Weinheim/Rhein-Neckar, 03. April 2020. (red/pro) Die Große Kreisstadt Weinheim ist mit Abstand die größte Kommune (45.000 Einwohner) im Rhein-Neckar-Kreis (54 Gemeinden). Wie alle Gemeinden trifft die Corona-Krise die Kommune hart – möglicherweise werden die Steuerausfälle rund 30 Prozent betragen. Oberbürgermeister Manuel Just ist trotzdem zuversichtlich, die Krise überstehen zu können, auch, wenn dies ohne Hilfen durch Land und Bund kaum möglich sein wird.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Oberbürgermeister Just, ab welchem Tag wurde Ihnen bewusst, dass die Lage nun sehr ernst werden würde?
Manuel Just: Ich habe am 12. März das erste große Interview zum Thema Corona gegeben, dies passierte angesichts der ersten drastischen Maßnahmen in der Stadt, und ich weiß noch, dass damals der Abbruch der Fußball-Bundesligasaison und das vorzeitige Ende der Eishockey-Saison für viele Menschen wie ein böses Erwachen war. Jetzt muss es wirklich ernst sein. Dieser Eindruck war leider richtig, wie man heute weiß.
Welche verwaltungsinternen Maßnahmen haben Sie dann zunächst veranlasst und welche wurden weiter absolut notwendig?
Manuel Just: Wenn man sich dieses Interview heute, rund Wochen später, durchliest, erkennt man schnell, welche wahnsinnige Dynamik sich entwickelt hat. Am 12. März habe ich erstmals einen Krisenstab einberufen. Ich habe damals noch davon gesprochen, dass wir empfehlen, Veranstaltungen mit weniger als 1.000 Menschen abzusagen. Empfehlen! Wenn wir uns anschauen, was danach über uns hereingebrochen ist, war das ganz schnell Makulatur. Wir haben dann, beginnend mit dem 13. März, verwaltungsintern jeden Tag, manchmal zweimal täglich, immer neue Maßnahmen getroffen: Veranstaltungsverbot, Schließung der öffentlichen Einrichtungen, dann das Schließen der Schulen und Kitas, faktisch sogar einen Tag vor dem Land. In diesen Tagen waren wir mit anderen Kommunen im Kreis phasenweise Bund und Land mit unseren Maßnahmen voraus.
Hat die Stadt Weinheim einen Notfallplan für Epidemien?
Manuel Just: Das Gesundheitsamt hat solche Pläne, und das ist auch richtig so. Dort gehören sie hin, das ist die richtige Fachbehörde. Wir haben die ganze Krise hindurch eine sehr gute Verbindung zum Kreis und seinem Gesundheitsamt. Weinheim hat aber natürlich ein Krisenmanagement mit einem Krisenstab als Fachgremium, in dem auch externe Berater, Mediziner, Polizei, Feuerwehr und so weiter vertreten sind. Dieser Krisenstab hat meines Erachtens die richtige Größe und mit Dr. Torsten Fetzner und mir an der Spitze auch eine effiziente Entscheidungskompetenz.
Wenn ja: Von wann stammt dieser? War dieser bislang hilfreich oder mussten Sie feststellen, dass viele Dinge nicht “nach Plan” laufen?
Manuel Just: Das wäre schön, wenn man eine Pandemie-Krise planen könnte! Leider gibt es jedoch keine Blaupause. Der Krisenplan stammt im Wesentlichen aus der Feder der Feuerwehr und der Polizei, weil er ja vor allem auf Katastrophen ausgelegt ist. Dort sitzt die Kompetenz. Aber er lässt sich gut auf die aktuelle Krisensituation anwenden. Der Krisenstab ist außerordentlich wichtig, auch durch den Expertenblick von außen, der immer wieder einen Perspektivwechsel ermöglicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass bislang schwerwiegende Fehler passiert sind. Aber ein Agieren im Krisenmodus ist natürlich dennoch immer mit heißer Nadel gestrickt.
Wie beurteilen Sie den Austausch mit Ihren Kollegen im Sprengel?
