Rhein-Neckar, 30. Mai 2015. (red) Vor fünf Jahren gab es eine „Welle“ von neugegründeten Lokalredaktionen als Internetangebote. Medienjournalisten sahen einen „Hype“ und fragten, ob diese Angebote die Zukunft des Lokaljournalismus sind. Aktuell ist die Ernüchterung groß, denn viele Angebote sind wieder verschwunden, andere entwickeln sich weiter. In Berlin versuchen es die Prenzlauerberg Nachrichten aktuell mit einer Finanzierung durch die Leser – ob das klappen wird? Wäre schön, Hardy Prothmann, verantwortlicher Redakteur von Rheinneckarblog.de hat daran erhebliche Zweifel – nach zwei Interviews im DeutschlandRadio hier nochmals eine Zusammenfassung.
Von Hardy Prothmann
Die Prenzlauerberg Nachrichten haben sich vor fünf Jahren nach dem Vorbild „Heddesheimblog“ gegründet. Ebenso die Tegernseer Stimme oder Neues aus der Region. Weitere Angebote sind B304, Neck-News, Braunschweiger Anzeiger, Meine Südstadt, Alles-MV, da Hog’n, Das ist Rostock, Regensburg Digital, Solinger Bote um nur einige zu nennen. Alle sind miteinander über ein Netzwerk „Istlokal“ verbunden, teilweise nutzen sie als Kunden der Istlokal Medienservice UG (haftungsbeschränkt) dieselbe Software und damit ein auf Lokaljournalismus optimiertes Layout, das auch wir verwenden.
Aktuell haben viele Medien über die Prenzlauerberg Nachrichten berichtet, da diese ab sofort keine Werbung mehr verkaufen, sondern sich rein über Abo-Einnahmen finanzieren wollen. Dazu können Sie folgende Auswahl lesen/hören:
Rheineckarblog – Nachbarschaftlicher Journalismus hat die beste Zukunft
Chefredakteur Hardy Prothmann in DRadio Wissen „was mit Medien“
Chefredakteur Hardy Prothmann in DeutschlandRadio Kultur „Breitband“
Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Alle machen vor Ort im Lokalen oder in der Region journalistische Angebote. Alle arbeiten unabhängig von Verlagen. Und alle haben dieselben „Herausforderungen“ zu meistern, die wir in vier Säulen definiert haben: Journalismus – Marketing/Vertrieb – Technik – Organisation/Recht.
Journalismus
Der „neue“ Journalismus, der die Zukunft sein soll, wird täglich neu erfunden, weil alte Journalismodelle immer weniger funktionieren. Die Tageszeitungen verlieren seit über 20 Jahren kontinuierlich an Auflage, die Anzeigenumsätze der Zeitungen haben sich seit dem Jahr 2000 fast halbiert. Und wir Journalisten sind keine „Gate-Keeper“ mehr – wir bewachen nicht mehr das Tor, durch das die Nachrichten in die Welt kommen. Das Internet ist das Tor zur Welt und es wird immer größer und schneller. Früher sprach man von „Sendern“ und „Empfängern“ von Nachrichten – heute kann jeder, der am Internet teilnimmt, ein Sender sein und alle sind Empfänger.
Unsere Quellen sind ganz überwiegend nicht mehr exklusiv. Ämter, Behörden, Gemeinden, Firmen stellen ihre Informationen online – jeder mit Internetzugang kann sich also direkt bei der Primärquelle informieren. Früher mussten wir Journalisten uns „akkreditieren“, hatten exklusiven Zugang und waren die, die diese Informationen verbreitet haben. Das machen wir immer noch – aber eben nicht mehr exklusiv.
Früher waren die Medien „aufgeteilt“ in Papier, Hörfunk und Fernsehen. All das gibt es noch, aber eben auch das Internet, dass alle klassischen Medien auch abbilden kann. Dazu als gigantisches Archiv und ohne Formatbegrenzung. Ein Format nennt man den Umfang einer Zeitung oder Dauer, Art und Sendeplatz einer Hörfung- oder Fernsehsendung. Hörfunk und Fernsehen waren früher „linear“ – feste Sendezeiten. Heute gilt das nicht mehr – über Mediatheken, Podcast, Videoplattformen gucken, hören, lesen die Menschen dann, wenn sie wollen. Und das auch nicht mehr an stationäre Empfangsgeräte gebunden, sondern immer mehr mobil.
In dieser Flut von Angeboten mit Journalismus wahrgenommen werden zu wollen, ist eine große Herausforderung. Und vor allem die Frage: Mit welchem Journalismus? Oder, warum überhaupt Journalismus?
