Mannheim, 26. Oktober 2014. (red/ld) Maria oder Magdalena? Jungfrau oder Hure? Engel oder Teufel? Mehr als diese Stereotypen sind für Frauen in der Literatur nicht vorgesehen. Wer diese verlässt – sich emanzipiert – wird zwangsläufig verrückt, unglücklich einsam, aber Vorlage für große Geschichten: Auch “La Wally” von Alfredo Catalani, die am vergangenen Freitag im Nationaltheater Premiere feierte.
Von Lydia Dartsch
“Tod dem Patriarchat” steht deshalb auf einem großen Banner hinter Wally projiziert, als diese sich von ihrer Familie lossagt. Vorangegangen sind Bilder von den Studentenprotesten, den erschossenen Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke, die RAF-Terroristinnen Ulrike Meinhoff und Gudrun Enßlin. Die Erwartungen sind groß. Doch erfüllt werden sie in der Inszenierung von Tilman Knabe nicht.
Als Tochter des Patriarchen Stromminger (Sung Ha) soll Wally (Ludmila Slepneva) den Vincenzo Gellner (Jorge Lagunes) heiraten, den ihr Vater für sie aussucht und das Leben leben, das er sich für sie erdacht hat – wie auch immer das aussieht, kommt im Libretto nicht zur Sprache. Es dürfte sich aber im Radius Kinder, Küche und Kirche bewegen.
Anspielungen gehen nicht auf
Doch Wally hat andere Pläne: Ihren Mann will sie sich selbst aussuchen und wenn es nicht Giuseppe Hagenbach (Roy Cornelius Smith) ist, soll sie kein Mann je berühren. Ihr Vater verstößt sie und Wally wird unabhängig, geschäftlich erfolgreich – aber frustriert und todunglücklich. So stirbt sie am Ende. Tilman Knabe lässt ihren Wahnsinn mit Clownsschminke und Blumenkranz enden – tragisches Ende einer lächerlichen Bewegung.
Tilman Knabes “La Wally”, die nach Wilhelmine von Hillerns Romanvorlage “Die Geier-Wally” entstanden ist, spielt nicht in den Alpen, sondern im Deutschland der Sechziger, Achtziger, Neunziger und Zweitausender Jahre und kann so eindrucksvoll die Entwicklung Wallys vom rebellischen Hippie über die eiskalten Geschäftsfrau bis hin zur gescheiterten, tragischen Clownin nachvollziehen.
Eingebettet wird dies in Anspielungen an die 68’er Generation: Studentenproteste, Deutscher Herbst, als sie in ihr neues Leben aufbricht. Mehrere Wallys treten auf in Trenchcoats, mit Pilotenbrillen und Maschinengewehr. Die Anspielungen gehen nicht auf. Sie verhallen.
Wally wird Vorständin ihrer eigenen Aktiengesellschaft. Keine Terroristin. Sie ist eiskalte Geschäftsfrau, die sich damit brüstet, dass kein Mann sie je geküsst hat. Gleichzeitig ist sie frustriert, dass ihr Angebeteter ihre Liebe nicht erwiedert. Sie lässt ihn ermorden und ertränkt ihre Dämonen in Alkohol. Sie verliert alles und stirbt zum Schluss als verrückte Alte einsam und ohne ihre beste Freundin Walther (Tamara Banjesevic), die sie aus Kummer sogar verstößt.
“Reiß Dich zusammen, hör auf zu jammern und krieg ein Leben”, will ich ihr zurufen. Doch das ist ihr weder vom Komponisten Catalani noch von Tilman Knabe vergönnt. Aber was wollen die beiden sagen? “Hätte sie doch auf ihren Vater gehört und den Gellner geheiratet, der jetzt ihr Hausmeister ist”? “Die Emanzipation ist gescheitert”? Libretto und Inszenierung suggerieren genau das, weil in beiden Emanzipation falsch verstanden ist: Herrschaft über Männer.
Applaus für die Sänger, Buhs für die Inszenierung
Dabei ist Wally eine bewundernswerte Frau: Sie bricht auf, versucht und scheitert. Das kann passieren, wenn man versucht, selbstbestimmt zu leben – Risiko eben. Ludmila Slepneva und ihre Kollegen erhielten vom Premierenpublikum ausnahmslos Applaus und “Brava”-Rufe – verdientermaßen.
Tilman Knabe gelingt die Adaption aus den schweizer Alpen in die Gegenwart eindrucksvoll, aber wegen der Anspielungen auf die 68er-Studentenbewegung leider nur äußerst mühevoll. Die “Buh”-Rufe für die Inszenierung rechtfertigt dies aber nicht: Klar, 68er-Anspielungen sind zu stark, um sie nicht zum Thema der Inszenierung zu machen. Vielleicht hatten diese Besucher auch erwartet, dass die Oper in den Alpen spielt, wie es im Libretto steht. Vielleicht gehören die Buh-Rufer auch zu den Verfechtern des Patriarchats, die Wally am liebsten zurufen wollen: “Mädchen, hättest Du nur auf Papa gehört!” Doch wie langweilig wäre das?