Heidelberg, 04. Juli 2016. (red/hmb) Wenn der Aberglaube zur Realität wird und die Vernunft besiegt: Am Donnerstag feierte „Hexenjagd“ von Arthur Miller Premiere im Theater Heidelberg – nicht alle Besucher zeigten sich begeistert, einige sogar deutlich enttäuscht. Eine Inszenierung voller Stärken und Schwächen.
Von Hannah-Marie Beck
Im puritanischen Salem des 17. Jahrhunderts geht der Teufel um. Das ist die einzig logische Erklärung für den Zustand einiger Mädchen, die Pfarrer Parris (Andreas Uhse) tanzend im Wald entdeckte. Eine von ihnen trank Blut. Eine andere soll sogar nackt gewesen sein.

„Wenn der Teufel wirklich in ihr ist, werdet ihr Zeuge schrecklicher Wunder sein“, warnt Teufelsexperte und Pfarrer John Hale. Foto: Annemone Taake
Parris ruft einen Teufelsexperten zu Hilfe, den Pfarrer Hale (Dominik Lindhorst-Apfelthaler). Weihwasser wird verspritzt. Mit einem Kreuz in der Hand geht er langsam auf eines der Mädchen zu.
Wenn der Teufel wirklich in ihr ist, werdet ihr Zeuge schrecklicher Wunder sein,
warnt er. Doch erstmal passiert nichts. Dann ergreifen die Mädchen, unter Anführung von Abigail Williams (Nanette Waidmann), die Gunst der Stunde, um der Strafe für Hexerei zu entgehen: Sie „gestehen“.
Doch wollen sie den Teufel nicht beschworen haben, sondern von ihm befallen worden sein. Damit werden die Mädchen von Tätern zu allmächtigen Opfern – von nun an sind sie die einzigen, die wissen können, wer alles mit dem Teufel verkehrt.
Hysterisch kreischend Kinder
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht zählt Abigail eine lange Liste von Namen auf: Zahlreiche Einwohner Salems, die sie angeblich mit dem Teufel gesehen hat.

Abigail sah viele Menschen mit dem Teufel. Auf ihr Wort hin müssen sie sterben. Foto: Annemone Taake
Damit beginnt das Misstrauen der Bürger untereinander – auf einmal ist jeder verdächtig. Die Jagd ist eröffnet. Einer nach dem anderen wird in den Kerker geworfen und gehängt.
Ein paar hysterisch kreischende Kinder bestimmen jetzt den Lauf der Dinge,
meint ein Bewohner, John Proctor (Hendrik Richter), verzweifelt. Er hatte eine Affäre mit Abigail und kehrte dann zu seiner Ehefrau zurück. Diese wird das nun das Leben kosten – denn Abigail will Proctor für sich. Welch ein Zufall, dass sie seine Frau mit dem Teufel sah.
Als Zuschauer beginnt man bald, Abigail zu hassen. Bei all den irrsinnigen Lügen und wilden Theorien möchte man die Figuren auf der Bühne am liebsten wachrütteln und zum Handeln bewegen.
Bald beginnen die ersten Bewohner Salems, an der Geschichte der Mädchen zu zweifeln. Doch keiner traut sich zu widersprechen – keiner wagt es, seinen Irrtum einzugestehen. Schließlich steht man dann sofort in der Gefahr, selbst auf die Abschussliste der Kinder zu geraten. Außerdem müsste man sich eingestehen, dass zahlreiche Menschen vollkommen sinnlos erhängt wurden.
Hohe Erwartungen
Viele Stunden Arbeit und Herzblut stecken in der Aufführung, das ist klar ersichtlich. Doch nicht immer kommt rauschende Begeisterung unter den Zuschauern auf. Im Gegenteil. Bei der Premiere am Donnerstag zeigten sich einige Besucher reichlich enttäuscht. Nach der Pause blieb manch ein Platz leer.
Die Kritik mancher fällt hart aus – ein paar lästern: In der Inszenierung der freien Regisseurin, Isabel Osthues, würden die meisten Figuren zu einfältig, beinahe schon dümmlich wirken. Der Zwiespalt, der in den Menschen vorgehen muss, sei kaum zu erkennen. Enttäuscht meint ein Gast zu seiner Begleitung:
Das ist wirklich schade, denn so ist die Vorlage überhaupt nicht. Da gibt es bessere Schultheater-Inszenierungen.
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An den Klassiker von Arthur Miller werden offensichtlich hohe Erwartungen gestellt. Das Stück basiert auf historischen Ereignissen, die schon zu seiner Zeit über 250 Jahre zurücklagen. Doch das Thema ist weiter brandaktuell: Gruppenzwang und Sündenböcke. Das Verhalten der Menschen im Salem des 17. Jahrhunderts war kaum anders, als das vieler, die noch heute von Angst angetrieben werden.
Stärken wie Schwächen
Schade, dass die Inszenierungen viele Besucher nicht begeistern konnte. Aus Sicht der Redaktion wurde nämlich auch viel richtig gemacht, sodass die teils harte Kritik mancher Zuschauer stellenweise sehr überzogen wirkt. Das Stück hat genauso Stärken wie Schwächen.
Eindrucksvoll und symbolträchtig ist das Bühnenbild aus langen, schwarzen Regalfächern, die schief nach oben ragen. Großartige schauspielerische Leistungen gibt es bei der langen Liste der Beteiligten jede Menge zu sehen – besonders überzeugend: Andreas Uhse (Reverrend Parris).
Besonders wirkungsvoll sind die zahlreichen chorischen Elemente. Wenn die Mädchen in ihrem Lügen-Spiel kreischend und jammernd zu einer Gruppe verschmelzen.

Mary will die Lügen eingestehen. Sie hat sich auf Proctors Seite geschlagen und will seine Frau retten. Sofort klagen sie die anderen Mädchen an, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Foto: Annemone Taake
Tatsächlich wirken einige Gestalten der Aufführung unfassbar leichtgläubig und schockierend naiv – diese Darstellung ist wohl aber bewusst gewählt: Denn so schwierig es auch sein mag, sich das einzugestehen: Auch in der realen Welt, die im Theater künstlerisch widergespiegelt wird, gibt es unzählige Beispiele für aufgebrachte Bürger, die mit einer regelrecht entsetzlichen Einfalt vermeintlich offensichtliche Ungereimtheiten in Propaganda übersehen und ohne jegliches Hinterfragen Diffamierungen gegen andere verbreiten und unterstützen.
Applaus gibt es lange. Aufstehen oder jubeln will dennoch keiner.
Vor der Spielzeitpause findet nur noch eine Aufführung des Stückes statt: Am Montag, den 11. Juli um 19:30 Uhr.