Mannheim, 28. Januar 2014. (red/ld) Wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelt in Höhe von rund 870.000 Euro muss sich seit heute ein 47 Jahre alter Mann aus Mannheim vor der großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mannheim verantworten. Der Mann soll als Bauunternehmer rund 293 rumänische Staatsangehörige zum Schein als Gesellschafter seiner Firma beschäftigt haben. Sollte er sich schuldig bekennen, muss er zwischen drei Jahren und drei Monate bis zu drei Jahren und zehn Monate in Haft.
Von Lydia Dartsch
In 68 Fällen soll der Angeklagte Sozialversicherungs- und Krankenkassenbeitrage vorenthalten und nicht angemeldet haben. Die Staatsanwaltschaft geht außerdem davon aus, dass er das Geld seiner in Rumänien lebenden Mutter gegeben haben soll. Diese hatte sich ein Haus in der Pfalz im Wert von rund 22.000 Euro gekauft. Sie ist in dem Verfahren als Nebenbeteiligte geladen, um zu klären, ob sie ihr Haus von dem veruntreuten Geld gekauft hat.
Das Instrument des Nebenbeteiligten werde in einem solchen Fall nur selten angewendet, erklärt der Rechtsanwalt der Schwiegermutter Markus Nöhring. Und zwar immer dann, wenn die Staatsanwaltschaft den Verdacht hat, dass die veruntreuten Gelder von einer dritten Person verwaltet werden. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, sagte der Rechtsanwalt:
Dann ist das Häuschen weg.
Mit festem, geraden Schritt, im schwarzen Anzug, geht der Angeklagte, der seit August 2013 in Mannheim in Untersuchungshaft sitzt, an den Zuschauern vorbei in Richtung seines Platzes neben Rechtsanwältin Daniela Hein. Als er seine Angehörigen in der ersten Reihe sieht, nickt er ihnen kurz zu und geht dann weiter,
Der 47-jährige Angeklagte wirkt gefasst, als Staatsanwalt Sebastian Lückhoff die 68 Anklagepunkte verliest: Für jeden Monat und jede geschädigte Krankenkasse und die Minijobzentrale einen. Insgesamt, so die Anklage, soll der Mann zwischen März 2009 und April 2013 genau 872.792,61 Euro nicht gezahlt haben. Er soll zudem 293 rumänische Staatsangehörige als Gesellschafter seiner Baufirma unter Vertrag genommen beziehungsweise als Subunternehmer beschäftigt haben, obwohl diese weder ein unternehmerisches Risiko trugen, noch am Erfolg der Firma beteiligt wurden.
Als Spätaussiedler von Rumänien nach Deutschland
Nach einem Antrag von Rechtsanwältin Daniela Hein auf ein Rechtsgespräch mit dem Ziel einer Verständigung auf einen Strafrahmen, falls der Angeklagte ein Geständnis ablegt, macht dieser zunächst Angaben zu seiner Person.
Was er schildert, gleicht dem Lebenslauf eines Strauchelnden. Eines Verlierenden auf der Suche nach dem kleinen Glück. Kann man ihm trauen? Im Jahr 1966 in Rumänien geboren, kam der Angeklagte in den 1970er Jahren nach Deutschland, in die Nähe von Stuttgart. In der Grundschule in Rumänien habe er zwar Deutsch gelernt, aber trotzdem die erste Klasse in Deutschland wiederholt. Seine Noten seien damals zu schlecht gewesen, sagt er. Nach seinem Hauptschulabschluss im Jahr 1984 habe er eine Ausbildung zu Berufskraftfahrer begonnen und drei Jahre später abgeschlossen.
Pechvogel oder Unwissender?
Als ihm im darauf folgenden Jahr der Führerschein entzogen wurde, verlor er damit auch seinen Arbeitsplatz als Kraftfahrer. Er wechselte die Firma, um am neuen Arbeitsplatz im Lager zu arbeiten – allerdings für deutlich weniger Lohn, wie er sagt. Damals hätten die Probleme angefangen. In dieser Zeit seien die erste Vorstrafen gekommen: Diebstahl oder Fahren mit einem nichtversicherten Fahrzeug.
Im Jahr 1990 habe er seine Frau kennengelernt, sie geheiratet und einige Jahre später eine Tochter bekommen. Im Jahr 1993 begann der Mann freiberuflich einen Kurierdienst aufzubauen. Das sei ganz gut gelaufen, sagt er. Doch dann erlitt sein Wagen im Jahr 1995 zwei Motorschäden. Den ersten habe er noch selbst repariert. Um den zweiten zu reparieren sei kein Geld da gewesen. Er habe nicht die nötigen Rücklagen dafür gebildet, sagte er. Dass er das tun müsse, habe er nicht gewusst, weil er nicht die nötige Ausbildung dafür habe.
