Rhein-Neckar, 05. Februar 2013. (red/ld) Die Pille davor oder danach, Schwangerschaftsverhütung, Priesterzölibat und Homosexualität sind vor allem für die katholische Kirche Tabuthemen wie auch die Gleichberechtigung von Frauen. Die Spaltung zwischen Kirche und Gesellschaft ist mit dem Skandal in Köln, bei dem gleich zwei katholische Krankenhäuser ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer abgewiesen haben, unübersehbar geworden. Die Kirche erwartet, dass die Menschen ihr folgen wie Schafe zum Scherer. Doch die Menschen sind mittlerweile aufgeklärt und selbstbestimmt und wollen nicht folgen. Sie bocken.
Kommentar: Lydia Dartsch
Die Frage der Selbstbestimmung der Frau ist vielschichtig.
sagte Martin Lohmann am Sonntagabend in der Talkshow von Günther Jauch auf die Frage, ob eine Frau, möglicherweise seiner Tochter, selbst entscheiden dürfe, ob sie ein Kind von ihrem Vergewaltiger bekommen will oder nicht. Unverständnis war in seiner Miene zu lesen, als das Publikum empört aufbegehrte. Denn schließlich habe die Frau in diesem Fall nicht nur über ihr eigenes Leben zu entscheiden, sondern auch über das Leben des Kindes, sagt Lohmann. Davon ist der Theologe und Journalist überzeugt. Lohmann greift die Nordrhein-Westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens an und fragt, wieso sie als Grüne nicht für das Leben ist. Die schlagfertige Antwort erhält donnernden Applaus und erteilt Lohmann eine Lehre:
Als Grüne und als Frau bin ich für das Leben der Frau, die selbst bestimmen will, ob sie von einem Vergewaltiger schwanger werden will oder nicht.
kontert sie. Das Studiopublikum lässt keinen Zweifel, dass diese Antwort das ist, was die Menschen denken. Lohmann lächelt, sagt nichts mehr, sein Fuß wippt nervös.
Fortschritt als Sünde
Dieser Schlagabtausch zeichnet deutlich die Probleme der katholischen Kirche und ihrer Verteidiger: Die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Diese Kirche und immer mehr Menschen, so scheint es, haben sich auseinandergelebt: Auf der einen Seite stehen aufgeklärte, reflektierende Menschen, die ihre Entscheidungen selbst treffen wollen und können. Auf der anderen Seite steht eine Institution, die davon abhängig ist, dass Menschen ihr quasi blind folgen und jeglichen Fortschritt – medizinisch wie gesellschaftlich – ignoriert oder verteufelt.
Als Machtmittel bedient sie sich seit Jahrtausenden einer paternalistischen Instanz, die ihren Gläubigen verspricht, sie nach dem jüngsten Tag zurück ins Paradies zu holen. Alle anderen verbannt sie in die Hölle, in ewige Qualen. Im Leben aber warten auf die Gläubigen und die Ungläubigen Schicksalsschläge, die als Prüfungen verstanden werden sollen: Gläubige werden in ihrer Glaubensfestigkeit geprüft, Ungläubige sollen durch sie zurück zum Glauben finden. Was für ein Sadismus!
Vergewaltigungskind als Glaubensprüfung? Geht’s noch?
So könnte die Kirche eine Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung als Prüfung eines Gottes ansehen, ebenso wie das Schicksal des Kindes, das sein Leben in dem Wissen fristen muss, aus einem so abscheulichen Verbrechen hervorgegangen zu sein. Die Möglichkeiten der Medizin, der Frau dieses Schicksal durch die Notfallverhütung zu ersparen, will die Kirche nicht gutheißen. Das Zerstören von Leben sei Sünde. Die frohe Botschaft an die Frauen lautet: Nimm Dein Schicksal hin, egal welches, leide zur Not und zerbrich daran, aber sei wenigstens eine gute Christin.
