteinander umgeht. Deswegen halte ich „objektiven“ Journalismus für eine Farce. Objektiv müssen die Fakten sein – jede Bewertung ist immer subjektiv. Darüber schreibe ich gerade.
Ich habe keine Zweifel, dass Hans-Ulrich Sckerl klar und deutlich gegen Nazis ist. Er will die NPD verbieten lassen und ist da führend engagiert. Am vergangenen Wochenende war er Ordner und demonstrierte mir anderen in Weinheim gegen die NPD. Ich habe aber aufgrund meiner Arbeit große Zweifel, ob ein NPD-Verbot und der ganze Aufwand „zielführend“ sind. Denn ich glaube an die Kraft der politischen Überzeugung und nicht an die des Verbots von anderen. Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen und auch Baden-Württemberg sind besser beraten, sich für die Überzeugung einzusetzen, dass unsere grundgesetzliche Verfassung ein Top-Modell für Demokratie ist, als 5.000 organisierte Nazis zu verbieten. Man kann sie verbieten, man kriegt die Deppen aber dadurch nicht weg. Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die freie Meinung – und damit auch wertfrei die von Dummköpfen.
„Gute“ Grenzen überschritten
In seinem „Kampf“ für das „Gute“ hat Hans-Urlich Sckerl Grenzen überschritten. Er wollte, da bin ich sicher, „positiven“ Einfluss ausüben, indem er auf ein juristisches Gutachten Einfluss genommen hat, dass die Arbeit der Enquete-Kommission zum Nationalsozialistischen Untergrund bestimmt hätte. Das ist nicht verwerflich, sondern eigentlich eine ehrenwerte Haltung.
Nicht ehrenwert ist, wenn man dabei die Spielregeln verletzt. Und das scheint nach Faktenlage der Fall zu sein. Wenn die Informationen der Stuttgarter Nachrichten zutreffend sind, hat Hans-Ulrich Sckerl nicht als demokratischer Aufklärer gehandelt, sondern als Parteisoldat zum Nachteil anderer „Demokraten“. Die dürfen sich „zu Recht“ aufregen, weil sie übergangen worden sind. Egal, ob sie Ahnung und Wille haben, tatsächlich auch inhaltlich mitzuwirken. Sckerls Fehler ist: Er hat „die guten Sitten“ und das „Protokoll“ umgangen. Das macht man nicht, egal, wie verwerflich diese angeblich guten Sitten sein mögen und wie wenig sonst das Protokoll zählt.

Ständig verschränkte Arme – Hans-Ulrich Sckerl ist „zu“. Angeschlagen. Andere Fotos zeigen wir nicht. Ein Befreiungsschlag wäre für ihn vor allem, wenn er sich frei machen könnte.
Das wird noch „verwerflicher“, wenn man andere „Demokraten“ für ihr „Fehlverhalten“ zuvor massiv anklagt. Und das hat der „Kämpfer“ Hans-Ulrich Sckerl zweifellos gegenüber der CDU und insbesondere gegenüber Stefan Mappus (zu Recht) getan. Und natürlich war er moralisch im Recht, auch, wenn er kein Recht bekommen hat. Stefan Mappus, der ehemalige Regierungschef, war ein Hassadeur, einer, den man verachten muss, weil er uns alle, uns Bürger und Demokraten verachtet und sein Spiel spielen wollte. Aber es ist verwerflich, wenn man, und wenn auch nur im Ansatz, „Methoden“ anwendet, die man sonst ablehnt. In untersuchenden Ausschüssen, die Aufklärung bieten sollen, verschafft man sich keinen Vorteil. Punkt.
Hans-Ulrich Sckerl ist für mich als beobachtender Journalist an seiner Absolutheit gescheitert. Sein „Vergehen“ ist eigentlich gering und doch tragisch. Sein Motiv hervorragend. Ich unterstelle: Er wollte „Hilfe“ leisten, wolle vermutlich erreichen, dass die „Enquete“, diese peinliche Verlegensheitslösung einer Aufklärung der NSU-Umtriebe in Baden-Württemberg möglichst viel Einfluss nehmen kann. Insbesondere bei der Frage, wen die Enquete vernehmen kann, diese Enquete, die kein Untersuchungsausschuss ist.
Hans-Ulrich Sckerl ist durch die Hintertür gescheitert
Hans-Ulrich Sckerl wollte durch die Hintertür aus der Enquete einen Untersuchungsausschuss machen. Und daran ist er gescheitert. Das geht so nicht.
Und schon gar nicht geht, dass er in Stuttgart sagt: „Wir konnten den Koalitionsfrieden nicht gefährden.“ Das geht gar nicht. Wer auf einen Koalitionsfrieden achtet zum Nachteil der Aufklärung von Umständen, die dazu führen, dass Menschen kaltblütig aus neonazistischen, menschenfeindlichen Motiven getötet werden, der hat ein Identitätsproblem. Der muss ich entscheiden, zwischen Macht innerhalb einer Koalition und „Kollateralschäden“ oder ehrlicher Haltung, für was man einsteht.
Ich habe Hans-Ulrich Sckerl als ehrlichen Menschen kennengelernt – soweit man das als Politiker sein kann. Ich verstehe die Zwänge der Politik – oft braucht es Kompromisse, die nicht alle eigenen Positionen berücksichtigen können.
