Mannheim, 18. März 2014. (red/ld) Die nächsten drei Jahre und zehn Monate wird ein 47 Jahre alter Bauunternehmer aus Mannheim hinter Gittern verbringen müssen. Der rumänisch-stämmige Unternehmer hatte in 68 Fällen Arbeitsentgelte vorenthalten und veruntreut, indem er Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien als Subunternehmer und Gesellschafter angestellt hatte.
Von Lydia Dartsch, Mitarbeit Julia Schmitt, Hardy Prothmann
„Was soll man machen, wenn es an allen Ecken klemmt?“ hatte der Angeklagte noch am ersten Verhandlungstag über seine finanzielle Situation und die seiner Familie geklagt.
Zwischen März 2009 und April 2013 hatte der rumänisch-stämmige Mann knapp 872.792,61 Euro an Sozialabgaben nicht bezahlt. Um die Abgaben zu umgehen hatte er 293 rumänische Staatsangehörige als Gesellschafter beschäftigt. Zu Stundenlöhnen von 5,25 Euro, wie die Staatsanwaltschaft annimmt.
„Das dürfte kein Einzelfall sein“
Diese Vorwürfe hatte der Angeklagte schließlich vollumfänglich eingestanden, sagte Staatsanwalt Sebastian Lückhoff. Dieser hatte eine Haftstrafe von vier Jahren und einem Monat beantragt. Nur drei Monate mehr als das Urteil.
Der Fall dürfte kein Einzelfall sein, bestätigt Staatsanwalt Lückhoff. Das Problem der Schwarzarbeit sei weit verbreitet und beschränke sich nicht auf Mannheim. Anschlussermittlungen würden derzeit nicht geführt, aber die Prozessunterlagen würden noch geprüft, sagte er.
Vor allem Zuwanderer aus Ländern mit niedrigem Lohnniveau sind gefährdet, in dieser Weise ausgenutzt zu werden, sagt Lückhoff. :
Es ist generell so, dass in solchen Fällen die niedrige Lohnsituation in den Herkunftsländern der Angestellten ausgenutzt wird.
Was soll man auch machen, wenn es an allen Ecken klemmt, als einen solchen Job anzunehmen? Oder ein solches Angebot – aus der Sicht des Auftraggebers betrachtet. Denn diese profitieren von Machenschaften wie diese durch günstige Auftragskosten oder schnelle Bauzeiten.
„Es ist oft so, dass sich Auftraggeber eine Bescheinigung des Unternehmens vorlegen lassen“, sagt Staatsanwalt Lückhoff. So hatte die Staatsanwaltschaft ermittelt, dass beispielsweise eine Firma aus Bayern sich den Gesellschaftsvertrag der Firma des Angeklagten vorlegen lassen hatte und infolge dessen von der Beauftragung abgesehen hat. In der Regel müsse man als Auftraggeber aber darauf vertrauen, dass im beauftragten Unternehmen alles in Ordnung ist, sagt Herr Lückhoff.
Der Prozess
Der Prozess war zäh. Die Unterlagen, die beim Angeklagten gefunden wurden, füllen mehrere Ordner. Immer wieder muss die Richterin Claudia Kreis-Stephan in ihren Notizen nachsehen, welchen Ordner, welches Register und welche Seite sie aufschlagen muss. Immer wieder die gleichen Szenen: Akten werden gewälzt, Passagen aus dem Rumänischen übersetzt und alle Beteiligten stehen vor der Richterin und versuchen mit in die ausgebreiteten Ordner zu schauen.
Der Angeklagte zeigt sich geständig – von einer wirklichen Schuld scheint er aber nicht überzeugt. Immer wieder steht er souverän von seinem Platz auf, begibt sich zur Richterbank und versucht die Dokumente „fachmännisch“ zu erklären. In den meisten Fällen kann er dies nicht. Es sei ihm alles über den Kopf gewachsen. Er hat den Überblick verloren. Als Geschäftspartner hatte er einen Dachdeckermeister. Dieser sollte ihm die notwendige Seriosität für seine Geschäfte verschaffen und den fachlichen Teil der Baustellen übernehmen. Nach Darstellung des Angeklagten, gab es aber immer wieder Streit. Auch schulde dieser ihm noch Geld.
Der Angeklagte hat in seinem „Bauunternehmen“ zum Schein zwischen März 2009 und Dezember 2011 über 290 Rumänen und Bulgaren als Gesellschafter aufgenommen hat. Zweck des Ganzen: deren Selbstständigkeit vorzutäuschen und so keine Sozialabgaben zahlen zu müssen. Zudem soll er ab Januar 2012 rumänische Einzelunternehmen sowie aus rumänischen Staatsangehörigen bestehende Firmen als Subunternehmer beschäftigt haben – obwohl es sich bei diesen um seine Beschäftigten handelte. Auch dies soll er getan haben, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. Seinem Vorhaben entsprechend soll er so zwischen März 2009 und April 2013, den Lohn „schwarz“ an die Arbeitnehmer ausbezahlt haben. Dadurch hat er sozialversicherungsrechtlich einen Schaden in Höhe von über 870.000 Euro angerichtet.
