Edingen-Neckarhausen, 09. Mai 2016. (red/nh) In jeder Stadt und in jedem Dorf gibt es ein Rathaus. Warum das so ist? Das Rathaus gehört seit je her zu den wichtigsten Orten einer Stadt. Es repräsentiert die Politik ebenso wie die Gemeinde, es schafft Identität und ist unentbehrliche Anlaufstelle für die Bürger. Wir begeben uns auf Spurensuche und nehmen die Rathäuser der Rhein-Neckar-Region in einer Serie unter die Lupe. Ein von außen eher unauffälliges Gebäude, doch von innen eröffnen sich grandiose Ausblicke auf die umgebende Kulturlandschaft. Das Rathaus in Edingen-Nackarhausen setzt zudem Zeichen für klimabewusste Architektur.
Von Naemi Hencke
Rathäuser sind als Institution seit dem zwölften Jahrhundert nicht mehr aus Städten und Dörfern wegzudenken. Hier werden seitdem überwiegend alle wichtigen wirtschaftlichen Belange einer Gemeinde geregelt.
Es ist Sinnbild für das politische Geschehen und bedeutend als Identitätsstifter der bürgerliche Gemeinde. Es ist die zentrale Anlaufstelle einer Stadt.
Anfangs wurden Zweckbauten wie Tuchhallen, Markthallen und Wohnhäuser zu Rathäusern umfunktioniert; oft am Marktplatz und in der Nähe der Kirche gelegen.
Im Laufe der Zeit wuchsen die Gemeinden beständig und damit auch die Aufgaben des Rates: Viele Städte entschieden sich gegen einen Neubau – wahrscheinlich auch wegen der Kosten – und bauten nach und nach an und um.
Die Geschichte der – damals noch eigenen – Gemeinden Edingen und Neckarhausen ist wie viele andere der Region geprägt von Zerstörung und Wiederaufbau.
Zerstörung und Wiederaufbau
Während des Orléansschen Krieges 1689 wurden auch die Gemeinden Edingen und Neckarhausen niedergebrannt. Es heißt, in Edingen sollen – bis auf vier Ausnahmen – alle einheimischen Familien obdachlos geworden sein.
Auch danach, in den Jahren 1704 und 1746 zogen Kriegstruppen durch Edingen und Neckarhausen und 1793 lagen die beiden Gemeinden erneut in Schutt und Asche. Es folgte die Badische Revolution und die beiden Weltkriege, die ebenfalls schwere Spuren hinterließen.

Modell des Edinger Rathauses um 1867.
50 Jahre Tauziehen für ein neues Rathaus
Das alte Edinger Rathaus aus dem frühen 18. Jahrhundert war über fünfzig Jahre Grund für viele – und offenbar sehr zähe – Briefkonversationen zwischen dem Edinger Ortsvorstand und dem Bezirksamt Schwetzingen.
Das Rathaus habe sich schon 1816 in einem „bedenklichen“ Zustand befunden. Der Ortsvorstand bat das Bezirksamt immer wieder „gehorsamst und hochgefälligst“, dass die „Reparation an dem Rathaus balden vorgenommen werde, ansonsten man zu befürchten habe, daß das Dach an dem Rathause einfalle“.
Ende 1856 warf man hoffnungsvoll ein Auge auf das Haus des Edinger Bürgers Valentin Herolds – der aber wünschte, in seinem Haus zu sterben. Und so wurde geduldig der Tod von Herold abgewartet. Nach einem Kaufpreis-Hin-und-Her in Verhandlungen mit der Witwe, konnte der Ortsvorstand 1867 schlussendlich die Hofreite des verstorbenen Herold erwerben.
Nun endlich konnten Pläne für ein neues Rathaus erdacht werden. „Die Eintheilung ist practisch und das Gebäude erhebt sich architectonisch über das Niveau derartiger Gemeindegebäude“, heißt es in einer Beurteilung des geplanten Rathausgebäudes seitens des Bezirksamtes.
Das alte Gebäude wurde zum Großteil abgerissen, „was sehr ersprießlich war, da dieses in die Ortsstraße vorspringende Gebäude in seiner Verwahrlosung einen üblen Eindruck machte. Lediglich den dem Friedhof zu gelegenen Gebäudeteil ließ man stehen, um darin eine Leichenhalle samt Sectionszimmer einzurichten, was zweckmäßig erscheint“.

Südwestfassade und Haupteingang

Von dem ehemaligen 50er-Rathausbau und dem Flachdach ist heute nicht mehr viel zu erkennen.

Solarpaneele an der Südwestseite des Rathauses liefern klimafreundlichen Strom.

Im Eingangsbereich macht eine Phovoltaik-Messanzeige sichtbar, wieviel Strom erzeugt wird.
50er-Flachdach-Rathaus
Nach dem zweiten Weltkrieg, im Jahr 1955, wurde im Gemeinderat unter der Leitung des damaligen Bürgermeisters Georg Sauer nachgedacht, ein neues Rathaus zu bauen. Doch erst 1960 konnte mit dem Neubau begonnen werden.
Die Entwurfsplanung und Bauleitung wurde dem Edinger Architekten Fritz Fey übertragen – 650.000 Deutsche Mark waren für das Bauprojekt eingeplant. In einer Schrift, die im Grundstein hinterlegt wurde, soll es geheißen haben:
“Die Bauzeit des Rathauses fällt in das beginnende Atomzeitalter, die Weltraumfahrt ist keine Utopie mehr. Das Arbeitstempo und die Wirtschaft werden von der fortschreitenden Automation bestimmt. Der Grundstein für den Neubau des Rathauses wurde in der Hoffnung gelegt, dass das neue Gebäude künftigen Generationen dienen und ein Markstein in der Weiterentwicklung der Gemeinde Edingen darstellen möge”.
Dann, im Jahr 1975, wurden Edingen und Neckarhausen zu einer Großgemeinde zusammengeschlossen – nicht ohne Skepsis, nicht ohne Protest. Doch das ist eine andere Geschichte.
Zwei Jahrzehnte später traten Mängel und Schäden am Rathaus auf und es musste dringend über die Zukunft des Rathauses nachgedacht werden – Abriss? Neubau? Sanierung?

