Rhein-Neckar, 08. Mai 2016. (red) Der Islam gehört zu Deutschland – die Aussage ist durch den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff bekannt geworden. Andere schlossen sich der Aussage an. Die AfD sagt hingegen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Wer hat Recht? Beide – und das ist das Problem.
Von Hardy Prothmann
Irgendwie grüßt mich seit geraumer Zeit täglich das Murmeltier. 1991, als Student und freier Mitarbeiter des Mannheimer Morgen habe ich Dutzende Texte zum Thema Integration verfasst. Sprachkurse, interreligiöser Dialog, Moscheenbau, Parallelgesellschaften und so weiter.
25 Jahre später scheint es mir manchmal, als sei man keinen Schritt vorangekommen. Ganz sicher ist man vorangekommen – organisatorisch. Aber auch in den Köpfen?
Es gibt ihn nicht, “den Islam”
In der gestrigen Sendung “Anne Will” war das gut auszumachen. Innenminister Thomas de Maizière gefällt der Satz “Der Islam gehört zu Deutschland” nicht, weil er zu undifferenziert sei, für ihn gehört die Religionsfreiheit zu Deutschland. Da hat er nicht nur Recht – so ist das auch grundgesetzlich gesichert.
Kann man überhaupt vom Islam reden, wenn man vom Islam redet? Es gibt dutzende von Strömungen muslimischer Glaubensgemeinschaften. Soviel ist klar: Es gibt ihn nicht, “den Islam”.
Gläubige und Ketzer
74 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime gehören zur Glaubensgemeinschaft der Sunniten. Die andere große Gruppe, die Schiiten, sind wiederum in vier große Strömungen unterteilt. Sunniten und Shiiten kommen nur bedingt miteinander zurecht – realistischer ausgedrückt: Sie bekämpfen sich seit Jahrhunderten.
Die Sunniten sind weltweit in der absoluten Mehrheit, nur in wenigen Ländern wie Iran, der Irak und Bahrain sind es die Shiiten. Die besonders konservative Strömung der Sunniten ist der Wahhabismus oder Salafismus. Deren Anhänger betrachten Schiiten als Ketzer – Ungläubige.
Der Islam – das sind auch weltweit massive Konflikte
Wenn jemand sagt: Der Islam gehört zu Deutschland, dann müsste der Satz weitergehen mit: “und alle damit verbundenen Konflikte.” Wollen wir das in Deutschland? Weltweit bekämpfen sich Anhänger unterschiedlicher Islam-Gruppen. Wie kann der Islam zu Deutschland gehören, wenn seine verschiedenen Strömungen je nach Blickwinkel nicht dazu gehören?
Wollen wir diese Konflikte im Sinne der Religionsfreiheit in Deutschland? Ganz sicher nicht. Wir wollen ein friedliches Miteinander. Doch können christliche oder atheistische Ungläubige tatsächlich richten, was die Muslime mit sich nicht selbst aushandeln können? Wer das glaubt, hat zumindest sehr viel Zuversicht.
Wer die Sorge einer “Islamisierung” ernst nimmt, dem ist nicht zu helfen
Wer die “Islamisierung des Abendlands” fürchtet, dem ist nicht zu helfen. Debatte zwecklos. Die Muslime sind im “Abendland” derart in der Unterzahl, dass man diese Sorge nun wirklich nicht als ernsthaftes Problem diskutieren muss – das ist Zeitverschwendung.
Aber: Die Zahl der Muslime ist derart groß, dass nicht die Religion allein, sehr wohl aber die Sozialisation in der Gesellschaft teils für ernsthafte Probleme sorgt. Muslime, die nicht einfach nur glauben und religiöse Traditionen vollziehen, sondern den Islam und die Sharia als Lebensführung betrachten, geraten unweigerlich in Konflikte mit unserer abendländischen Welt.
Islam – ein Integrationshemmnis?