Kämpfen ums Überleben. Kämpfen um die Familie
Es folgten Jahre als Taxifahrer, bis er immer öfter nach 12-Stunden-Schichten einen Tageslohn von 40 Euro nach Hause gebracht habe. Das habe sich nicht gelohnt. Als nächstes versuchte er sein Glück mit einem Fensterhandel, den er eröffnen wollte. Den Mietvertrag für mehrere Jahre hatte er bereits unterschrieben. Dann sprang ihm kurzfristig der Lieferant ab. Was nun?
Er habe etwas mit dem Raum anfangen müssen, sagte der Angeklagte. Also eröffnete er eine Filiale einer namhaften Bäckerei in Mannheim und verkaufte Brötchen. Ein hartes Geschäft sei das gewesen, mit Arbeitstagen zwischen 18 und 20 Stunden. Aber es habe zum Leben gereicht. Dann zog ein Discounter mit Backshop in die Nachbarschaft. Die Bäckerei musste schließen. Der Verkaufsraum wurde Wohnzimmer. Er ging zur Bahn als Zugbegleiter im Fernverkehr. Oft sei er eine Woche am Stück unterwegs gewesen, habe seine Familie höchstens einen Tag lang gesehen. Zwischen ihm und seiner Frau habe es angefangen zu kriseln. Seine Ehe sei „auf der Kippe gestanden“, sagte er. Deshalb sei er zum Nahverkehr gewechselt.
Die vorsitzende Richterin Claudia Kreis-Stephan zählte die weiteren Vorstrafen auf: Geldstrafen, weil sich der Angeklagte nicht beim Arbeitsamt als arbeitstätig gemeldet hatte, als er im Jahr 2009 die Firma gegründet hat, um die es in diesem Verfahren geht. Die Geldstrafe sowie eine weitere wegen eines ähnlichen Falls habe er bezahlt, sagte er, als die Richterin nachfragte. Dafür verantwortlich mache er seine Nachlässigkeit, sagte der Angeklagte. Aber gleich zwei mal? fragte die Richterin. Der Angeklagte antwortete:
Wenn es an allen Ecken klemmt und man das Damoklesschwert über seinem Kopf sieht: Was soll man machen?
An diesem Punkt enden die Einlassungen des Angeklagten zu seiner Person. Die folgenden Jahre 2009 bis zu seiner Festnahme im vergangenen August gehören zum Verfahrenssachverhalt. Dieser soll vor dem Rechtsgespräch nicht behandelt werden. In diesem Gespräch sollen die drei Beteiligten – Staatsanwalt, Verteidiger und Richter – ihre Vorstellungen von einem Strafrahmen darlegen, wenn der Angeklagte ein glaubhaftes Geständnis ablegt. Langwierige Verfahren könnten so abgekürzt werden.
Nach einer Sitzungsunterbrechung verlas Richterin Claudia Kreis-Stephan das Ergebnis des Gesprächs: Sollte der Angeklagte die Vorwürfe einräumen, habe seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Daniela Hein, eine Freiheitsstrafe von drei Jahren beantragt, wovon zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden könnten und ein Jahr mit einer Geldstrafe von 61 Tagessätzen abgegolten werden könne. Dieses Jahr wäre also mit 22.265 Euro abgegolten. Staatsanwalt Sebastian Lückhoff hingegen habe einen Strafrahmen zwischen vier und viereinhalb Jahren gefordert. Richterin Kreis-Stephan ließ sich nicht auf die Ideen der Verteidigung ein und folgte auch nicht der Vorstellung des Staatsanwalts. Sie verkündete einen Strafrahmen zwischen drei Jahren und drei Monaten bis drei Jahren und 10 Monaten – sofern der Angeklagte sich schuldig bekennt und vollumfänglich Auskünfte erteilt.
Bei Geständnis knapp vier Jahre Haft
Ob der Angeklagte ein Geständnis ablegen wird, darüber müssen ihn seine Verteidiger noch beraten. Da sein zweiter Verteidiger Thomas Dominkovic heute nicht anwesend war, wurde die Sitzung vertagt. Richterin Kreis-Stephan mahnte den Angklagten zum Schluss noch an, dass die Verständigung und sein Geständnis gegenstandslos seien, falls sich aus der dann folgenden Beweisaufnahme ein anderer Sachverhalt in der Anklage ergebe – ob zu seinen Gunsten oder Lasten.
Bis zum Urteil könnte es lange dauern. Rund 70 Zeugen seien geladen, sagte Rechtsanwalt Markus Nöhring. Viele von ihnen lebten wieder in Rumänien und müssten für die Beweisaufnahme nach Mannheim anreisen. Insgesamt zehn Verhandlungstage sind angesetzt. Am kommenden Dienstag, 04. Februar, wird die Verhandlung fortgesetzt.