Manuel Just: Der war vorher gut und hat sich in der Krise intensiviert. Auch wenn auch wir andere Wege der Kommunikation finden müssen. Aktuell läuft dies mindestens einmal die Woche über eine Telefonkonferenz. Darüber hinaus stehen wir natürlich permanent in E-Mail-Kontakt.
Teils gibt es unterschiedliche Regeln in den Gemeinden, siehe Kinderbetreuung, wie beurteilen Sie das?
Manuel Just: Im Gegenteil, es ist gelungen, insbesondere in den wichtigsten Lebensbereichen – und dazu zähle ich gerade die Kinderbetreuung – überwiegend dieselben Regel anzuwenden, und das ist auch gut so. Es ist nicht die Zeit für einen Wettbewerb unter Kommunen. Sowohl bei der vorübergehenden Aussetzung der Gebühren als auch bei der Frage einer frühzeitigen finalen Entscheidung, sind die Kommunen gemeinsam marschiert. Das Land hat wenig später entsprechend reagiert, also kann die Marschrichtung nicht so falsch gewesen sein.
Teils planen Kommunen eigene Hilfspakete, wenn die Hilfen von Bund und Ländern nicht greifen sollten – kann sich Weinheim das auch leisten?
Manuel Just: Das würde ich stark bezweifeln. Wir wissen heute schon, dass auch die Kommunen zu den wirtschaftlichen Opfern dieser Krise gehören werden. Wir brauchen selbst Hilfspakete! Aber in unserem Rahmen werden wir helfen, und wir haben das ja auch schnell getan. Wir haben uns schnell entschieden, den Mietern unserer Gewerbeimmobilien und den Kultureinrichtungen die Miete zu erlassen. Das war eine ganz konkrete Hilfe. Wir unterstützen die Einzelhändler mit Räumlichkeiten und unserer Kommunikation, ebenso die vielen ehrenamtlichen Helfer in den Netzwerken. Außerdem: Obwohl wir auch für uns selbst die wirtschaftlichen Folgen nicht abschätzen können, ziehen wir – soweit die Firmen weiterarbeiten – alle laufenden und vertretbaren Baumaßnahmen durch. Das ist Wirtschaftsförderung pur.
Können Sie schon vorsichtig einschätzen, welche Dimension einerseits zu erwartende Steuerausfälle und andererseits krisenbedingte Kosten ausmachen werden?
Manuel Just: Das ist ganz schwer zu sagen. Von den kommunalen Spitzenverbänden habe ich gehört, dass man von Rückgängen der kommunalen Steuern von rund 30 Prozent ausgeht. Ich denke, diese Prognose könnte hinkommen. Aber heute kann dies sicherlich noch niemand seriös abschätzen. Nicht zuletzt auch deshalb, da der Schaden in starker Abhängigkeit steht wie lange die Krise anhalten wird.
Liegen Ihnen bereits Zahlen zu Konkursanmeldungen und Geschäftsschließungen vor? Welche Branchen sind vor allem betroffen?
Manuel Just: Nein, aber das wird in den nächsten Wochen kommen. Das Land hat ja mit seinem Rettungsschirm gut reagiert, und unser Staat erweist sich auch jetzt wieder als relativ gut gewappnet. Die Kurzarbeit hält viele Betriebe für eine Übergangszeit über Wasser. Natürlich sind die Branchen besonders betroffen, die diese Krise zuerst und besonders heftig zu spüren bekommen haben: Gastronomie, Hotellerie und – teilweise – der Einzelhandel. Und das sind die Branchen, die wir nach der Krise dringend brauchen, um das wieder zu Leben zu erwecken, was eine lebendige Stadt ausmacht.
Aktuell wurde das Kontaktverbot bis einschließlich 19. April verlängert. Glauben Sie, dass es dann eine Lockerung geben wird?
Manuel Just: Ich hoffe, dass sich die Pandemie bis dahin in ihren Auswirkungen noch besser abschätzen lässt. Und ich hoffe, dass eine Lockerung möglich sein wird. Die nächsten Wochen bis zum 19. April werden es weisen. Die Gesundheit der Menschen muss oberste Priorität haben.