Bei der Abwägung der Aufklärung von menschenverachtenden, rassistischen und terroristischen Verbrechen hört für mich aber jegliches Verständnis auf. Hier kann es keine „Abwägung“ geben, sondern nur Aufklärung.
Hans-Ulrich Sckerl hat auch bei der Veranstaltung der Grünen in Stuttgart zur Frage, welche Aufklärung der NSU-Ausschuss leisten kann, erklärt, dass man einen solchen Ausschuss nicht gegen den Koalitionsfrieden mit der SPD habe einberufen können. Und er hat gesagt, dass er nun froh sei, dass die SPD nun bereit sei und man alles für Aufklärung tun würde.
Aufklärung vs. Koalitionsfrieden ist eine absurde Abwägung
Ich bin und bleibe in einer solch wichtigen Angelegenheit auf meinem Standpunkt: Ich erwarte von einem Demokraten, dass er Aufklärung vor Koalitionsfrieden setzt. Und ganz praktisch nicht bei jedem Thema. Aber im Fall des NSU unbedingt. Es war und ist für mich unerträglich, dass die Aufklärung rechtsterroristischer Terrorverbrechen hinter dem Bestreben an der Macht zu bleiben zurücksteht.
Dessen hat sich Hans-Ulrich Sckerl schuldig gemacht. Aber nicht alleine. Sondern auch die Grünen. Und die SPD. Und die CDU und die FDP.
Und als wäre das nicht Schuld genug, werden jetzt parteipolitische Spielchen gespielt. Und Medien machen mit. Die CDU steht nicht für Aufklärung und die FDP schon gar nicht. Politiker wie ein Peter Hauck werden aber instrumentalisiert, um Front gegen Hans-Ulrich Sckerl zu machen und verschiedene Zeitungen sind sich nicht zu schade, den Mist zu drucken. Herr Hauck ist kein Aufklärer, sondern ein Wadenbeißer, der seine Chance wittert, einem, der viel wollte, aber über’s Ziel hinausgeschossen ist, noch nachzusetzen.
Das ist widerlich.
Hans-Ulrich Sckerl schätze ich als engagierten Politiker. Wenn er aber tatsächlich nach seinen Verfehlungen darauf besteht, Obmann im Untersuchungsausschuss zu sein, dann verliert er meinen Respekt. Denn dann muss ich zu dem Schluss kommen, dass das, was man ihm vorwirft, real ist: Hauptsache Macht, ohne Rücksicht auf Verluste.
Es kann gut werden oder alles noch böser kommen
Dann werde ich auch Fragen stellen, was an der „Legende“ dran ist, dass der Enquete-Vorsitzende Halder sich um „juristische“ Expertise bei Sckerl versichern wollte. Dann muss ich fragen, wie kompetent Herr Sckerl als „Jurist“ ist und durch welche „juristischen“ Qualifikationen er sich auszeichnet? Soweit mir bekannt ist, hat er mal Jura und Volkswirtschaft studiert – von einem Abschluss und einer juristischen Praxis habe ich bislang trotz Recherchen keine Kenntnis. Dass heißt nicht, dass er nicht juristisch „Ahnung“ hat – die habe ich auch, aber ich würde niemals behaupten, jemand habe sich bei mir nach einer „Einschätzung“ erkundigt, ohne dass ich dem jemand gesagt hätte, dass ich kein Jurist bin.
Die Entscheidung, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, war schon vor der Enquete-Kommisson als „Kompromiss“ überfällig. Wahre Größe wurde Herr Sckerl zeigen, wenn er sich als Mitglied zurückzieht und damit symbolisch alle anderen zur Vernunft verpflichtet. Es kann nicht um Namen oder Machtspielchen gehen, wenn rechtsradikale Mörder durch Deutschland ziehen, sondern nur um Aufklärung. Herr Sckerl wollte es vermutlich gut, hat aber die Enquete beschädigt. Die anderen haben sich nicht dadurch ausgezeichnet, es gut zu wollen, beschädigen aber mit Lust am Beschädigen, indem sie „Sckerl beenden wollen“.
So gesehen hat Hans-Ulrich Sckerl die großartige Chance, mit seinem Rückzug seinen Fauxpas zu beenden und die anderen zu einem Anfang ohne „Streitigkeiten“ zu verpflichten. In der Abwägung wäre das die bessere Entscheidung – denn mit ihm wird der Streit über ihn die Aufklärung über systemgefährdende Verbrechen massiv behindern. Und das kann nicht sein Interesse sein. Nicht das von anderen „Demokraten“. Und schon gar nicht das von uns allen, die wir an ein „ordentliches System“ glauben.
Ich kenne Hans-Ulrich Sckerl ganz gut und ich weiß, dass er weiß, dass es kein „ordentliches System“ gibt. Sondern nur eins, das man in Ordnung hält. Er sorgt gerade für großen Ärger und es wäre im Sinne des Systems gut, wenn er deeskaliert. Ob einer wie Sckerl diese Größe hat, steht auf einem anderen Blatt. Sein übergeordnetes Interesse zur Aufklärung schwerster Straftaten wäre ein guter Grund.