Symptomatisch für diesen Prozess: ein gesuchter Zeuge wurde abgeschoben, ein anderer ist nicht aufzufinden, ein dritter konnte eine Terminverschiebung nicht zugestellt werden – er muss wieder gehen.
Ohne die Dolmetscherin hätte der Prozess nicht stattfinden können. Mehrere Male muss sie Unterlagen in rumänischer Sprache für die Richterin übersetzen. In den meisten Fällen haben sie keine Relevanz für den Prozess. „Ich weiß nicht, ob die Unterlagen eine Bedeutung haben. Da ich sie nicht lesen kann, müssen wir sie übersetzen“, sagt die Richterin. Viele der Unterlagen in den zahlreichen Ordnern sind auf rumänisch. Auf die Frage der Richterin, ob die Dokumente denn auch bei ihm so systematisch wie hier geordnet waren, muss der Angeklagte nicht lange überlegen: „Nein, ich habe irgendwann den Überblick verloren.“ Am Anfang waren es noch vier Leute, die er als Gesellschafter aufgenommen hat. Dann wurden es immer mehr.
Beim Prozess geht es um 293 Personen, die mutmaßlich als Scheinselbstständige gearbeitet haben, nach Angaben des Angeklagten aber Gesellschafter waren. Das bedeutet, dass es 293 Zeugen gibt, die über die gesamte Bundesrepublik und in Rumänien verstreut sind. Von vielen ist unklar, wo genau sie sich befinden. Geschäfte und Verträge wurden in vielen Fällen schnell geschlossen, erzählt der Angeklagte: „Geredet, abgemacht, Handschlag darauf und gut ist.“
Nach Angaben des Angeklagten wussten die Gesellschafter, wie viel Prozent am Gesamtumsatz sie haben. „Wenn einer also wusste, dass er beispielsweise 0,001 Prozent an der Gesellschaft beteiligt war, dann hätte man sich das ausrechnen können, so bald die Bilanz vorliegt“, erklärt er. Die erste Bilanz wollten sie im zweiten Geschäftsjahr erstellen. Dies klingt absurd. Es ist absurd. Sein System ist ihm schnell über den Kopf gewachsen. „Ich war einfach überfordert. Ich habe irgendwann vollständig den Überblick verloren“, sagt er. Die Firma, die auf Abbrucharbeiten und Trockenbau spezialisiert war, hat in der gesamten Bundesrepublik Baustellen: am Frankfurter Flughafen, in der Würzburger Kaserne, im Gebäude der deutschen Bank in Frankfurt, in Rostock, Fulda, Ettlingen, Hockenheim oder beim Solarpark in Schorndorf. Dort wurde dann in Kolonnen zwischen 20 und 40 Mann gearbeitet.
Tauchen aber Rechnungen an die GbR auf, dann sind sie an ihn adressiert. Existierende Verträge erklärt er oft als „Gefälligkeiten“ – nur erstellt, um sie dem Gewerbeamt vorlegen zu können. Eines der Worte, die in diesem Prozess immer wieder fallen, ist die „Bilanz“. Fehlende Bilanzen waren der Grund für das Chaos, welches er selbst erzeugt hat. Fragt ihn aber die Richterin, was genau eine Bilanz ist, weiß er das nicht.
Die Richterin legt Verträge aus Ermittlungsakten vor, nach denen die rumänische Personalvermittlung eindeutig normale Arbeitskräfte vermittelt. In diesen Verträgen sind klar die Arbeitsentgelte, Arbeitszeiten und auch weitere Regelungen, die eindeutig Arbeitsverhältnisse definieren, genannt. „Ich habe nicht erkannt, dass das Scheinselbstständigkeit sein soll“, verteidigt er sich. Das ist die grundlegende Frage dieses Prozesses. Deshalb fragt die Richterin ihn immer wieder danach welche Rechten und Pflichten denn die Gesellschafter gehabt hätten. Sie erkundigt sich auch weiter zur Organisation der Gesellschaft. Gab es beispielsweise regelmäßige Gesellschaftertreffen? Durch die Vielzahl der Gesellschafter war das für ihn nicht organisierbar, schildert der Angeklagte und sagt: „Manchmal wurde auf Zuruf eine Generalversammlung abgehalten.“ Da nicht planmäßig, war diese dann auch nicht ordentlich organisiert.
Immer wieder beteuert der Angeklagte, dass er keinen Betrug im Sinn hatte, um möglichst viel Geld zu verdienen. Dies habe sich alles so irgendwie ergeben. Er selbst habe sogar seit über vier Jahren keine Krankenversicherung mehr, weil er das Geld habe sparen wollen. „Ich will es ja aufklären“, beteuert er immer wieder. Das ist jetzt der Fall. Und das Urteil ist gesprochen.