Sollte es keine Lockerung geben – welche Folgen erwarten Sie?
Manuel Just: Ganz klar, je länger diese drastischen Einschränkungen bleiben, desto schlimmer werden die wirtschaftlichen Schäden. Es gibt Betriebe, die halten so vielleicht vier oder sechs Wochen durch, aber nicht länger! Und die zwischenmenschliche Situation in den Familien wird viel schwieriger. Wir bieten jetzt schon durch Schulsozialarbeit und Stadtjugendring Telefonsprechstunden für Familien an. Wir müssen da sehr wachsam sein. In solchen Situationen muss sich eine Stadt als kommunale Verantwortungsgemeinschaft beweisen. Ich bin sehr froh, dass wir dafür hier in Weinheim eine gute Basis gelegt haben.
Unterstützt das Land genug mit der Übernahme der Betreuungsgebühren oder erwarten Sie weitere Hilfen?
Manuel Just: Es ist für mich ganz klar, dass Bund und Land den Kommunen bei der Bewältigung der Krise vor Ort finanziell helfen müssen. Das können wir nicht alleine. Aber aus der Finanzkrise 2008 und den nachfolgenden Jahren haben wir ja durchaus gute Erfahrungen. Wir sind nicht alleine.
Gemeinsam mit anderen Bürgermeistern im Sprengel haben Sie aufgerufen, die Bauern als Erntehelfer zu unterstützen. Gibt es konkrete Zahlen, wie viele Personen in Weinheim/Sprengel sich angeboten haben?
Manuel Just: Nein, solche Zahlen führen wir nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass die Botschaft angekommen ist. Auch in dem Sinne, dass wir es ein stückweit selbst in der Hand haben, ob zumindest in Teilbereichen regionale Versorgung funktioniert. Vielleicht ist das auch eine Chance in der Krise.
Wie werden, sofern die Maßnahmen noch länger andauern, die Sitzungen des Gemeinderats organisiert werden?
Manuel Just: Zunächst möchte ich meinen großen Dank und Respekt gegenüber dem Gemeinderat der Stadt Weinheim ausdrücken. Dr. Torsten Fetzner und ich hatten zu jeder Zeit das Gefühl, den Gemeinderat solidarisch hinter uns zu haben – auch wenn es manchmal spontane Entscheidungen zu treffen galt. Das hat uns durchaus Sicherheit gegeben. Ich weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Bis zur nächsten Sichtmarke 19. April können wir so arbeiten, da stehen keine unaufschiebbaren Beschlüsse an, danach müssen wir aber über andere Formate nachdenken. Da gibt es Ideen und Lösungen. Aktuell gehe ich von einer Sitzung Ende April oder Anfang Mai aus. Sofern sich dies bewahrheitet, gehe ich davon aus, dass die Sitzung so wie wir es schon ganz am Anfang der Krise kommuniziert hatten, in der Stadthalle oder dem Rolf-Engelbrecht-Haus stattfinden wird. Parallel dazu können wir – wie andere auch – Beschlüsse einfacher Art über das Umlaufverfahren erwirken.
Welche Entscheidungen müssen dringend in der nächsten Zeit getroffen werden, welche kann man aufschieben?
Manuel Just: Vieles ist angestoßen, erfreulicherweise, und läuft. Wir haben gut vorgearbeitet. An der Stelle zahlt es sich aus, dass wir in den vergangenen Monaten sportlich unterwegs waren. Mit Blick in die Zukunft wird es im Wesentlichen Beschlüsse im Zuge von Bauleitplanungen geben müssen. Auch bei Vergaben, zum Beispiel im Neubaugebiet Allmendäcker werden langsam Beschlüsse erforderlich. Im Mai muss es kommunalpolitisch schon irgendwie weitergehen, sonst geraten tatsächlich Projekte ins längerfristige Stocken, wovon ich aktuell noch nicht in größerem Maße ausgehe.
Hinweis: Das Interview wurde schriftlich über email geführt.
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