Rhein-Neckar/Südwesten, 29. März 2020. (red/pro) Die Justizvollzugsanstalten im Südwesten sind nahezu vollständig ausgelastet. Etwa 7.300 Personen befanden sich vor kurzem noch in Haft – bei rund 7.500 Haftplätzen. Das entspricht einer Belegungsquote von 97 Prozent. Um Platz zu schaffen, hat Justizminister Guido Wolf (entschieden), dass Häftlinge entlassen werden und Ersatzfreiheitsstrafen in den kommenden drei Monaten nicht angetreten werden müssen. Das soll 400 Haftplätze freigemacht haben.
Von Hardy Prothmann
“Um zu vermeiden, dass das Virus in die Anstalten hineingeschleppt wird und um Kapazitäten freizuhalten wird die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zunächst für drei Monate aufgeschoben, sodass keine weiteren Personen zum Haftantritt geladen werden. Ersatzfreiheitsstrafen werden unterbrochen, sofern nicht im Einzelfall überwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen”, teilt das Justizministerium auf RNB-Anfrage mit.
Kurze Freiheitsstrafen sollen aufgeschoben werden
Die Ersatzfreiheitsstrafe greift bei Verurteilungen zu Geldstrafen, wenn diese nicht gezahlt werden. Die Vollstreckung dieser meist sehr kurzen Freiheitsstrafen verursache einen “hohen Durchlauf” in den Justizvollzugsanstalten.
Darüber hinaus wurde mit Erlass vom 23. März 2020 in Baden-Württemberg angeordnet, dass die Staatsanwaltschaften des Landes bis zunächst 15. Juni 2020 auch die Vollstreckung von kurzen Freiheitsstrafen von nicht mehr als sechs Monaten aufschieben sollen. Unterbrechungen von verhängten Freiheitsstrafen gebe es “bislang” nicht.
400 Plätze frei geworden
Durch diese Maßnahmen sei die Belegung aktuell bereits um rund 400 Gefangene reduziert worden.
Das Justizministerium stellt auf Anfrage klar, dass diese “Maßnahmen keine Amnestie oder ähnliches darstellen”. Die betroffenen Personen, die die kommenden Tage zum Strafantritt geladen worden wären, müssten weiter mit einer Vollstreckung ihrer Freiheitsstrafe bzw. Ersatzfreiheitsstrafe rechnen.
Die Vollstreckung sei lediglich aufgrund der durch die Verbreitung des Virus bislang in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Sondersituation für einige Zeit verschoben. Die Reststrafen müssten daher zu einem späteren Zeitpunkt abgesessen werden.
Eine Haftunterbrechung komme derzeit nur bei den Gefangenen in Betracht, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlt haben, sofern einer Freilassung im Einzelfall nicht überwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen. Heißt: Die temporäre Freilassung gilt nicht für erhebliche Straftaten.
Besuchsverbot – einzelne Beamte in Quarantäne
Um eine Verbreitung des Coronavirus in den Haftanstalten zu verhindern, gilt hier bis zunächst 19.04.2020 ein Besuchtsverbot. Aufgrund der dynamischen Entwicklung müsse dieses “vorläufige Fristende laufend überprüft werden”. Ein “abschließend bestätigter Infektionsfall bei einem Gefangenen” liege laut Justizministerium “derzeit nicht vor”.
Bei Justizvollzugsbeamten im Land traten hingegen bereits einzelne Infektionsfälle auf. Die Beamten befänden sich deshalb in Quarantäne. In welcher Anzahl sich darüber hinaus Beamte vorsorglich in Quarantäne befinden, werde allerdings “derzeit nicht zentral erfasst”.
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Wie sind die Hygienestandards im Knast?
Bei der Frage, ob genug Schutzkleidung für die Beamten vorhanden sei, weicht das Justizministerium aus und verweist auf das Sozialministerium zur “Beschaffung von Hygieneschutzprodukten”. Die werde für alle Ressorts zentral über das Sozialministerium koordiniert. Doch hier kommen Justizbeamte und Häftlinge überhaupt nicht vor.
In einer Pressemitteilung des Sozialministeriums vom 27. März 2020 heißt es:
“Gesundheitsminister Manne Lucha: „Die in meinem Haus angesiedelte Task Force Beschaffung arbeitet Tag und Nacht. Im Kampf um weltweit knappe Ressourcen geben wir wirklich alles. Gleichzeitig müssen wir die Angebote sorgfältig prüfen, denn nicht alle Anbieter sind seriös. Es besteht sonst die Gefahr, dass wir wertvolle Zeit verlieren, unbrauchbare Ware erhalten und das Geld am Ende weg ist. Wir arbeiten in unserer Task Force rund um die Uhr an der Beschaffung weiterer Schutzausrüstung.“
Und weiter:
“Das Ministerium für Soziales und Integration hat ein Logistikzentrum damit beauftragt, die Weiterverteilung der Schutzausrüstung an die Stadt- und Landkreise zu organisieren. Sämtliche Lieferungen werden zentral bei einer Spedition im Land zusammengeführt und nach einem mit den Kommunalen Landesverbänden vereinbarten Schlüssel unmittelbar verteilt:
Stadt- und Landkreise: 70 Prozent
Universitätsklinika (insgesamt fünf Einrichtungen): 15 Prozent
Innenministerium: 10 Prozent
Justizministerium: 5 Prozent
Die Landkreise übernehmen dann die Verteilung an alle Versorger im Kreis, einschließlich der Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Zahnärzte. Die Stadt- und Landkreise kennen die Einrichtungen vor Ort am besten – unter anderem Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste und Zahnärzte – und können diese nach deren akutem Bedarf beliefern. Diese dezentrale Steuerung erlaubt einen zielgenauen Einsatz des Materials, welcher angesichts der Knappheit von Schutzausrüstung auf dem Weltmarkt das Gebot der Stunde ist.
„Ich möchte mich bereits heute bei allen Pflegerinnen und Pflegern, den Ärztinnen und Ärzten und dem medizinischen Personal im Land für den großen Einsatz und riesige Engagement in dieser schwierigen Zeit bedanken. Wir muten Ihnen eine Menge zu, und ich freue mich, dass wir uns auf Sie verlassen können“, so Minister Lucha.”
Bis auf die Prozentangabe für das Justizministerium steht dort nichts zu Justizvollzugsbeamten und Strafgefangenen.
Staat muss auf die Gesundheit von Strafgefangenen achten
Der Mannheimer Strafverteidiger Maximilian Endler ordnet auf Anfrage ein: “Wenn Strafen vollstreckt werden, dann bedeutet das gleichzeitig, dass diese Menschen in einer grundrechtskonformen Weise untergebracht werden müssen, mit einfachen Worten: Der Staat ist verpflichtet, auf die Gesundheit dieser Menschen zu achten. Es ist nicht Teil der staatlichen Strafanspruchs, die Gesundheit von Menschen einzuschränken.”
In Italien gab es bereits Revolten in Haftanstalten, sogar Tote. Wie ist die Lage im Südwesten?
“Die Gefangenen zeigen im Interesse ihrer Gesundheit überwiegend Verständnis und gehen bislang sachlich mit der gegenwärtigen Situation um. Selbstverständlich kommt es auch zu Unsicherheiten, Nachfragen und vereinzelt aufgrund der den Alltag der Gefangenen beschränkenden Maßnahmen auch zu Unmut, dies allerdings im zu erwartenden Rahmen”, teilt das Justizministerium mit.
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