Die Kirche zerstört Leben – auch durch das Priesterzölibat. Ursprünglich wurde es erlassen, um die Verbreitung der Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten unter ihren Priestern zu verhindern, die der Kirche im Mittelalter die Prediger dahinraffte. Heute gäbe es dagegen Antibiotika, die die Krankheit heilen und weitgehend eingedämmt haben. Außerdem gibt es sichere Mittel, sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen. Trotzdem bleibt das Zölibat! Viele gläubige Katholiken hält es davon ab, sich zum Priester weihen zu lassen – der Priestermangel ist auch in unserer Region schon deutlich zu spüren. Andere haben heimlich Kinder, die nie zugeben dürfen, wer ihr Vater ist. Sie wachsen auf als Kind der Haushälterin, wissen nicht, wohin sie gehören. Gleichzeitig kann die Familie des Priesters jederzeit bekannt werden und ihm das Priesteramt entzogen werden, also der Arbeitsplatz und die finanzielle Grundlage der Familie.
Wir sind Päpstin
Von Gleichberechtigung will die katholische Kirche auch nichts wissen. Frauen als Priester und in höheren kirchlichen Ämtern sind undenkbar. Warum eigentlich? Frauen sind Bundeskanzlerin, Außenministerin, Vorstände in Wirtschaftsunternehmen. Es gibt mehr Abiturientinnen als Abiturienten und Mädchen schreiben meist bessere Noten als ihre Mitschüler.
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden ebenfalls weiter verteufelt, gar als Krankheit bezeichnet, die geheilt werden könne. Eine skandalöse Behauptung, die durch nichts gestützt wird. Homosexuelle Menschen sind in der Gesellschaft als gleichberechtigte Mitglieder anerkannt. Seit einigen Jahren können sie sich standesamtlich trauen lassen und die Ungleichberechtigung dieser Ehe im Steuerrecht ist nur noch eine Frage der Zeit.
Kirche als Selbstzweck und Machtapparat
Diese rückständige katholische Kirche ist unserer modernen Gesellschaft nicht mehr gewachsen. Sie hat es nicht mehr mit Menschen zu tun, die unhinterfragt ihrer Diktion folgen. Denn sie folgen nicht. Sie treten aus, lassen ihre Kinder nicht mehr taufen. Das System Kirche gibt sich unerschütterlich. Sie fragt nicht nach der Sinnhaftigkeit ihrer Morallehre wie das Verbot der Verhütung, das Priesterzölibat, die Verdammung gleichgeschlechtlicher Liebe oder das heilige Sakrament der Ehe deren Scheidung zum Ausschluss aus der Kirche und zum willkürlichen Verlust des Arbeitsplatz führen kann, sofern die katholische Kirche der Arbeitgeber ist.
Die katholische Kirche ist vielmehr Selbstzweck und Machtapparat. Als Arbeitgeber nutzt sie ihre Machtstellung eiskalt aus. Wer nicht folgt, fliegt. Abweichende Angestellte fliegen nicht direkt in die Hölle, sondern in die Arbeitslosigkeit, was eher dem Fegefeuer gleichkommt. Davor hatte die Ärztin im Kölner Fall Angst. Im Oktober war eine ethische Leitlinie eingegangen, die es den beiden Krankenhäusern verbot, Untersuchungen im Rahmen der anonymen Spurensicherung durchzuführen. In ihrer Verunsicherung wies sie ein Vergewaltigungsopfer ab.
Mummenschanz
Der Skandal war da. Und die katholische Kirche? Die rudert mit den Armen auf dem schmalen Grat zwischen blinder Gläubigkeit und der Erkenntnis, dass sie sich von denen entfremdet hat, die sie führen will: Am vergangenen Donnerstag schließlich lenkte Kardinal Meisner scheinheilig ein. Eine Pille danach sei auch nach dem katholischen Glauben zulässig, sofern sie den Eisprung verhindere, aber nicht die befruchtete Eizelle abstoße. Das klingt hoffnungsvoll und lächerlich zugleich. Denn eine solche Pille ist bisher nicht nachgewiesen. Das ist ein Mummenschanz.