Journalismus ist ein Beruf, für den es viel Können braucht. Wissen, Erfahrung, Urteilskraft. Journalismus, sofern er unabhängig und professionell betrieben wird, filtert aus dem Meer an Informationen wichtige Teile heraus, setzt diese neu zusammen und gibt den Mediennutzern eine Orientierung, was wichtig ist und warum das wichtig ist. Der Journalismus hat eine große Zukunft, weil die Orientierung über die unfassbar vielen Informationen immer schwieriger wird. Der Journalismus der Zukunft muss sich seine Exklusivität schaffen, indem er mehr bietet als Informationen, die man überall erhält. Er muss analytischer sein als früher. Er muss glaubwürdig bleiben und ehrlich sein. Im Prinzip könnte jeder Journalist sein – das ist durch Artikel 5 Grundgesetz garantiert – aber Journalismus kann eben nicht jeder. Die kontinuierliche Begleitung der Gesellschaft ist ein Fulltimejob – man muss viele Erfahrungen sammeln, Wissen anhäufen und Informationen schnell und zuverlässig verarbeiten können. Dazu muss man noch jede Menge rechtliches Wissen haben.
Marketing/Vertrieb
Journalismus macht keine Werbung, sondern verkauft seine „Währung“, nämlich Aufmerksamkeit an Werbekunden im redaktionellen Umfeld.
Hier ist der zukünftige Journalismus gar nicht so viel anders finanziert als der klassische. Eine weitere Möglichkeit ist, sich über Spenden finanzieren zu lassen. Dafür gibt es erfolgreiche Beispiele – aber bislang weltweit noch kein funktionierendes Modell, das Medien so beständig finanziert.
Die Prenzlauerberg Nachrichten versuchen das aktuell und werden vermutlich scheitern, obwohl es gelungen ist, in 30 Tagen 766 zahlende Abonnenten zu finden. Unterm Strich ergibt das rund 3.000 Euro – viel zu wenig Geld, um ein redaktionelles Angebot zu machen, das aktuell und hintergründig ist. Zur Orientierung: Im freien Markt sind 300 Euro pro Tag für einen Journalisten schon gutes Geld. Man könnte damit also zehn redaktionelle Tage bezahlen. Teilt man das Geld aber auf zwei Leute auf, damit einer plant und redigiert, was der andere erarbeitet hat, bleiben nur noch fünf Tage. Eine sehr gute Story nimmt auch mal mehrere Tage Arbeit in Anspruch. Wie viele guten Geschichten können also produziert werden? Zehn, fünf, drei? Oder 20? Ob jemand bereit ist, monatlich fünf Euro für ein tägliche Story oder alle drei Tage eine Story zu bezahlen, darf bezweifelt werden. Zum Vergleich: Bei uns erscheinen monatlich im Schnitt 200 Artikel und davon sind fast die Hälfte eigene Stücke.
Alle neuen Angebote haben dasselbe Problem: Sie müssen sich in bestehenden Märkten behaupten, müssen Werbekunden finden, Menschen motivieren freiwillig Geld zu geben, um die Arbeit zu finanzieren. Weitere Quellen für Einnahmen sind möglicherweise staatliche Zuschüsse, Veranstaltungen, Shops oder „Provisionen“. Hier verdient man, wenn ein Kunde über einen Link zu einem Shop dort etwas kauft. Diese Methode funktioniert aber meist nur bei sehr großen Portalen und lokaljournalistisch ist mir weltweit kein einziges Projekt bekannt, dass sich über „Affiliate“ finanzieren kann.
Technik
Auch kleinere lokale Angebote müssen mit der Zeit gehen und ihre Technik immer wieder anpassen. Das Layout muss gut sein, der Server stabil, Dienste wie Soziale Medien müssen eingebunden werden. Viele der neuen Angebote haben aus Kostengründen alles selbst gemacht: Recherche, Termine, Artikel schreiben, Fotos produzieren, Technik am Laufen halten. Denn wenn die nicht läuft, kann niemand das Angebot abrufen. Und was, wenn man auf ein paar Hundert Leser am Tag seine Dienste bei einem Provider gekauft hat, plötzlich aber tausende Menschen zugreifen, weil die ein Thema superinteressant finden? Ganz klar – time out, Server down. Hier braucht es Menschen mit sehr gutem Know-how. Journalisten können das nicht leisten.
Organisation/Recht
Schon eine Eine-Person-Redaktion hat jede Menge organisatorische Aufgaben. Planung, Terminkalender, Kommunikation mit Kunden und Lesern, Buchhaltung, Versicherung und so weiter. Kommen freie Mitarbeiter oder gar festangestellte Mitarbeiter hinzu, braucht es eine Personalverwaltung, man braucht ein Büro, Einrichtung, Infrastruktur – es entsteht ein kleines Unternehmen mit allen Herausforderungen, die auch größere Unternehmen im Prinzip haben. Und irgendwann braucht es eine Geschäftsführung.
Warum scheitern so viele?
Weil niemand alles alleine machen kann. Journalisten sollen Journalismus machen, Verkäufer den Vertrieb, Techniker die Technik und Geschäftsführer/Sekretariat die Organisation. Doch wie zahlt man das, wenn man anfängt und noch keine Umsätze hat? Und ohne ein Basisangebot und eine gewisse Aufmerksamkeit kann man diese nicht vermarkten. Sie sehen – eine journalistische Redaktion zu gründen und auszubauen, ist eine große Herausforderung.