Der gesamte Eingangsbereich ist hell und lichtdurchflutet – auf dem Weg in das dritte Obergeschoss ergeben sich phänomenale Aussichten und Perspektiven.

Von innen kann man den Naturraum nahezu direkt erleben. Man blickt auf die Odenwälder Berge und den Neckar.

Eingang zum Bürgersaal.

Ausblick auf die Odenwälder Berge.
Neues Antlitz
Die Gemeinde entschied sich letztlich für den groben Erhalt des Gebäudes und eine Sanierung und Umgestaltung durch den Diplom Ingenieur Prof. Lothar Götz, Joest, Walther und Partner Architekten.
“Sämtliche Bauleistungen mussten öffentlich ausgeschrieben werden, ein Vorteil für den gewünschten Wettbewerb, gleichzeitig ein Problem für die örtliche Ausführung bei Firmen außerhalb der Region. Von insgesamt 38 beteiligten Firmen kamen fünf aus Edingen-Neckarhausen und elf Firmen aus der näheren Region“, heißt es in der Broschüre zum Edinger Rathaus.
Ende 2002 konnte endlich mit den Baumaßnahmen begonnen werden.
Das Flachdach des bestehenden Rathauses wurde durch ein geneigtes Dach erweitert: Im Dachgeschoss befindet sich seitdem der Bürgersaal, in dem auch der Gemeinderat tagt. Doch vor allem soll er den Bürger/innen offenstehen und leicht zugänglich sein.
„Der neue Bürgersaal im Dachgeschoss wurde einfach und klar gestaltet, damit der emotionale Zugang der Bevölkerung zu ihrem Bürgersaal erleichtert wird, statt durch übertriebene und auffällige Gestaltung eine Schwelle aufzubauen“,
erläutern die Architekten ihren Gestaltungswillen.
-Anzeige- |
An der Südwestfassade – die gleichzeitig auch Haupteingang ist – setzen zahlreiche Solarpaneele ein „Zeichen für Umwelt- und Klimaschutz“.
Auch an zusätzliche Büro-, Sitzungs- und Personalräume wurde bei dem Umbau gedacht.

Seit Januar Bürgermeister von Edingen-Neckarhausen: Simon Michler.
Zwei Fragen an Bürgermeister Simon Michler
Herr Michler, wie sehen Sie die Gemeinde durch das Rathausgebäude repräsentiert?
Es könnte besser nicht sein, es liegt sehr zentral. An dem neuen Rathaus ist der Ausblick sehr besonders: Man erlebt das Schauspiel der Jahreszeiten nahezu am eigenen Leib – obwohl man im Rathaus ist. Doch auch das sanierte Schloss Neckarhausen hat einiges zu bieten. Hier ist vor allem der Bürgerservice und das Standesamt untergebracht.
Was schätzen Sie, Herr Michler, besonders daran, Bürgermeister zu sein?
Vor allem die Gestaltungsmöglichkeiten und die Vielfalt des Berufs schätze ich sehr. Ich habe mit Unternehmen, Vereinen und Bürgern gleichermaßen zu tun. Ich bin erst seit etwa vier Monaten Bürgermeister von Edingen-Neckarhausen, aber ich fühle mich schon jetzt sehr gut angekommen. Bürgermeister zu werden, war schon immer mein Wunschberuf.
Im Schloss Neckarhausen befindet sich unter anderem das Standesamt sowie weitere Teile der Gemeindeverwaltung. Zu Schlössern der Region ist eine eine gesonderte Reihe geplant.

Das Rathaus in Edingen-Neckarhausen hat seinen Platz nicht – wie viele andere – im Zentrum der Gemeinde, sondern direkt am Neckar. Über die barrierefreie Rampe und eine „Kurzschlusstreppe“ kann jeder man die Wasserfront problemlos erreichen.

Die arenaartig angelegten Sitz-Stufen werden gerne für Pausen genutzt werden. Radfahrer und Spaziergänger machen hier ebenso Station wie die Bevölkerung.

Der verglaste Lichtschsacht von aussen.
Anm.d.Red.: Dieser Beitrag widmet sich der Geschichte des Rathauses im Ortsteil Edingen – auch ehemalige Rathaus und Schloss von Neckarhausen erzählt eine spannende Geschichte, von der wir in einem anderen Artikel erzählen wollen.
Jedes Bauwerk erzählt seine eigene Geschichte, voller bemerkenswerter Wendungen und spannender Details. Darum porträtieren wir in lockerer Folge die Rathäuser der Region, die für jeden Ort identitätsstiftend sind.
Gefallen Ihnen unsere Artikel?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und wir freuen uns über Ihre finanzielle Unterstützung als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für informativen, hintergründigen Journalismus. Hier geht es zum Förderkreis. Und hier können Sie über Paypal unterstützen.