Was soll, kann, muss die deutsche Gesellschaft von diesen Menschen erwarten? Welche Pflichten kann man einfordern, ohne zu diskriminieren? Wie geht man mit dem strukturell vorhandenen Antisemitismus insbesondere bei Araber um – und zwar sowohl bei muslimischen wie christlichen Arabern? Und was ist mit der ebenfalls ganz überwiegend verbreiteten Homophobie? Was mit dem muslimischen Rassismus untereinander? Was mit den Unversöhnlichkeiten, die sich in Kriegs- und Krisengebieten herausbilden?
Was genau bringen Einwanderer in die deutsche Gesellschaft ein? Wollen wir wie früher Gastarbeiter oder Menschen, die sich im Idealfall einbürgern lassen und damit Deutsche werden? Ist die geforderte Residenzpflicht eine Beschränkung dieser Menschen oder nicht eher eine sinnvolle Prävention, um Ghetto-Bildungen zu verhindern? Lassen sich nicht-muslimische Zuwanderer aus beispielsweise arabischen Ländern einfacher integrieren als Muslime? Der Migrationsforscher Ruud Koppman hatte bei “Anne Will”gesagt hat, dass Muslime europaweiter schlechter integriert seien als Nicht-Muslime – was muss man tun, damit sich dies ändert?
Was fehlt, ist Ehrlichkeit
Wie führt man die Debatte undogmatisch? Wie tolerant wollen wir wirklich sein? Akzeptieren wir die für uns nicht akzeptable Rolle der Frauen, die insbesondere konservative Gruppen von Muslimen diesen zuweisen?
Und klar – man kann sich die AfD als Feindbild wunderbar aufbauen. Die AfD als “rückständige Truppe von Rassisten” vs. die “demokratisch Guten”, die stolz auf …, ja was eigentlich verweisen können?
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Was der Debatte um Muslime, den Islam, Integration und so weiter fehlt, ist Ehrlichkeit. Und klare Standpunkte. Sowie die Feststellung, dass die Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte nicht gescheitert ist – sie ist aber weit davon entfernt als “gelungen” bezeichnet werden zu können. Der rasante Aufstieg der AfD zeigt, dass es innerhalb der Bevölkerung viele Vorbehalte gibt und diese nicht nur auf Rassismus begründet sind.
Die AfD wird mehrheitlich abgelehnt und bestimmt doch die Debatte
Unsere Leser wissen, dass wir allen Parteien kritisch gegenüberstehen – mit positiver und negativer Bewertung. Und es lohnt sich meist, mal die Perspektive zu wechseln, um einen neuen Blick zu erhalten. Die AfD mag von vielen abgelehnt werden – aber die neue Partei zwingt alle anderen zur Debatte.
Und da hierbei viele Schwachstellen aufgezeigt werden, erfüllt die neue rechtskonservative Partei eine wesentliche demokratische Aufgabe. Ob einem das nun gefällt oder nicht – versuchen Sie es mal so zu betrachten.
Rückständigkeiten abschaffen – bei allen Religionen
Wirklich souverän wäre die Debatte, wenn man sich neben der Rolle des “Islam” in der Gesellschaft auch der der christlichen Kirchen in der Gesellschaft widmen würde und diese strikter und klarer vom politischen Alltag trennen würde. Der Zölibat beispielsweise ist mindestens so rückständig wie die Beschneidung aus “religiösen” Gründen.
Und bei der Debatte um den “Ruf des Muezzin”, den ich persönlich nicht will, sollte man darüber nachdenken, ob man die Lärmbelästigung von Kirchenglocken nicht auch drastisch einschränkt. Kein Mensch folgt dem “Glockenruf” zum Gebet in die Kirche – es ist und bleibt nur eine laute, archaische Machtdemonstration – wir wissen wovon wir reden, weil die Redaktion zwischen einer katholischen und einer evangelischen Kirche liegt und deren Glocken grüßen ähnlich wie das Murmeltier gleich mehrmals am Tag.
Anm. d. Red.: Unsere Kolumne Montagsgedanken greift außerhalb des Terminkalenders Themen auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Gesellschaft oder Regionales oder Verkehr. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden…
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