Warum wachsen wir?
Ich habe mich deshalb mit Peter Posztos von der Tegernseer Stimme zusammen getan und die Istlokal Medienservice UG (haftungsbeschränkt) gegründet. Wir haben das Layout konzeptioniert, Geld investiert und eine technische Plattform entwickeln lassen, die von einem technischen Dienstleister betreut wird. Wir nennen das Istlokal OS – ein umprogrammiertes WordPress, das nach unseren Erfahrungen ideal auf Lokaljournalismus und Vermarktung zugeschnitten ist. Ein entscheidender Vorteil: Wir müssen technisch nichts mehr machen, das macht unser Dienstleister. Wir vermieten dieses System für 99 Euro netto an andere, erzielen dadurch Einnahmen für den Betrieb, die Datensicherung und vor allem – die Weiterentwicklung unseres Systems. Das erste Ziel war nicht, viel Geld damit zu verdienen, sondern möglichst wenig zu bezahlen – so eine Art Share-Economy.
Istlokal OS und Netzwerk
Aktuell nutzen Istlokal OS folgende Angebote: Alles-MV (MV), B304 (BAY), Beobachternews (BW), Braunschweiger Anzeiger (NS), Hierzuland.info (BW), Neck-News (BW), Neues aus der Region (BW), Rheinneckarblog (BW), Tegernseer Stimme (BAY) , Stormarn aktuell (SH). Wer sich die Seiten anschaut, erkennt dieselbe Basis, aber doch individuelle Layouts.
Leider beobachten wir, dass es viele Nachahmer gibt, die sich ihre Plattformen nach unserem Vorbild stricken. Die Betreiber haben leider das Prinzip nicht verstanden. Es geht nicht darum „Geld zu sparen“, sondern im Verbund mit anderen einen überschaubaren Kostenpunkt an Technik zu haben und dafür eine verlässliche Dienstleistung zu erhalten.
Zudem tauschen wir uns untereinander aus und „sharen“ unsere Erfahrungen – allerdings ist diese Zusammenarbeit noch sehr ausbaufähig. Eine weitere Perspektive ist ein Inhaltenetzwerk oder Elemente einer Nachrichtenagentur. Wir können untereinander Inhalte, ob Serviceartikel, die überall lokal funktioneren tauschen oder Symbolfotos oder uns unterstützen.
Ein Beispiel: Ein Mannheimer segelt eine Regatta vor Rostock mit – wir können da aus Kostengründen niemanden hinschicken, aber Das ist Rostock kann uns Fotos liefern und einen Bericht schreiben – das ist exklusiver Content. Anderes Beispiel: Zum katholischen Kirchentag in Mannheim hat Stefan Aigner von Regensburg Digital einen Kommentar für das Rheinneckarblog geschrieben – der Kollege hat intensiv zur Kirche und vor allem zu Missbrauch recherchiert. Einen besseren Experten konnten wir uns nicht wünschen.
Und wir kooperieren bei der Ausbildung – Mitarbeiter schnuppern in andere Istlokal-Redaktionen hinein, bringen sich dort mit ihrem Wissen ein und bringen neues Wissen mit zurück.
Weiter tauschen wir uns über organisatorische Fragen und solche zur Geschäftsführung aus. Und ganz wichtig: Zu Marketing und Vertrieb. Denn ohne einen erfolgreichen Vertrieb verdienen wir kein Geld und werden die Unternehmen nicht aufbauen können.
In Deutschland ist Istlokal das einzige funktionierende Netzwerk dieser Art und bemerkenswert ist, dass wir viele funktionierende Partner haben. Ebenfalls auffallend: 7 von 10 Istlokal-Angeboten sind in Baden-Württemberg und Bayern ansässig. Das sind auch die leistungsfähigsten Bundesländer in Deutschland – ob das der Grund ist? Alle, die Istlokal OS nutzen, profitieren von einem stabilen System mit vielfältigen Einstellmöglichkeiten, optimiert für Werbeflächen. Das Layout ist modern und seriös – wir wollen uns nicht mit „hippen“ Layouts selbst verwirklichen, sondern eine solide, gut nutzbare Plattform anbieten. Und: Istlokal OS ist mobil optimiert – wer mobil kein gutes Angebot hat, wird verlieren.
(Wer sich für unser System Istlokal OS interessiert – bis 31. Juli 2015 bieten wir in einer Aktion den Jahresvertrag für 89 Euro netto/Monat im ersten Jahr an. Schreiben Sie an hardy.prothmann@istlokal.de.)
Lokaljournalismus im Netz kann erfolgreich sein – aber nur, wenn man die vier Säulen ordentlich analysiert, strukturiert und organisiert. Ein Freundes- oder Förderkreis ist eine zusätzliche Einnahmequelle. Die wesentliche Basis werden Werbeerlöse sein. Und Werbung gehört zum Journalismus dazu – seriöse Werbung und seriöser Journalismus werden auch in Zukunft immer zueinander finden.
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